Die Mehrheit muss nur ihren Verstand einschalten
„Die Mehrheit muss nur ihren Verstand einschalten“
„Die Vorstufe zum Paradies“ nennt Günter Grzega sein Büchlein, das der ehemalige Chef der Münchner Sparda-Bank gemeinsam mit der Nürnberger Journalistin Sarah Benecke und dem Leiter der Erlanger Psychiater, Prof. Dr. Gunther Moll verfasste. Die Autoren suchen darin die Antwort, ob menschliche Fähigkeiten reichen, unsere Gesellschaft ins Paradies zu führen und – ganz realistisch – ob dies bezahlbar sei. Ihr Fazit: Wir können das schaffen!
Im Gespräch mit global° erläutert Günter Grzega, was wir machen müssen, um dieses große Ziel zu erreichen.
Wie wird ein Banker zum Utopisten?
Günter Grzega: Ihre Frage ist falsch. Ich bin kein Utopist, sondern Optimist, denn ich kenne einerseits gerade als Banker die zerstörerischen Folgen – und zwar nicht nur finanzmathematisch betrachtet – eines Wachstumsfetischismus und der Gewinnmaximierungs-Ideologie. Ich weiß andererseits auch, dass die Gesellschaft als evolutionäres Projekt immer in der Lage war, Fehlentwicklungen zu überwinden…
Damit meinen Sie…?
…etwa wie der Weg vom Feudalismus zur Demokratie führte oder ganz aktuell in unserer Zeit: die Auflösung der DDR.
Haben andere Unternehmer, die Sie treffen, Verständnis für Ihre Thesen?
Aber sicher!
Woraus schöpfen Sie diese Gewissheit?
Meine Thesen bauen ja auf dem Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie – kurz GWÖ – auf. Diese startete erst vor wenigen Jahren, und zwar 2011, als „Graswurzel-Bewegung“ von und mit 15 Unternehmerinnen und Unternehmern. Gerade weil es kein „von oben“ angeordnetes Konzept ist, verbreitete sich die GWÖ bei Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Managerinnen und Managern sehr rasch, und zwar zunächst hauptsächlich in Deutschland und Österreich. Inzwischen ist die GWÖ-Bewegung in ganz Europa, in Nord-, Mittel- und Südamerika und auch in einem afrikanischen Staat in der Diskussion. Heute unterstützen uns mehr als 2.000 Unternehmen sowie einige Gemeinden. Diese erstellen inzwischen eine auditierte Gemeinwohl-Bilanz. Auch in der universitären Wissenschaft und der Politik ist GWÖ längst angekommen. Sie ist Thema bei der Formulierung zur Wirtschaft in Koalitionsverträgen, etwa in Baden-Württemberg, Hessen und Bremen. Selbst in der EU-Gesetzgebung hat das Konzept Eingang gefunden.
Warum genau sind Sie überzeugt davon, dass wir auf dem Weg – wie Ihr Buchtitel sagt – „ins Paradies“ sind?
Also wir wollen nicht übertreiben. Nicht das Paradies ist unser Ziel, sondern die „Vorstufe zum Paradies“ – davon handelt das Buch. Auch dieser Ausdruck stammt nicht von uns, sondern ist ein Ausspruch des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Wir empfanden seine Worte damals zwar eher als satirisch…
Dennoch halten Sie an dem Bild fest?
Ja, weil wir eine solchermaßen gelingende Gesellschaft ganz bestimmt erreichen werden, wenn wir die grundsätzlichen Forderungen der GWÖ, nämlich unser Handeln als Unternehmen oder Gemeinde sowie auch als Privatperson stets daran messen, ob es den Menschen, der Umwelt und dem Frieden dient. Die aktuellen Ereignisse wie die Fridays-for-Future-Bewegung, die sensationelle Verbreitung des Rezo-Videos, zeigen mir deutlich, dass immer mehr Menschen den Wandel zu einem dem Gemeinwohl dienenden Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell ernsthaft wollen.
Wie optimistisch sind Sie, dass Ihre Erkenntnisse (wie paradiesische Zustände mach- und finanzierbar sind) irgendwann Mainstream werden (können)?
Wirklich sehr optimistisch. Die spürbare Unruhe in der Gesellschaft, dass der zerstörerische Neoliberalismus überwunden werden muss, greift immer mehr auch auf die politischen Parteien über.
Frage an den Ex-Bankvorstand Günter Grzega: Wer soll das bezahlen können?
Finanzierbar ist der Wandel zu einer gemeinwohlorientierten ökosozialen Marktwirtschaft selbstverständlich, das verspreche ich Ihnen als Banker.
Und wie?
Es gab noch nie so viel Geld und Vermögen in unseren entwickelten Gesellschaften als aktuell. Die politischen Entscheiderinnen und Entscheider müssen nur die derzeit unfaire Verteilung von Einkommen und Vermögen beseitigen, ein faires Besteuerungssystem etablieren und die damit zu gewinnenden Finanzmittel für die Umsetzung eines am Gemeinwohl orientierten demokratischen Gesellschaftssystems verwenden. Und wenn alle Beteiligten, also auch die Superreichen, merken, dass dadurch die Zukunft auch für Finanzeliten sicherer wird und zwar ohne großen Verzicht, dann werden unsere Erkenntnisse, eben das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie, schnell zum Mainstream.
Was muss geschehen, damit Ihre Vision Realität wird?
Eigentlich muss lediglich die Mehrheit, vor allem die Eliten in Wirtschaft und Politik, einfach den Verstand einschalten und unsere Vision „Vorstufe zum Paradies“ wird ziemlich rasch zur Realität.
Sicher?
Es kann auch sein, dass wir zunächst noch einmal einen großen Finanzcrash brauchen, der bei Fortführung des derzeitigen Systems unvermeidlich ist. Vielleicht schalten wir erst dann tatsächlich mehrheitlich den Verstand ein.
pit
Gunther Moll, Sarah Benecke, Günter Grzega
Die Vorstufe zum Paradies für uns alle
Warum wir sie erreichen können und wie sie finanzierbar wäre
Papeto Verlag, 2018
122 Seiten
10 €