Eine Autobahn gegen den Artenreichtum

Eine Autobahn gegen den Artenreichtum
Waldemei im Sauerland Foto: Sorpetaler07/wikimedia cc 3.0

Eine Autobahn gegen den Artenreichtum

zeit.de: In einem Wald bei Menden leben Salamander neben seltenen Libellen. Die A46 soll ihn teilen. Umweltschützer sind überzeugt: Der Bau schadet mehr, als er je nützen wird.

Stefan Ketzscher ist der Ansicht, dass er in diesem Artikel keine Rolle spielen sollte. Dabei würde es den Text ohne den Ökologen gar nicht geben. Ketzscher findet andere Dinge für die Berichterstattung wichtiger als sich selbst. Nämlich die Waldemei, einen alten Wald in der Umgebung seines Wohnorts Menden im Sauerland. Und alles, was darin lebt.

Wälder wie diesen gibt es nicht mehr viele in Deutschland. Die Waldemei erstreckt sich über zehn Quadratkilometer und bietet Platz für viele verschiedene Wälder. Es gibt einen reinen Buchenwald, einen Buchen-Eichen-Mischwald, einen Eichen-Birken-Feuchtwald, einen Traubeneichenwald und einen Erlenwald. Ein Teil ist Wildnis, andere Gebiete werden wirtschaftlich genutzt. Südhänge bieten Wärme, Bäche bringen Feuchtigkeit, in alten Bäumen finden Spechte und Fledermäuse Unterschlupf und vom Totholz ernähren sich Insekten.

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Alle paar Schritte stößt man hier auf ein neues kleines Ökosystem. Deshalb findet Ketzscher: Die Waldemei muss geschützt werden. Für sie sucht er nun doch die Öffentlichkeit.

Autobahnbaupläne trotz Klimazielen

Denn die Waldemei ist bedroht. Mitten durch den Wald soll eine Autobahn gebaut werden. Seit Jahrzehnten laufen die Planungen für die Trasse der A46, immer wieder wurde die Streckenführung verändert. Aufgegeben wurde das Vorhaben nie. Der Bundesverkehrswegeplan stuft es als vordringlichen Bedarf (VB) ein – trotz der Klimaziele, zu denen die Bundesregierung gesetzlich verpflichtet ist; obwohl die Emissionen gerade im Verkehr viel schneller sinken müssten; obwohl es den Wäldern in Deutschland schon jetzt so schlecht geht; obwohl Deutschland sich im Dezember auf der Biodiversitätskonferenz in Montreal zu mehr Artenschutz verpflichtet hat.

„Unsere ganze Existenz hängt davon ab, dass die Natur intakt bleibt und die ökologischen Wechselwirkungen funktionieren“, sagt Ketzscher. „Je nach wissenschaftlicher Quelle müssen wir 30 bis 50 Prozent der Erdoberfläche unter Naturschutz stellen, damit die Menschheit überhaupt weiter existieren kann.“

Umweltverbände fordern, die Politik solle weniger neue Autobahnen bauen und sich stattdessen darauf konzentrieren, bestehende Strecken instand zu halten. Wie die Grünen in der Bundesregierung wollen sie vor allem den Schienenausbau beschleunigen. Auch das Land Nordrhein-Westfalen zieht laut einem Sprecher Sanierungen einem Straßenneubau vor. Doch Verkehrsminister Volker Wissing und die FDP bestehen darauf: Auch der Autobahnbau soll schneller vorangetrieben werden.

Um die bisherigen Ausbaupläne nicht zu gefährden, kalkuliere das Verkehrsministerium im Straßenverkehr sogar mit besonders niedrigen Kosten für jede Tonne CO2, berichtete kürzlich der Newsletter Berlin.Table. Die Folge: Straßenbauprojekte erscheinen wirtschaftlicher. Und während die Ampel-Regierung in Berlin über die Verkehrspolitik streitet, fürchtet Ketzscher in Menden weiter um den Wald.

Den Schaden auszugleichen sei praktisch unmöglich

Ketzscher kennt die Waldemei gut. Er ist in dem Wald unterwegs, wann immer er kann. Früher hätten die Bauern der Gegend ihre Tiere zum Fressen hineingetrieben, erzählt er. Daher komme auch der Name Waldemei, er bedeute so etwa: Wald der Allgemeinheit. Wie sehr das das Ökosystem prägte, könne man auf alten Luftbildern aus den Vierzigerjahren noch erkennen: „Da gab es einzelne Bäume auf ansonsten gehölzfreien Teilflächen.“ Heute ist die Parklandschaft von damals zum Wald herangewachsen.

Ketzscher weiß, wie man die ökologische Bedeutung von Landschaften einschätzt. Am Umweltamt der Stadt Menden hat er mehr als 30 Jahre lang Biotope kartiert – also genau erfasst, welche Pflanzen und Tiere an einem Standort vorkommen und wie ihre Lebensbedingungen sind. Er legte ökologisch vielfältige Biotope an und sorgte für ihre Pflege. Er schuf Ausgleichsflächen, wenn von der Stadt genehmigte Baumaßnahmen die Natur beschädigten. Legte ein Bauherr etwa Feuchtgebiete trocken, musste die Stadt an anderer Stelle neue, ökologisch vergleichbare Gewässer entstehen lassen. Diese Art von Ausgleich ist ein wichtiges Instrument im deutschen Naturschutzrecht.

Doch den Schaden durch die geplante Autobahn auszugleichen, hält Ketzscher für praktisch unmöglich. „In der Waldemei stehen teils über 100 Jahre alte Bäume. Dem tatsächlichen Wert des Waldes wird so ein amtliches Ausgleichsverfahren erfahrungsgemäß nicht gerecht.“

„Die teuerste Ortsumfahrungsautobahn in Deutschland“

Dabei geht es nur um knappe 20 Kilometer Fahrbahn. So lang ist die Lücke zwischen zwei Teilen der A46, die in der Nähe von Menden geschlossen werden soll. Der Plan mag nicht so prominent sein wie andere umstrittene Vorhaben – beispielsweise zum Ausbau der Berliner Stadtautobahn A100, der A20 in Norddeutschland oder der A66, gegen den Aktivistinnen und Aktivisten im Frankfurter Fechenheimer Wald Bäume besetzt hielten. Doch auch in Menden gibt es Widerstand. Die Naturschutzorganisation BUND zählt die A46 zu den zwölf „absurdesten“ Autobahnprojekten in Deutschland. Mehrere betroffene Kommunen, unter ihnen Arnsberg, Menden und Fröndenberg, sprechen sich ebenfalls gegen den Lückenschluss aus… weiterlesen

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