Eine müllfreie Welt ohne Verzicht auf Konsum
Eine müllfreie Welt ohne Verzicht auf Konsum
CHEManager-online.org: Interview mit Michael Braungart, Gründer der Umweltschutz-Ermutigungs-Agentur und Erfinder des Cradle-to-Cradle-Konzepts.
Eine müllfreie Welt ohne Verzicht auf Konsum mit einer konsequenten Kreislaufwirtschaft ist dies kein Problem, sagt Professor Michael Braungart, Gründer der Umweltschutz-Ermutigungs-Agentur (Environmental Protection Encouragement Agency, EPEA). Andrea Gruß sprach mit dem Erfinder des Cradle-to-Cradle-Konzepts über Nachhaltigkeit, neue Strategien gegen den Klimawandel und seine Vision einer „guten“ Chemie.
CHEManager: Herr Professor Braungart, Sie sind ein anerkannter Nachhaltigkeitsexperte. Mit dem Begriff Nachhaltigkeit können Sie jedoch nur wenig anfangen. Warum?
Michael Braungart: Der Begriff stammt aus der Forstwirtschaft. Und dort hat er auch seine Berechtigung, wenn wir uns wünschen, dass auch in 1.000 Jahren noch die gleichen Eichen, Buchen oder Birken in unseren Wäldern stehen. Aber wollen wir in 1.000 Jahren wirklich noch auf den gleichen Schreibtischstühlen sitzen? Echte Innovation ist nicht nachhaltig, sonst wäre sie ja keine.
Das heißt, Nachhaltigkeit ist kein Zukunftskonzept?
M. Braungart: Nachhaltigkeit kann sogar kontraproduktiv wirken, wenn sie das Bestehende stabilisiert und das Bestehende falsch ist. Die Waschmaschine war nicht nachhaltig für die Leute, die vorher die Wäsche im Fluss gewaschen hatten. Das Mobiltelefon war nicht nachhaltig für die Leute, die vorher stationäre Telefone hergestellt hatten. Zudem ist die Definition der Nachhaltigkeit eine sehr traurige. Es geht darum die Bedürfnisse der jetzigen Generation zu erfüllen, ohne den zukünftigen zu schaden. Aber will ich nicht gut für meine Kinder sein?
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Wir denken, es reicht, wenn wir ein bisschen weniger zerstören, in dem wir weniger Auto fahren oder weniger Müll produzieren. Damit schützen wir aber nicht die Umwelt, wir machen nur weniger kaputt. Wir schützen ja auch nicht unser Kind, in dem wir es „nur“ noch fünfmal statt zehnmal schlagen. Wir brauchen nicht mehr Nachhaltigkeit, sondern einen Paradigmenwechsel.
Inwiefern?
M. Braungart: Wir können Menschen als Chance für die Umwelt sehen und nicht als Belastung. Es geht nicht darum, weniger schlecht zu sein, sondern gut – sowohl für die Umwelt als auch die Gesellschaft und Wirtschaft. Um etwas zu verändern, sollten wir die europäische Problemdenkweise, die amerikanische Handlungsorientierung und das asiatische Denken in Kreisläufen kombinieren mit südlicher Lebensfreude.
Was steckt hinter dem asiatischen Denken in Kreisläufen?
M. Braungart: Wenn man in China auf dem Land zum Essen eingeladen wird, erwarten die Gastgeber, dass man so lange bleibt, bis man die Toilette aufsucht. Es gilt als unhöflich, zu gehen und die Nährstoffe mitzunehmen. Schließlich ist man zum Essen eingeladen worden und nicht zum Nährstoffdiebstahl. In der westlichen Welt definieren wir Menschen uns dagegen nicht als Teil der Biosphäre. „Bio“ geht nur ohne uns. Es gibt kein Biosiegel, das es erlaubt, menschliche Fäkalien zu nutzen. Dabei muss ich jeden Tag zwei Gramm Phosphat aufnehmen und ausscheiden, um Zähne und Knochen aufzubauen und die Energiespeicherung im Körper zu ermöglichen. Jeder echte Biobauer wäre dankbar für meine Stoffwechselprodukte.
Ein anschauliches Beispiel wie Nährstoffe im Kreis geführt werden. Auf diesem Prinzip basiert auch das Cradle-to-Cradle-Konzept, das Sie gemeinsam mit William McDonough vor rund 30 Jahren entwickelt haben. Kreislaufwirtschaft ist auch ein zentraler Aspekt des EU Green Deal. Wie viel Cradle to Cradle steckt im Green Deal?
M. Braungart: Im Green Deal steckt zu etwa 80 % Cradle to Cradle. Circle Economy ist die Unterscheidung zwischen Biosphäre und Technosphäre. Und genau das ist auch ein zentraler Punkt von Cradle to Cradle. Dinge, die bei ihrer Anwendung verschleißen, zum Beispiel Schuhsohlen, Bremsbeläge oder Autoreifen, werden so gestaltet, dass ihr Abrieb für biologische Kreisläufe geeignet ist… weiterlesen