Atomkraftwerke: Abschalten, jetzt erst recht!
Atomkraftwerke: Abschalten, jetzt erst recht!
spiegel.de: Kernkraft ist eine klimafreundliche Energiequelle, dank der wir sicher durch den Winter kommen? Von wegen! Fünf Gründe gegen den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken, die in der derzeitigen Debatte unterschlagen werden – ein Gastbeitrag von Achim Brunnengräber, Albert Denk und Lucas Schwarz.
Atomkraft bestimmt einmal mehr die Schlagzeilen – Ausstieg, Streckbetrieb oder Laufzeitverlängerung? Gegenwärtig wird die Debatte durch die kriegsbedingte Krise und die Gasknappheit angefeuert. Die Vorstellung von kaltem Duschen, ungeheizten Wohnräumen und exorbitanten Stromrechnungen wirkt auf viele Menschen existenziell und bedrohlich. Angst ist jedoch selten ein guter Ratgeber. Sie führt zu zunehmend populistischen Zügen in der Debatte sowie zu Vereinfachungen und Verkürzungen. Dabei wird der Blick auf angeblich klimaneutrale Atomkraftwerke verengt, die uns in Kriegszeiten mitunter durch den nächsten Winter bringen sollen.
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Nicht grundlos aber hat diese Form der Energiegewinnung über Jahrzehnte hinweg zu heftigen Konflikten geführt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt darüber hinaus einmal mehr, welche Gefahren von Atomkraftwerken gerade im Krieg ausgehen. Dennoch sehen Pro-Atom-Akteure ihre Chance, über das Einfallstor des möglichen Streckbetriebs hinaus die Atomkraft in Deutschland wieder salonfähig zu machen. Laufzeitverlängerungen inklusive der Beschaffung neuer Brennelemente oder gar AKW-Neubauten werden ins Spiel gebracht. Die vielfältigen Argumente gegen die Atomkraft werden in der Debatte unterschlagen:
Erstens ist Atomkraft eine der umweltschädlichsten Energiequellen der Menschheitsgeschichte, obwohl gern das Gegenteil behauptet wird. Das wird nur dadurch möglich, dass nicht die gesamte Energiekette betrachtet wird, die mit dem Uranabbau beginnt. Der Ressourcenkolonialismus hat im brasilianischen, kasachischen oder namibischen Tagebau auch zu Vertreibungen indigener Völker, Brandrodungen, Grundwasserkontaminationen, zum Verlust der Biodiversität oder der Hebung von Grubenwasser samt der Verunreinigung mit Schwermetallen geführt. Nicht nur beim Betrieb des Tagebaus werden große Mengen an Diesel verbraucht, energieintensiv sind auch die Transporte des nuklearen Materials rund um den Globus und die Herstellung der Brennelemente, die wiederum zu den Kernkraftwerken und später zum Zwischenlager oder den Anlagen zur Wiederaufarbeitung transportiert werden müssen.
Zweitens nimmt die Menge an Atommüll, die in ein Endlager eingelagert werden muss, weiter zu, obwohl bis heute – weltweit (!) – noch kein einziges Endlager in Betrieb genommen wurde. Nicht ohne Grund galt in Deutschland zur Inbetriebnahme eines Kernkraftwerks die gesetzliche Nachweispflicht für ein Endlager. Diese Funktion hatte das Erkundungsbergwerk Gorleben ausgefüllt. Gorleben ist allerdings Ende 2020 nach über vier Jahrzehnten des Widerstandes aus der Standortsuche ausgeschieden. Daraus leitet sich die Frage ab, auf welcher Grundlage eigentlich der Weiterbetrieb von AKW hinsichtlich eines immensen Entsorgungsproblems gerechtfertigt ist. In der aktuellen Debatte verschiebt sich der Fokus auf kurzfristige Lösungen, die aber mit den langfristigen Herausforderungen im Widerspruch stehen… weiterlesen