Behindertenwerkstätten: Fair ist anders

Behindertenwerkstätten: Fair ist anders
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Behindertenwerkstätten: Fair ist anders

zeit.de: Warum gelten ausgerechnet in Werkstätten für behinderte Menschen die Standards für fairen Handel nicht? Unternehmen und Kunden dürfen das nicht länger hinnehmen.

Immer mehr Unternehmen setzen auf fair produzierte Produkte, die Kundschaft freut sich über einen Einkauf mit gutem Gewissen. Erst recht, wenn die Waren in Werkstätten für behinderte Menschen hergestellt wurden. Doch gerade dort gelten keine Fairtrade-Standards. Das muss sich endlich ändern, schreibt der Aktivist Raul Krauthausen in seinem Gastbeitrag.

Ralf Krauthausen Screenshot: zeit.de

Konsumentinnen und Konsumenten legen zunehmend Wert auf Produkte, die nachhaltig und fair hergestellt werden. Der Kaffee aus Äthiopien soll so gehandelt werden, dass die Bäuerinnen und ihre Familien dort davon leben können. Dasselbe gilt für Schokolade, Tee und andere Artikel des täglichen Bedarfs wie Blumen, Kleidung oder Teppiche. Zudem greifen wir gerne zu Produkten, mit deren Erlös auch noch soziale Projekte für Frauen und Kinder gefördert oder einem Dorf sauberes Trinkwasser ermöglicht wird. Garniert wird das gute Gewissen der Konsumenten, aber auch vieler Unternehmerinnen, wenn auf den Produkten auch noch ein Aufkleber wirbt: „Produziert in einer Werkstatt für behinderte Menschen“. Alles richtig gemacht also?

Leider ist dem nicht so, denn in diesen Werkstätten gelten die Fairtrade-Standards zum Beispiel in Bezug auf einen existenzsichernden Lohn, das Streikrecht und die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft nicht. Nur schaut keiner so genau hin, wer den in Sri Lanka fair eingekauften Tee hier in Deutschland verpackt und verschickt.

320.000 Personen arbeiten in Deutschland in Werkstätten für behinderte Menschen. Die Zeiten, in denen sie nur Adventskränze für den Weihnachtsbasar gesteckt oder Kugelschreiber gedreht haben, sind vorbei. Diese Werkstätten haben eine hohe Professionalisierung durchgemacht und bieten eine breite Palette von Produkten an – auch fair gehandelte Waren, wie unter anderem Tee, Kaffee und Schokolade. Große Unternehmen, darunter Vorreiterinnen des fairen und sozialen Handels, werben damit, hundertprozentig fair und engagiert zu sein und arbeiten gleichzeitig eng mit Werkstätten für behinderte Menschen zusammen. Es gibt zahlreiche Onlineshops für faire, nachhaltige Produkte, die auch Waren aus Werkstätten verkaufen.

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Arbeiten für 1,35 Euro die Stunde

Das Problem dabei: In den Werkstätten stellen die Menschen zwar hochwertige Waren her und führen für Unternehmen und Verwaltungen sehr professionell Dienstleistungen durch. Sie sind aber dennoch keine regulären Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern lediglich Beschäftigte. Denn sie sind eigentlich als Rehabilitantinnen und Rehabilitanten in den Werkstätten, dort sollen sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereitet und in einen regulären Job vermittelt werden. Nur passiert das so gut wie nie. Stattdessen arbeiten die meisten dort ihr ganzes Berufsleben für bis zu 35 Stunden in der Woche. Sie haben keine Betriebsräte, nur schwache Werkstatträte, kein Streikrecht und verdienen im Schnitt nur 1,35 Euro die Stunde. Für ihren Lebensunterhalt sind sie auf staatliche Zahlungen angewiesen.

Dabei gibt es jetzt das vor Kurzem verabschiedete Sorgfaltspflichtengesetz, besser bekannt als das Lieferkettengesetz. Deutsche Unternehmen müssen demnach dafür sorgen, dass in ihren gesamten Lieferketten die Menschenrechte eingehalten werden. Und es gibt die UN-Behindertenrechtskonvention, die die universellen Menschenrechte aus der Perspektive der Menschen mit Behinderungen konkretisiert und spezifiziert. Sie beinhaltet, dass Menschen mit Behinderungen ihren Lebensunterhalt in einem offenen, integrativen und zugänglichen Arbeitsmarkt und Umfeld verdienen sollen. Beschäftigten in deutschen Behindertenwerkstätten wird dieses Recht jedoch nicht gewährt – eine Tatsache, für die die Bundesrepublik von den Vereinten Nationen bereits gerügt wurde… weiterlesen

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