„Gefrorener Regenwald“ lässt Grönlands Eisdecke schmelzen

„Gefrorener Regenwald“  lässt Grönlands Eisdecke schmelzen
Grönlands Eisdecke schmilzt schneller als bisher erwartet Screenshot: CNN

Ein „gefrorener Regenwald“ aus mikroskopischem Leben lässt Grönlands Eisdecke schmelzen

von Hazel Pfeifer, CNN

Als Joseph Cook 2010 das erste Mal auf der grönländischen Eisdecke landete, erwartete er eine unberührte weiße Umgebung zu sehen. Was er vorfand, war ein „buntes Flickwerk“ – von Schwarz und Grau über Grün, Lila und Braun bis hin zu neonblauen Schmelzströmen, die das Eis durchschneiden.

„Bis vor kurzem dachten die Menschen, dass Gletscher und Eisschilde … relativ leblose Orte sind“, sagt Cook, ein britischer Glaziologe. „Aber wenn man unter das Mikroskop schaut, entpuppen sich, vor allem das grönländische Eisschild und andere Gletscher, als ein gefrorener Regenwald der Artenvielfalt.“

Die Regenbogenfarben, auf die Cook gestoßen ist, werden von einer Vielzahl winziger Lebensformen erzeugt, die auf der Oberfläche der Eisdecke gedeihen. Biodiversität ist normalerweise eine gute Sache, aber in diesem Fall beschleunigt die Vielzahl an mikrobiellem Leben die Eisschmelze und führt wahrscheinlich dazu, dass der globale Meeresspiegel schneller ansteigt, als Wissenschaftler vorhergesagt haben.

Der britische Glaziologe Joseph Cook bereitet Geräte vor, um das Reflexionsvermögen der grönländischen Eisdecke zu testen. Screenshot: CNN

Algen wirken wie ein schwarzes T-Shirt

Das grönländische Eisschild ist dreimal so groß wie Texas und bedeckt etwa 656.000 Quadratmeilen. Als riesiges Süßwasservorkommen trägt es am stärksten zum globalen Meeresspiegelanstieg bei und hat das Potenzial, den Meeresspiegel um bis zu sieben Meter zu erhöhen. Eine aktuelle Studie legt nahe, dass die Eisschmelze – die durch die Klimakrise beschleunigt wurde – bereits einen Punkt erreicht haben könnte, an dem es kein Zurück mehr gibt.

Cook sagt, dass die mikroskopischen Lebensformen, die er untersucht, zum Problem beitragen. Einer dieser Organismen ist eine Alge, die in der dünnen Wasserschicht auf der Oberfläche des Eises wächst. Sie produziert ein violett-braunes Pigment, das „wie ein natürlicher Sonnenschutz“ wirkt und die Alge vor der vollen Kraft des arktischen Sonnenlichts schützt. Gleichzeitg bewirkt das Pigment aber auch, dass sich das Eis aufheizt und schmilzt.

„Wenn man an einem heißen Tag mit einem schwarzen T-Shirt rausgeht, wird es einem wärmer, als wenn das T-Shirt weiß wäre. Das Gleiche passiert auf dem Eis“, sagt Cook. „Diese Algen sind wie ein schwarzes T-Shirt für den Gletscher, sie bewirken, dass er sich in der Sonne erwärmt und schneller schmilzt.“

Cooks Forschung auf einem Teil des grönländischen Eisschildes, der sich über 3.900 Quadratmeilen erstreckt, ergab, dass Algen für bis zu 13 Prozent der Eisschmelze verantwortlich sind. In einigen lokalisierten Bereichen beschleunigten die Algen das Schmelzen sogar um bis zu 26 Prozent.

Algen blühen um ein Feldlager auf Grönlands Eisschild Screenshot: CNN

Teufelskreis

Laut Cook sind Gletscheralgen kein neues Phänomen – es gibt Aufzeichnungen über sie in den Tagebüchern von Polarforschern aus den 1870er Jahren. Was sich geändert hat, ist die globale Erwärmung. Mit höheren Temperaturen und geringerem Schneefall wird eine größere Eisfläche freigelegt, auf der die Algen gedeihen können. Sie fördern so die Eisschmelze, wodurch mehr Nährstoffe, die im Eis gespeichert sind, freigesetzt werden, was wiederum das Algenwachstum fördert – ein Prozess, den Cook als „Teufelskreis“ beschreibt.

Und dies ist nicht der einzige zerstörerische Kreislauf, der auf dem Eis stattfindet. Eine andere Mikrobe – eine Art von Bakterien, die auf der Oberfläche von Eisplatten und Gletschern vorkommt – klebt Staubpartikel im Schmelzwasser zusammen und bildet eine dunkle, dichte, erdähnliche Substanz namens Kryokonit. Dieses Kryokonit absorbiert das Sonnenlicht wesentlich stärker als umgebende Eisschmilzt und bildet Löcher in der Eisdecke.

„Dieser Prozess schafft ein Ökosystem, das sonst nicht existieren würde“, beschreibt Cook. Die Schmelzlöcher fangen mehr Staub ein, wodurch mehr Kryokonit entsteht, was wiederum zu einer stärkeren Eisschmelze beiträgt.

Durch Kryokonit verursachte Schmelzlöcher. Screenshot: CNN

Zunehmende Beweise für schnelle Eisschmelze

Cooks Forschung ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Schmelzraten der Gletscher unterschätzt wurden. Eine aktuelle Studie, die Satellitendaten verwendet, fand heraus, dass Gletscher empfindlicher auf eine Klimaerwärmung reagieren als bisher angenommen. Sie zeigte, dass die grönländische Eisdecke jetzt siebenmal schneller schmilzt als in den 1990er Jahren.

Frühere Schätzungen des Meeresspiegelanstiegs könnten zu niedrig gewesen sein, zum Teil wegen mangelnder Informationen über die Rolle der eisliebenden Mikroben. Genaue Vorhersagen sind unabdingbar, denn selbst ein kleiner Anstieg des Meeresspiegels kann große Auswirkungen haben und Küstenlinien vom Pazifik über Miami bis nach Indien bedrohen.

Der Anstieg des Meeresspiegels könnte die Weltwirtschaft bis zum Ende des Jahrhunderts 14,2 Billionen Dollar an verlorenen oder beschädigten Gütern kosten und bis zu 287 Millionen Menschen episodischen Überschwemmungen an den Küsten aussetzen.

„Wenn wir in Zukunft gute Entscheidungen darüber treffen wollen, wie wir unser Land, unsere Infrastruktur und unsere Wirtschaft verwalten, müssen wir gute Prognosen über den Anstieg des Meeresspiegels und die damit verbundenen Risiken in dieser Zeitspanne haben“, so Cook. „Es gibt so viele Fragen zu beantworten. Es ist der reinste Themenpark für einen Wissenschaftler, weil es einfach so viel zu tun gibt.“
Was klar wird, ist, dass die Eisfläche eine erstaunlich dynamische und komplexe Umgebung ist.

Die Veröffentlichung erfolgt im Rahmen unserer Medienpartnerschaft mit CNN und ist im Original auf Call-to-Earth zu finden…

Joseph Cook, ist Postdoktorand und arbeitet an diversen Projekten, die vom britischen Umweltforschungsrat, Microsoft, Rolex und National Geographic finanziert werden. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Anwendung von KI im Zusammenhang mit Erdbeobachtungsdaten von Drohnen und Satelitten. Er hat über 12 Jahre Erfahrung mit Expeditionen in die Arktis und Antarktis. 2016 wurde er mit einem Rolex Award for Enterprise ausgezeichnet und 2017 war er Global Pioneer for Climate des World Frontiers Forum. 2018 war er auf der San Miguel Alternative Rich-Liste und wurde 2019 National Geographic Explorer und Microsoft AI for Earth-Stipendiat. https://tothepoles.co.uk/

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