Kaum Klimaschutz durch Aufforstung

Kaum Klimaschutz durch Aufforstung
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Kaum Klimaschutz durch Aufforstung

Studie: Albedo-Effekt kompensiert die positiven Auswirkungen der Kohlenstoffspeicherung

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Bäume benötigen bei der Fotosynthese Kohlendioxid. Wenn sie wachsen, entziehen sie das Treibhausgas der Atmosphäre und binden den Kohlenstoff über Jahrzehnte im Holz. Vor allem in den semiariden Zonen unseres Planeten gibt es weite unbewaldete Gebiete. Was liegt da näher, als diese Flächen großflächig aufzuforsten, um dem Klimawandel entgegenzuwirken und die Ausbreitung von Wüsten zu stoppen? Weltweit sind deshalb gewaltige Aufforstungsprogramme im Gange wie die afrikanische Great Green Wall Initiative, die 100 Millionen Hektar in der Sahelzone begrünen will. Doch beim Klima könnte der Schuss nach hinten losgehen. Eine neue Studie zeigt, dass dies kaum die Erderwärmung bremst und sogar kontraproduktiv sein und das Klima weiter anheizen kann.

Trockengebiete bedecken rund 40 Prozent der Landfläche unseres Planeten. Großangelegte Aufforstungsprojekte werden in diesen Gebieten weltweit, beispielsweise in China, der Sahelzone und in Saudi-Arabien durchgeführt oder sind geplant. Zusammen zielten diese Initiativen darauf ab, mehr als 500 Millionen Hektar aufzuforsten, so eine jetzt im Fachjournal »Science« erschienene Studie.

Die Forscher des Technion – Israel Institute of Technology und des Weizmann Institute of Science – berechneten in ihrer Forschungsarbeit die das globale Klima beeinflussenden Folgen dieser großflächigen Baumpflanzungen. Dabei gingen sie von insgesamt 448 Millionen Hektar unbewaldeter Flächen in semiariden und trocken subhumiden Gebieten aus, die mit Bäumen bepflanzt werden könnten, rund sechs Prozent der globalen Trockenlandfläche.

»Als wir mit der Forschung begannen, dachten wir, wir könnten zeigen, dass die großflächige Anpflanzung von Forsten in semiariden Gebieten die Klimaerwärmung deutlich verlangsamen würde«, erläutert Forschungsleiter Yohay Carmel. »Aber unsere Studie hat diese akzeptierte Hypothese widerlegt. Es ist wirklich enttäuschend. Doch so funktioniert Wissenschaft – sie entdeckt die Wahrheit, unabhängig davon, was wir entdecken wollen.«

Konkret ergab die Studie, dass die maximale Aufforstung dieser Trockengebiete in einem Zeitraum von 80 Jahren nur etwa ein Prozent aller Kohlenstoffemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgleichen kann. Grund ist der sogenannte Albedo-Effekt, also das Reflexionsvermögen der Erdoberfläche für die Sonnenstrahlung. Das dunkle, Schatten spendende Blätterdach der Bäume reflektiert schlicht weniger Sonnenstrahlung als der hellere Boden baumloser Trockengebiete, was die Atmosphäre weiter erwärmt.

Laut den Berechnungen der israelischen Forscher speicherten die gepflanzten Bäume bis zum Ende des Jahrhunderts zwar 32,3 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, doch allein 22,6 Milliarden Tonnen seien erforderlich, um den verringerten Albedo-Effekt auszugleichen, so die Studie. In einigen Trockenregionen, wie etwa in Kasachstan, China und der Mongolei, könnte die Bewaldung aufgrund der reduzierten Rückstrahlung von Sonnenlicht insgesamt sogar kontraproduktiv für den Klimaschutz sein und das globale Klima eher anheizen als kühlen. Das Forscherteam führt zudem an, dass großflächige Aufforstung seltene Arten, die auf unbewaldete Trockengebiete angewiesen sind, auslöschen kann, »mit schwerwiegenden Folgen für die Biodiversität«.

»Das Anpflanzen von Wäldern, egal wie ausgedehnt, wird uns nicht vor dem Klimawandel retten. Stattdessen sollten wir uns auf die Reduzierung von Emissionen konzentrieren«, resümiert Studienleiter Carmel.

»Diese Studie ist wichtig und ordentlich gemacht. Sie liefert eine deutlich verbesserte Abschätzung der gegenläufigen Effekte einer Aufforstung: einerseits Kühlung durch Verminderung von CO2 in der Atmosphäre und andererseits Erwärmung wegen verminderter Reflexion von Sonnenlicht durch das dunkle Laub der Wälder«, meint Martin Claußen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie, der nicht an der Studie beteiligt war. Bäume zu pflanzen, bleibe aber dennoch eine sinnvolle Maßnahme, wenn sie intelligent durchgeführt würde. Claußen: »Wenn Wald abgeholzt wurde, dann wissen wir, dass in dieser Region Wald natürlicherweise wachsen kann. Aus diesem Grund wäre Aufforstung von abgeholzten Wäldern sinnvoller als Aufforstung von Regionen, in denen fraglich ist, ob Wald überhaupt gedeihen kann.« Das heißt im Umkehrschluss, dass viele in natürlichen Steppengebieten und Graslandschaften durchgeführte und geplante Aufforstungen eigentlich unterlassen werden sollten.

Nadine Rühr, die Leiterin der Arbeitsgruppe Pflanzen-Ökophysiologie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), führt ein weiteres zu untersuchendes Problem der Aufforstungsprojekte an: Die Gefahr von Waldbränden, die den Kohlenstoffspeicher jederzeit in Rauch und Asche auflösen können. Rühr: »Lang anhaltende Dürren und extreme Hitzewellen können die Baumsterblichkeit erhöhen und zu großflächigen Waldbränden führen und somit das Klimaschutzpotenzial der Aufforstungen infrage stellen.«

Nina Buchmann, Professorin für Graslandwissenschaften der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, verweist wiederum darauf, dass die künstliche Bewaldung von Grasland mit hoher Biodiversität in der Studie zwar andiskutiert, aber nicht ausgeschlossen werde. Buchmann: »In meinen Augen wäre solch eine Abschätzung dringend nötig, da momentan fast ›blind‹ auf das Anpflanzen von Bäumen gesetzt wird – von Privatpersonen, von Unternehmen bis hin zu den Vereinten Nationen. Wenn die Vernichtung von Grasland mit hoher Biodiversität berücksichtigt würde, dann wäre der berechnete Klimaeffekt noch geringer.« Nicht zuletzt stellt die Studie die gegenwärtigen globalen Programme zur Kompensation von Kohlendioxidemissionen (Carbon Offsets) infrage. Denn, so Buchmann, »die meisten solcher Programme ignorieren den Albedo-Effekt.«

Hier geht es zur Studie…

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Die Erstveröffentlichung erfolgte in „nd-aktuell“ vom 21.10.2022


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Norbert Suchanek ist Umwelt- und Wissenschaftsjournalist. Er wurde 1963 in Würzburg geboren. Zu Beginn seiner Karriere, in den 1980er und 1990er Jahren recherchierte er vor allem in Konfliktregionen wie Nordirland und Palästina. Später verlagerte er seinen Fokus auf Brasilien. Seit 2006 arbeitet er als freier Korrespondent in Rio de Janeiro. 2010 rief er zusammen mit Márcia das Internationale Uranium Film Festival ins Leben. Damals war der Atomunfall von Tschernobyl fast vergessen. Und die brasilianische Regierung hat mit dem Bau des dritten Atomkraftwerks und eines Atom-U-Bootes in Rio de Janeiro begonnen. 

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