„Grüne“ Inflation: Klimaschutz treibt die Preise
„Grüne“ Inflation: Klimaschutz treibt die Preise
tagesschau.de Die hohe Inflationsrate hängt auch mit dem Klimaschutz zusammen. Investitionen in die Energiewende und die steigende CO2-Steuer tragen zum Preisauftrieb bei. Experten warnen vor „grüner Inflation“.
Der renommierte britische Ökonom Charles Goodhart sagte bereits im Februar 2021 voraus, dass sehr bald eine dauerhaft höhere Inflation kommen werde. Schuld daran seien nicht nur die abnehmende Globalisierung und die alternde Bevölkerung, sondern auch der teure Kampf gegen den Klimawandel. Die höheren CO2-Preise könnten eine Art „grüne Inflation“ erzeugen, warnte der 84-jährige Ökonom.
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Hans-Werner Sinn, früherer Chef des ifo-Instituts und langjähriger Kritiker der lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), pflichtet Goodhart bei. Sinn sieht die Energiewende als zusätzlichen Inflationstreiber. „Das Verbot der billigen traditionellen Energiequellen zwingt die Wirtschaft, auf teurere Energieträger auszuweichen“, sagte er im Interview mit der „Welt“. Durch die Abkehr von der Kernenergie und der Kohle erhöhten sich die Produktionskosten massiv. Gegenüber der dadurch erzeugten Teuerung könnten die Preissteigerungen nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren verblassen, meint Sinn.
Tatsächlich dürften die Klimaschutz-Programme wie das Fit-for-55-Paket der EU-Kommission und der Umstieg auf die vorerst teureren erneuerbaren Energien die Strom- und Verbraucherpreise hierzulande weiter antreiben. Hinzu kommt die Bepreisung der Treibhausgase. Die Bundesregierung hat im Rahmen eines nationalen Emissionsrechte-Handelssystems die CO2-Steuer von 25 Euro auf nunmehr 30 Euro je Tonne angehoben. Bis 2025 soll sie sukzessive auf 55 Euro je Tonne klettern.
Auch auf europäischer Ebene kosten die Verschmutzungsrechte immer mehr. Der Preis für die an die Leipziger Strombörse gehandelten CO2-Zertifikate haben sich binnen eines Jahres nahezu verdreifacht auf 82 Euro. Zeitweise wurde sogar die Schwelle von 90 Euro überschritten. Wegen des steigenden Gaspreises wichen Stromerzeuger auf die schmutzigere Kohleverstromung aus, sagen Händler. Dadurch steige der Ausstoß an Treibhausgasen und die Nachfrage nach CO2-Zertifikaten. Kraftwerke und andere Industrieanlagen benötigen die europäischen Berechtigungen. Pro Tonne ausgestoßenem CO2 müssen sie ein Zertifikat bei der Emissionshandelsstelle abgeben.
Es dürfte wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die CO2-Zertifikate die Marke von 100 Euro je Tonne erreichen. Den Effekt eines solchen Preisanstiegs hat die US-Investmentbank Morgan Stanley berechnet. Ein Preis von 100 Euro je Tonne würde eine kumulative Auswirkung auf die Stromkosten der Haushalte von zwölf Prozent haben, prophezeite Morgan Stanley Mitte Juli. Das würde zu einem Anstieg der Gesamtinflation um 35 Basispunkte im Euroraum beitragen.
In Deutschland wirkt sich die steigende CO2-Abgabe ebenfalls auf die Verbraucherpreise aus. Laut dem Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts Arbeit und Wirtschaft an der Uni Bremen, steuerte die deutsche CO2-Politik bereits im vergangenen Jahr bis zu 1,1 Prozentpunkte bei.
Schon jetzt spüren Verbraucher also die Folgen der CO2-Bepreisung. Die Strompreise sind laut Verivox im vergangenen Jahr um mehr als 18 Prozent gestiegen. Die Gaspreise zogen noch stärker an. Auslöser der Preisexplosion waren in erster Linie die rasante Wirtschaftserholung nach den Corona-Lockdowns und das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Öl- und Gasmarkt… weiterlesen