Faktencheck zu Habecks Merkel-Kritik
Faktencheck zu Habecks Merkel-KritikFaktencheck zu Habecks Merkel-kritik
focus.de: Robert Habeck wetterte im Bundestag gegen die Klimapolitik früherer Bundesregierungen. Er bemängelte die immer größere Abhängigkeit von russischen fossilen Energien, mangelnde Diversifizierung und die Nichteinhaltung der klimapolitischen Ziele. Zu Recht?
Neulich im Bundestag. Es ging um das von der Ampel-Regierung vorgelegte Gesetzespaket zum schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Als die CDU/CSU daran Kritik übte, platzte dem grünen Wirtschafts- und Klimaminister der Kragen.
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„Wenn man sich vor Eisbergen fotografieren lässt, aber vergisst, dass Eisberge schmelzen. Wenn man aus allen möglichen Dingen aussteigt, zu Recht, aber vergisst, dass man dafür eine Infrastruktur aufbauen muss. Wenn man klimapolitische Beschlüsse fasst, sie aber nicht mit Maßnahmen hinterlegt, dann lässt man Deutschland im Regen stehen“, wetterte Robert Habeck im Bundestag.
Damit war Habeck noch nicht am Ende mit seiner Philippika und hielt früheren Regierungen weitere energiepolitische Versäumnisse vor: „Und das haben wir in der Vergangenheit erlebt: immer größere Abhängigkeit von russischen fossilen Energien, mangelnde Diversifizierung, Nichteinhaltung der klimapolitischen Ziele, schleppender, ja zusammengebrochener Ausbau der erneuerbaren Energien.“
Kalter Winter: Habeck schiebt die Schuld auf die Klimapolitik der Regierungen seit 2005
Wenn die Deutschen also im Winter frieren müssen, weil wir ausbleibende russische Gaslieferungen nicht durch erneuerbare Energien ersetzen können, dann liegt das, so lässt sich aus Habecks Rede schließen, in erster Linie an der Klimapolitik der Bundesregierungen seit 2005. Seitdem waren die Grünen im Bund in der Opposition.
Bei ihrer Kritik stecken die Grünen indes in dem Dilemma, dass ihr größerer Koalitionspartner SPD in zwölf der sechzehn Regierungsjahre von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit am Kabinettstisch saß, zuletzt mit Olaf Scholz (SPD) als Vizekanzler. Und dass die Sozialdemokraten in dieser Zeit der CDU/CSU vieles abgetrotzt haben, was nicht der Unionslinie entsprach. Das betraf aber – Stichworte: Mindestlohn und Rente – in erster Linie die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
In der Energiepolitik hatte die SPD keineswegs versucht, die CDU/CSU vor sich herzutreiben; sie ist auch nicht von der Union ausgebremst worden. Vielmehr waren sich die Partner in der Großen Koalition in zwei Punkten einig: Erdgas aus Russland ist erstens ein günstiger Rohstoff für die Industrie und eine preiswerte Energiequelle für alle. Zweitens sollte die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft durch das Umsteigen auf erneuerbare Energien nicht zu sehr belastet werden.
Seit den 1970er Jahren importierte Deutschland immer mehr russisches Gas
Bei ihrem Versuch, alle energie- und klimapolitischen Versäumnisse der Vergangenheit in erster Linie bei der CDU/CSU abzuladen, unterschlagen Habeck und andere Grüne freilich eines: Es waren nicht sie, sondern ausgerechnet eine CDU/FDP-Regierung, die 2011 unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima eine atemberaubende Kehrtwende vollzog und den überstürzten, vollständigen Ausstieg aus der Kernenergie beschloss.
Dieser erfolgte weniger aus ökologischen Überlegungen als aus parteitaktischen. Nach Fukushima war die öffentliche Meinung so eindeutig gegen Strom aus Atommeilern, dass CDU und FDP um ihre Wahlchancen bei den anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz fürchteten. Die abrupte Kehrtwende nutzte Schwarz-Gelb freilich nichts: Beide Wahlen gingen verloren.
Der schnelle, geradezu kopflose Abschied von der in Bezug auf den CO2-Ausstoß klimafreundlichen Kernkraft wird von den Grünen nicht kritisiert, wohl aber die einseitige Abhängigkeit Deutschlands von russischem Erdgas und russischem Erdöl .
Diese Importe sind seit den 1970er-Jahren ständig angestiegen: von null auf 55 Prozent aller Gasimporte im Jahr 2021. Dabei wird gerne übersehen, dass die Entscheidung für die Pipeline Nord Stream 1 noch kurz vor dem Ende der Regierungszeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder getroffen wurde, also in der Endphase von Rot-Grün.
Gas galt als klimafreundlicher als Kohle
2015 fiel dann die Entscheidung für Nord Stream 2. Was Bundeskanzler Scholz – ebenso wie früher Merkel – noch bis zum russischen Überfall auf die Ukraine als „privatwirtschaftliches Projekt“ bezeichnete, war jedoch Teil der Energiepolitik der Großen Koalition.
Wobei sich die Koalitionspartner weitgehend darin einig waren, die Energieimporte dem Markt zu überlassen, also der deutschen Energiewirtschaft und dem russischen Staatskonzern Gazprom.
Höhepunkt dieser Politik der energiepolitischen Abstinenz der Regierung war der Tausch der zur BASF gehörenden deutschen Gasspeicher an Gazprom gegen Bohrrechte in Sibirien. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sah nichts Kritikwürdiges daran, diesen Teil unserer lebenswichtigen Infrastruktur praktisch dem Kreml zu überlassen… weiterlesen