Aktivist für eine sozialere Baukultur

Aktivist für eine sozialere Baukultur
Der Berliner Architekt Van Bo Le-Menzel ist überzeugt, dass ein Leben auf engstem Raum möglich ist. In Tiny Houses sieht er Vorbilder einer neuen, auf Gemeinsamkeit setzende Wohnkultur.
Den Treff für das Gespräch hätte Van Bo Le-Menzel kaum besser wählen können. Als der Berliner Architekt, Sohn laotisch-chinesischer Eltern, in einem Asia-Restaurant am Kreuzberger Mehringdamm von seiner Vision fürs Bauen der Zukunft erzählt, klettert draußen am Straßenrand gerade ein Mann von der Pritsche eines dort geparkten Kleinlasters. Die winzige, auf der Ladefläche festgezurrte Holzhütte war für einen Tag sein „Not-Hotel“. Gebucht über Airbnb – auf einer kaum zwei Quadratmeter kleinen Fläche aber mit Küche, Bad, Tisch, Bett un WLAN ausgestattet – fand der Gast für einen symbolischen Obulus im Tinyhouse mitten in der Großstadt ein paar Stunden Ruhe vor dem Gewimmel der Metropole. Jetzt wirft er sein Bündel über die Schulter, winkt Van Bo Le-Menzel durch die Scheibe zu, und der Architekt erkennt in den dankbar blickenden Augen des Manns die Bestätigung für seine eigene Mission: „Wir brauchen ein Grundrecht auf Wohnen“, ist Le-Menzel überzeugt. Dafür lohne es, die Gesellschaft mit kleinen Projekten für einen Wandel und mehr Miteinander zu sensibilisieren.
Van-Bo Le Menzel baut an der Umsetzung seiner Vision einer sozialeren Architektur. Circular Cities – „möglichst gebaut in serieller Holzbauweise“ – sollen Wohnorte auf kurzen Wegen mit Arbeitsstätten, Schulen oder Freizeitparks oder Gemüsegärten verbinden. Das erlaube, träumt der Architekt, ein „fußläufiges Leben“ für alle – und damit besseren Klimaschutz.
Falsche Stadtplanung vergrößert den Klima-Fußabdruck

In der heute üblichen Trennung von Wohn- und Gewerbegebieten sieht Le-Menzel dagegen den „Fehler moderner Stadtplanung“: „Das erhöht nur den CO2-Fußabdruck der Bewohner. Es zwingt sie stetig zum Pendeln.“ Darin liegt für Le-Menzel jedoch genau die Fehlentwicklung. Verkehr sei, doziert er, für 20 Prozent aller Treibhausgase in der Atmosphäre und damit für den Klimawandel wesentlich verantwortlich. Da helfe auch keine noch so gut gemeinte Alternative. „Selbst Fahrradreifen verursachen Feinstaub“, korrigiert er in einem Interview, den Irrglauben, das Grundübel des Verkehrs sei mit elektrischen Antrieben technisch lösbar. Le-Menzel geht es ums Grundsätzliche: „Die Frage ist doch, wie wir eine Gesellschaft organisieren, die enkeltauglich ist.“ Er will, dass seine Kinder einmal sagen: „Hey, das habt Ihr gut gemacht.“
Dafür arbeitet der umtriebige Ideen-Umsetzer. Geboren Ende der Siebzigerjahre in einem thailändischen Flüchtlingscamp, kam er als Zweijähriger mit seinen Eltern, die nach der Machtübernahme der Kommunisten aus ihrer Heimat Laos flohen, nach Berlin. Im einstigen Arbeiter-Kiez Wedding übt er sich schon früh als Rapper „Prime Lee“, begeistert sich für Graffiti, studiert später Architektur an der Beuth-Hochschule für Technik und lernt an der Volkshochschule das Tischlern.
Als selbsternannter „Karma-Kapitalist“ entwirft Le-Menzel heute Selbstbaumöbel für Menschen mit kleiner Geldbörse oder er propagiert mit der von ihm gegründeten Tinyhouse-Foundation neue Wohnformen. Prinzip: Zum Wohnen braucht es nicht mehr als die Fläche eines Parkplatzes. Seine Kleinsthäuser passen auf die Ladefläche von Pickups. Die stehen am Straßenrand. Le-Menzels Idee: Wenn Privatpersonen solche fahrbahren Häuschen sponsern könnte – ähnlich wie Popup-Radwege oder Spielstraßen in Berlin – eine von der Zivilgesellschaft getragene Wohnungsinitiative für all jene ein Dach über dem Kopf garantieren, die heute an ausufernden Mietpreisen scheitern und mitunter ganz aus der Bahn katapultiert werden. „Ich bin aktivistisch genug, um die eigenen Privilegien zu teilen“, erklärt der Architekt, „und ich bin visionär genug, um daran zu glauben, dass es richtig ist, wenn Privilegierte ein Stück von ihrem Kuchen abgeben.“
100 Euro-Wohnung, Hartz-IV-Möbel und Roomino
Deshalb teilt Le-Menzel seine Bau- und Konstruktionspläne gern mit allen, die daran ein Interesse zeigen. Bedingung: Die Empfänger sollen ihm später vom Ergebnis ihrer Tätigkeiten berichten. Le-Menzel ist ein Freund des Kooperierens. Austausch gilt ihm, der unter anderem auch als Hochschullehrer arbeitete, als bestes Prinzip, um Wissen zu vermehren. Er nennt das „Crowducation“ und ist überzeugt, „es fördert Eigeninitiative“.
Van Bo Le-Menzel erkennt in seiner eigenen Fluchthistorie den „stillen Antrieb“ für sein vielfältiges Bau- und Sozial-Engagement. „Wie viele andere Migranten bin ich getrieben von der Frage, wo mein Platz auf dieser Welt ist“, analysiert er rückblickend. Da Menschen wie er hier nicht immer wohl gelitten seien, „bauen wir uns Nebenschauplätze, in denen wir Selbstwirksamkeit üben“. Sein Platz, sagt Le-Menzel, sei das Design.
Damit will er Bauen und Wohnen revolutionieren. Le-Menzel entwickelte mit dem Projekt der „100-Euro-Wohnung“ die kleinsten, voll funktionstüchtigen Miet-Häuser Deutschlands. Er entwirft so genannte Co-Being-Häuser oder Hartz-IV-Möbel und zaubert mit „Roomino“, einem Raumteiler-Hochbett, in seiner eigenen Zweizimmer-Bleibe, die er mit Frau und zwei Kindern in Kreuzberg bewohnt, auf elegante Weise mehr Platz auch in dieser eher beengten Wohnung.
Solche Kreativität öffnet dem Architekten immer wieder Möglichkeiten. Das Café im Erdgeschoss seines Mietshauses nutzt er als Büro. In Absprache mit dem Wirt druckt er dort auf dessen Gerät seine Manuskripte odder Pläne aus oder empfängt in der Gaststube Gesprächspartner. „Und wenn ich einmal ausspannen will, dann lege ich mich einfach in mein Tiny House“, lacht Van Bo Le-Menzel. Es steht schließlich ohnehin meist draußen am Straßenrand.
Gerd Pfitzenmaier
Hemmende Bauvorschriften
„Politik muss das Sanieren so attraktiv machen, dass wir kreativer werden im Nachverdichten, Aufstocken, Einhausen.“ Van Bo Le-Menzel ist überzeugt, diesem Ansatz gehöre die Zukunft des Bauens: „Warum nicht Häuser über Autobahnen legen?“, meint der Architekt, „ Das eröffnet die Chance, dass wir künftig nur in Notfällen neu bauen und damit der Flächenversiegelung vorbeugen.“
Was aber behindert die Umsetzung seiner Ideen?
„Die Bauordnung atmet noch den Geist der Industrialisierung mit seiner Phobie vor Durchmischung. Diese Angst ist unbegründet: Es gibt keinen Kohlebergbau mehr in der deutschen Wirtschaft. Daher sollten wir möglichst keine neuen Baufelder mehr ausweisen, um die Versiegelung zu stoppen und lieber fast alle Gebiete in Deutschland zu Kerngebieten erklären, in denen eine maximale Durchmischung und Nachverdichtung möglich ist.“ In einem Interview erklärt Van Bo Le-Menzel seine Gegenstrategie zur Zersiedelung unserer Landschaften: Es sei besser, betont er, kompakte Kleinstädte nach zu verdichten und darum herum dann unantastbare Grüngürtel zu sichern. „Das wäre besser als den Megacitytrend einzelner weniger Städte anzuheizen.“
pit
DerText erschien zuerst in CRADLE. Sustainable Design: Architektur. Bauen. Wohnen. CRADLE erhalten Sie am Kiosk, in Bahnhofs- und Architekturbuchhandlungen und als Einzelheftbestellung oder Abo im Shop des Verlags: https://lnkd.in/eaG3raWp