Kleiner Krebs soll Energie-Probleme lösen

Kleiner Krebs soll Energie-Probleme lösen
n-tv.de: Kernfusion gilt als saubere und schier unerschöpfliche Energiequelle. Doch sie zu nutzen, ist bisher niemandem gelungen. Denn dies galt bisher als äußerst kompliziert. Einen vergleichsweise simplen Ansatz verfolgt jedoch eine britische Firma – und erzielt damit erste Erfolge.
Fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle haben die Menschheit süchtig nach ihnen gemacht, doch die Nebenwirkungen sind ruinös: Klimawandel, Umweltverschmutzung und menschenverachtende Öl-Diktaturen. Eine saubere und unerschöpfliche Energiequelle wäre die Lösung. Kernfusion gilt als heißer Kandidat. Es ist jener Prozess, der auch in Sternen wie der Sonne Energie freisetzt. Bisher wurde Kernfusion auf der Erde jedoch nur bei Atomwaffentests und in Versuchsreaktoren realisiert – von einer friedlichen Nutzung schien die Menschheit bisher weit entfernt. Ausgerechnet ein kleiner Krebs könnte nun den Durchbruch bringen.
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Das Problem bei der Kernfusion bislang: Sie kontrolliert ablaufen zu lassen, ist ziemlich kompliziert. Um sie künstlich zu erzeugen, sind gewaltige Temperaturen von bis zu 100 Millionen Grad Celsius nötig. Lange Zeit galt der sogenannte Tokamak als vielversprechendster Ansatz für einen Fusions-Reaktor: Bei dem in den 1950er Jahren erstmals in Russland umgesetzten Design wird heißes Gas mit starken Magneten zusammengehalten und zur Fusion gebracht. In Südfrankreich entsteht derzeit ein gewaltiger Tokamak: der internationale Versuchsreaktor ITER.
ITER ist eine riesige Maschine – denn diese Art von Tokamaks können nur ab einer gewissen Größe mehr Energie erzeugen als sie verschlingen. ITER soll unter Beweis stellen, dass Fusionskraftwerke möglich sind. Doch ob es am Ende auch ein bezahlbares Konzept ist, ist offen. Auch rechnen Experten nicht damit, dass auf diesem Weg vor 2050 mit einem ersten echten Fusionskraftwerk zu rechnen ist. Unterdessen versuchen sich jedoch kleine Unternehmen mit schlankeren Fusions-Ansätzen an ITER vorbeizudrängeln. Sie setzen zum Teil auf weniger erforschte Konzepte, versprechen aber schnelle Erfolge. Eine Firma sorgt zuletzt für besonderes Aufsehen: First Light Fusion aus England.
Trägheitsfusion in kleinen Würfeln
Und hier kommt der erwähnte Krebs ins Spiel. Denn die Entwickler bei First Light Fusion ließen sich bei ihrem Fusions-Reaktor von einem Prinzip inspirieren, das bei Knallkrebsen beobachtet werden kann. Die Tiere können mit ihrer Schere durch eine schnelle Bewegung eine kleine Blase im Wasser erzeugen, die kurz darauf implodiert. Dabei entstehen ein Lichtblitz und Temperaturen von mehreren Tausend Grad. Dies setzen die Krebse unter anderem zum Beutefang ein. First Light hingegen will auf diese Weise eine kleine Menge Wasserstoff implodieren lassen. Dank der sogenannten Trägheitsfusion verschmelzen die Atomkerne dann und geben Energie frei. Viel Energie. Fusionsbrennstoff enthält etwa das Zehnmillionenfache an Energie wie dieselbe Masse an Kohle, Öl oder Gas.
Und so sieht das Konzept aus: Kleine, mit etwas Wasserstoff gefüllte Würfel werden in einen Reaktor fallen gelassen und von oben mit einem Projektil beschossen. Trifft das Geschoss den Würfel im freien Fall, wird die kleine Wasserstoffblase im Inneren durch die Wucht des Aufpralls zusammengequetscht. Der Druck auf sie ist höher als im Zentrum des Planeten Jupiter. Der Wasserstoff fusioniert, wie ein Tropfen Benzin, der in eine Brennkammer gespritzt und entzündet wird. Alle 30 Sekunden wird der Vorgang wiederholt. Die freigesetzte Energie wird von flüssigem Lithium aufgenommen, das rundherum herabregnet – so jedenfalls die Theorie.
Der Vorhang aus Lithium absorbiert nicht nur die Wärme der Fusion, er fängt auch die Neutronen ab, die dabei entstehen. Ein äußert raffinierter Kniff: Denn diese schnellen Teilchen sind eines der größten Probleme anderer Reaktor-Konzepte wie dem Tokamak, denn sie greifen das Material an. Das Design von First Light macht die Neutronen jedoch nutzbar, denn Lithium verwandelt sich durch den Beschuss in Tritium, jener Wasserstoffart, welche wiederum für die Fusion benötigt wird. „Die Attraktivität unseres Ansatzes liegt darin, dass er einige der schwierigsten Probleme der Fusionstechnik umgeht“, sagt Gianluca Pisanello zu ntv.de. Der ehemalige Formel-1-Ingenieur ist Chief Operating Officer des Unternehmens, das 2011 von Nick Hawker und Yiannis Ventikos als Spin-Out der University of Oxford gegründet worden war.
Während das vordere Ende ihres Kraftwerkskonzepts futuristisch anmutet, baut das hintere Ende auf Altbekanntes: Das erhitzte Lithium gibt seine Energie an Wasser ab, das verdampft und eine Turbine antreibt, die Strom produziert. Also genau so, wie es in bisherigen Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken auch abläuft. Allerdings entstehen bei der Kernfusion keine Treibhausgase oder langlebiger Atommüll.
Erste erfolgreiche Kernfusion
Klingt alles schön und gut – aber funktioniert es auch? Anfang April konnte First Light einen Teilerfolg verbuchen. Bei Versuchen gelang den Forschern erstmals eine erfolgreiche Fusion. Dabei wurden Atomkerne des Wasserstoff-Isotops Deuterium miteinander verschmolzen. Für eine erfolgreiche Energiegewinnung soll Deuterium später jedoch mit Tritium fusioniert werden. Überwacht und bestätigt hatten das erfolgreiche Experiment Beobachter der britischen Atomenergieorganisation UKAEA.
Doch damit dieses Konzept tatsächlich als Reaktor umgesetzt werden kann, muss die erzeugte Kernfusion mehr Energie ausstoßen, als für den Betrieb hineingesteckt wird… weiterlesen