Für Bergleute gibt es keinen Ausweg aus der Gefahrenzone
Für Bergleute gibt es keinen Ausweg aus der Gefahrenzone
Mir fielen immer ihre Augen auf, rot und eingefallen. Die Haut mit Kohlenstaub und Schweiß bedeckt, von Kohle verdunkelte Overalls. Ich erinnere mich noch gut an den Ansturm am dem Ende einer Schicht, die halben Laibe Brot, die den hungrigen Minenarbeitern gereicht wurden. Der dicke Staub, der sich in ihre abgewetzten Finger eingrub und sich mit der Kruste vermischte. Die Bergarbeiter kauften halbe Laibe, weil sie billiger waren und eine schnelle, sättigende Mahlzeit boten. Der halbe Laib wurde mit einem traditionellen fermentierten Getränk, „Amasi“, gepaart. Und ich erinnere mich noch an das mit Kohlenstaub überzogene Geld.
Meine persönliche Geschichte ist mit dem Bergbau eng verflochten. Als meine Eltern mich von Griechenland nach Südafrika brachten, war ich gerade mal vier Jahre alt. Wir ließen uns in einer Stadt nieder, die damals Witbank hieß, 113 Kilometer von Johannesburg entfernt. Heute ist sie unter ihrem Nguni-Namen eMalahleni bekannt, was wörtlich „Ort der Kohle“ bedeutet.
Schon damals gab es kein Entkommen vor dem Produkt der Stadt. Als Kinder schmierten wir Vaseline auf die Fenster, um zu sehen, wie schnell sich der allgegenwärtige Kohlestaub auf den Fenstern ansammeln würde. Der Schwefelgeruch durchdrang die Luft – es war ein Running Gag, dass unsere Stadt ein faules Ei sei und andere unangenehme Körpergerüche überdecken könne.
Meine Mutter ging häufig zum Arzt, im Bestreben, meine chronischen Atembeschwerden zu beheben, die zweifellos unserer Nähe zur Haupteinnahmequelle der Stadt geschuldet waren. Was uns [er]nährte, schwächte uns auch.
Im Jahr 2013, als ein Forschungsteam der Europäischen Union zur Messung der Luftqualität in der Umgebung der Stadt kam, waren die Chrom- und Bariumwerte so hoch, dass ihre Instrumente keine genauen Messungen aufzeichnen konnten.
Die halben Laibe in den Händen dieser Bergleute wurden ihnen von meinem Vater übergeben, der auf einem Bergbau-Wohngrundstück einen kleinen Gemischtwarenladen betrieb, der alles von Backwaren bis hin zu Reinigungsmitteln verkaufte. Dort verbrachte ich Mitte der 90er Jahre meine Wochenenden und Schulferien. Wir kauften Brote von einer Bäckerei und schnitten sie, um die Nachfrage nach kleineren, erschwinglichen Portionen zu befriedigen. Bergleute und ihre Familien kamen und fragten nach halbem Weißbrot oder „isinkwa isimhlope“, und was mir immer auffiel, war die Unmenge an kleinen Münzen, mit denen der Kauf getätigt wurde.
Meine Eltern sprachen bei ihrer Ankunft in Südafrika wenig Englisch, und als Kind habe ich oft für sie übersetzt. Der Gemischtwarenladen war meine Verbindung zu einer Welt, die bis heute bei mir geblieben ist; der Tresen, der mich von den Kunden trennte, ein physisches Symbol für die Ungleichheiten zwischen ihrem Leben und meinem.
Ich lernte dort meine ersten Worte der Zulu-Sprache, und lernte auch ein wenig zu verstehen, was es bedeutet, tief unter der Erde zu arbeiten: die Härte, Ausdauer und Entschlossenheit, der Schmutz, die Armut und die Risiken. Diese Risiken haben mich auch persönlich berührt. Im Jahr 2014 kam ein enger Freund, Monate vor seiner Hochzeit, bei einem Grubenunglück ums Leben. In einer bitteren Wendung des Schicksals musste ich damals sogar die Nachricht auf Sendung verkünden.
Und dennoch war ich bis heute noch nie in einem Kohlebergwerk gewesen. Beim Abstieg in zweihundert Meter Tiefe, in der Impumelelo-Mine von Sasol in Secunda, war ich angespannt, aber auch gespannt darauf, endlich ein zusätzliches Stück des Puzzles zu ergattern.
Covid-19 hat diesem bereits gefährlichen Geschäft eine neue Risikoebene hinzugefügt. Kohle ist für die südafrikanische Wirtschaft nach wie vor absolut lebenswichtig; rund 80% der Energieversorgung des Landes stammen immer noch aus Kohle. Aus diesem Grund gab es bisher keine Möglichkeit einer Pandemiepause.
Alle, die hier arbeiten, sind für den Betrieb der Mine unerlässlich, und Sasol nimmt ihre Sicherheit ernst. Bevor wir hinabsteigen, werden wir eingewiesen und mit spezieller Ausrüstung ausgestattet – Notfall-Atemgeräte und ein Sensor an meinem Gürtel, der schwere Maschinen automatisch stoppt, wenn ich ihnen zu nahe komme. „Jeder im Bergwerk ist von entscheidender Bedeutung,“ erklärt Sandile Siyaya, der Generaldirektor des Bergwerkes.
Aber die Vorsichtsmaßnahmen von Covid-19 stellen eine noch ganz andere Herausforderung dar. Das Unternehmen hat strenge Vorschriften eingeführt, um die Sicherheit seiner Bergleute und den Betrieb seiner Minen zu gewährleisten. Masken sind allgegenwärtig, die Desinfizierung zwischen den Schichten ist Pflicht. Vor Ort gibt es eine Klinik, in der die Mitarbeiter getestet, überwacht und betreut werden. Doch selbst mit diesen Vorkehrungen gab es allein in diesem Bergwerk mehr als 100 Fälle. Wenn der Test eines Bergmanns positiv ausfällt, werden alle Mitarbeiter der betreffenden Sektion unter Quarantäne gestellt. Infolgedessen sinkt die Produktivität um etwa 16%.
Die Arbeit der Bergleute ist in mehr als ein er Hinsicht unverzichtbar. Pelaelo Mthombeni war die erste Mitarbeiterin des Bergwerks, die an dem Virus erkrankte. Sie hat sich mittlerweile erholt und ist nun dankbar, wieder unter Tage zu sein. „Meine Kinder gehen wegen dieser Arbeit zur Schule“, sagt sie mir. „Ich kann wegen dieses Jobs eine Haushaltshilfe bezahlen, ich kann viele Dinge tun, ich kann meine Familie unterstützen.“
Davis Cook, CEO des Forschungsinstituts für Innovation und Nachhaltigkeit, erklärt, dass die Kohleindustrie aufgrund ihrer Größe besondere Probleme habe. Die Branche beschäftigt rund 430.000 Menschen in Südafrika. Cook sagt, dass „Community Transmission“ (Übertragung innerhalb einer Gemeinschaft) in der Kohleindustrie „einen weit größeren Einfluss“ habe als im Gold- und Platinbergbau, die zusammen etwa 300.000 Menschen beschäftigen.
Der Bergbau hier hat auch das Erbe der Apartheid und das mangelnde Interesse dieses Systems am Wohlergehen der schwarzen Arbeiter ertragen müssen. Es stellte sich immer die Frage, ob die Bergbauunternehmen genug für ihre Gemeinschaften und die ihrer Arbeiter tun.
Dr. Thuthula Balfour, Leiterin des Bereichs Gesundheit beim Minerals Council South Africa, bestätigt, dass die Branche der Gesundheit weniger Priorität als der Sicherheit eingeräumt hat. „Es stimmt schon, dass es für die Menschen im Laufe der Jahrzehnte schwierig war, Gesundheit auf dem gleichen Niveau wie Sicherheit zu sehen, und vielleicht liegt es daran, dass die Sicherheit so krass und unmittelbar im Vordergrund steht, wenn jemand unter Tage vor Ihren Augen stirbt, verglichen zu jemandem, der an einer Krankheit stirbt.“
Sie glaubt, dass Covid-19 diese Gewichtung verschieben könnte. „Ich denke, dass diese Epidemie vielleicht tatsächlich gezeigt hat, wie wichtig gerade auch die Gesundheit ist, weil es Menschen gibt, die sterben… die meisten Leute sterben innerhalb von zwei Wochen.“
Die Bergarbeiter- und Baugewerkschaft ist ebenso überzeugt. „Covid-19 wird der Bergbauindustrie auf breiter Front die Augen öffnen, glaubt der Regionalvorsitzende der Gewerkschaft, Manzezulu Nkambule. „Man kann sehen, dass die Zahlen steigen. Sie haben diesen Staub seit Jahren eingeatmet. Und wenn das Virus eindringt, findet es ein bereits geschwächtes Immunsystem vor, und dann greift es an.“
Lucky Kgatle, Senior Vice President von Sasol Mining, sagt, Covid-19 habe den Fokus auf die Arbeiterschaft geschärft. „Wir mussten anerkennen, dass wir Teil der Gemeinschaften sind, in denen wir geschäftlich tätig sind, und wir mussten die Herausforderungen und Härten, die sie bewältigen müssen, und die Unsicherheiten, mit denen sie konfrontiert sind, teilen,“ sagt er.
„Wir werden stark kritisiert, aber ich glaube, wir tun viel, um die Sicherheit unserer Arbeiter zu gewährleisten. Wir sind noch nicht am Ziel, es gibt noch Herausforderungen, aber [auch schon] eine Menge Investitionen. Viele unserer Mitarbeiter fühlen sich hier am Arbeitsplatz sicherer als außerhalb.“
Dieser letzte Punkt ist vielleicht der akuteste Aspekt des Problems. Während die Risiken unter Tage gewissenhaft eingedämmt werden, nehmen die Risiken an der Oberfläche zu.
„Es ist hart, Mann, unter Tage zu arbeiten ist hart,“ erzählt Sasol-Arbeiter Percy Simelane. In den firmeneigenen Wohnkomplex, in dem er mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt, sei niemand von Sasol gekommen, um über Covid-19 zu sprechen, sagt er. „Sobald wir die Mine verlassen, vergessen sie es. Sie sagen, man muss auf sich selbst aufpassen.“ Die Angst, sagt er, ist allgegenwärtig. „Ich habe Angst um meine Jungs, sagt er. Es ist hart, sehr hart.“
Für die Bergarbeiter war es schon immer so; doch die Pandemie hat den Einsatz für alle Beteiligten noch erhöht. Simelane wird weiter unter Tage gehen. Er muss. Wie so viele in diesem Bereich ist er ein „unverzichtbarer Mitarbeiter“, und seine Arbeit bedeutet [ihm] alles. Seine Augen erinnern mich an die vielen Bergleute, die ich als junges Mädchen kennen gelernt habe – jetzt noch betont durch den Mund-Nasen-Schutz, der sein Gesicht bedeckt.
Eleni Giokos für CNN
Die Veröffentlichung erfolgt im Rahmen unserer Medienpartnerschaft mit CNN