Europas Gas-Kauf knipst in Schwellenländern Lichter aus

Europas Gas-Kauf knipst in Schwellenländern Lichter aus
handelsblatt.com: Europa ringt um Alternativen zu russischem Gas – und in Schwellenländern geht das Licht aus. In Bangladesch beherrschen derzeit mitten in der Sommerhitze tägliche, oft stundenlange Stromausfälle den Alltag. Einkaufszentren und Märkte müssen auf Anordnung der Behörden bereits wenige Stunden nach Einbruch der Dunkelheit schließen, um Energie zu sparen. Den Kraftwerken fehlt es seit Wochen an ausreichenden Brennstoffen, um genug Strom für die knapp 170 Millionen Einwohner des Landes zu produzieren.
Die Krise ist direkte Folge der Turbulenzen an den europäischen Energiemärkten: Russlands verringerte Gaslieferungen haben die europäische Nachfrage nach per Schiff geliefertem Flüssiggas stark ansteigen lassen. In Schwellenländern des globalen Südens, die bereitsauf Liquefied Natural Gas (LNG) setzten, sind die Gastanker hingegen rar geworden. Die lokalen Energieversorger können es sich nicht mehr leisten, angesichts des Preisanstiegs am Weltmarkt mitzubieten.
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Steve Hill, der bei dem Energiekonzern Shell das Flüssiggasgeschäft verantwortet, schlug schon im vergangenen Monat Alarm: „Europa saugt LNG aus der Welt.“ In Entwicklungsländern komme daher weniger an.
In den betroffenen Ländern wächst die Empörung. So auch bei Khondaker Golam Moazzem, Ökonom am Centre for Policy Dialogue in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. „Die Lieferanten versorgen lieber die Hochpreismärkte in Europa“, klagt er. „Wir werden vom Markt verdrängt, was Millionen Menschen in die Dunkelheit stürzt.“
Bangladesch deckt ein Fünftel seines Gasbedarfs aus LNG-Importen. Die Preise, die das Land dafür in den vergangenen Monaten bezahlen musste, haben sich laut dem britischen Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) im Vergleich zu Mai 2021 verfünffacht. Im Vergleich zu Mai 2020 liegen die Kosten sogar zehnmal höher. Experten fürchten, dass die Kosten noch weiter steigen könnten, wenn auch Deutschland seine geplanten Flüssiggasterminals in Betrieb hat.
Bangladesch ist nicht das einzige asiatische Land, das die Engpässe stark zu spüren bekommt: Kaushal Ramesh, Analyst bei dem Energieberater Rystad Energy, hält den Flüssiggaspreis von mehr als 30 Dollar pro MMBtu (Million British Thermal Units) am Spotmarkt auch für Indien und Pakistan für nicht mehr bezahlbar. Wo es zu LNG keine Alternativen gebe, seien Stromausfälle die Folge.
In Pakistan gehen die Klimaanlagen aus
Für Pakistan, das derzeit in einer schweren Wirtschaftskrise steckt und am Rande der Zahlungsunfähigkeit steht, ist das bereits Realität: Teile des Landes waren zuletzt mehr als zwölf Stunden am Tag ohne Strom – und damit bei Temperaturen von mehr als 40 Grad auch ohne Klimaanlagen und Ventilatoren. Um Energie zu sparen, reduzierte die Regierung die Arbeitszeit von Behördenmitarbeitern.
Für seine LNG-Importe hatte Pakistan zwar bereits vor Jahren langfristige Verträge zu finanziell günstigen Konditionen abgeschlossen. Doch die Lieferungen blieben in den vergangenen Monaten aus – angeblich weil die Vertragspartner selbst von Engpässen betroffen waren.
Pakistan und Bangladesch verhandeln derzeit mit dem Internationalen Währungsfonds über Finanzhilfen, um die steigenden Importkosten bewältigen zu können. Ökonom Moazzem sieht aber auch Europa in der Verantwortung. „EU-Politiker müssen sich der Realität mit Blick auf ihre Rolle bei den steigenden Kosten in anderen Ländern stellen“, fordert er… weiterlesen