Klimakrise: Eine Million Menschen droht Hungersnot
Madagaskar: Eine Million Menschen droht wegen Klimakrise die Hungersnot
Madagaskar leidet unter einer der schlimmsten Dürreperioden in der Geschichte des Landes – eine Folge der globalen Klimaerwärmung. Besonders stark betroffen ist der Süden des Landes. Dort steht eine Million Menschen kurz vor der Hungersnot. Amnesty International fordert die internationale Gemeinschaft auf, sich an der Klimakonferenz in Glasgow (COP26) zu ehrgeizigen Zielen zu verpflichten, um solche humanitären Katastrophen zu verhindern.
In dem neu veröffentlichten Bericht «It will be too late to help us once we are dead» dokumentiert Amnesty International die Auswirkungen der Dürre auf die Menschenrechte im Süden Madagaskars, wo 91 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Dürre stellt eine unmittelbare Bedrohung für das Recht auf Leben sowie für andere Rechte wie die Rechte auf Gesundheit, Wasser, sanitäre Einrichtungen und Nahrung dar.
Viele Menschen haben keine andere Wahl, als auf der Suche nach Nahrung in andere Gegenden auszuwandern.
Kinder werden ihrer Zukunft beraubt, da der Hunger viele dazu zwingt, die Schule abzubrechen, um Arbeit zu suchen und ihre Familien zu unterstützen. Die Krise belastet Frauen und von Frauen geführte Haushalte, die häufig von der Landwirtschaft leben, besonders stark.
Amnesty fordert die internationale Gemeinschaft auf, unverzüglich Massnahmen zur Bewältigung der Klimakrise zu ergreifen, und Menschen in Ländern wie Madagaskar, die durch die Auswirkungen des Klimawandels besonders gefährdet sind, zu schützen.
«Die aktuellen Prognosen zum Klimawandel deuten darauf hin, dass Dürren immer heftiger werden und dass Menschen in Entwicklungsländern unverhältnismässig stark davon betroffen sein werden», sagt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International. Die Dürre in Madagaskar sei ein Weckruf im Vorfeld der 26. Uno-Klimakonferenz (COP26), welche am 31. Oktober in Glasgow startet. Guy Parmelin, Simonetta Sommaruga und Ueli Maurer werden die Schweiz an der Konferenz vertreten.
«Politiker*innen aus aller Welt müssen endlich aufwachen und die Klimakrise ernst nehmen», sagte Agnès Callamard. «Die internationale Gemeinschaft muss den Menschen in Madagaskar unverzüglich zusätzliche humanitäre Hilfe und weitere finanzielle Mittel für die erlittenen Verluste und Schäden zur Verfügung stellen. Die Länder, die am stärksten zum Klimawandel beigetragen haben und die über die meisten Ressourcen verfügen, müssen in Zukunft zusätzliche finanzielle und technische Unterstützung bieten, damit die Menschen in Madagaskar sich besser an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen können.»
Madagaskar gehört zu den Ländern, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass der Klimawandel im semiariden Süden des Landes wahrscheinlich für die höheren Temperaturen und die zunehmend unregelmässigen Niederschläge verantwortlich ist. Laut den Vereinten Nationen steht Madagaskar kurz vor der weltweit ersten klimabedingten Hungersnot.
Laut den Vereinten Nationen steht Madagaskar kurz vor der weltweit ersten klimabedingten Hungersnot.
Das Welternährungsprogramm und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen teilten im Mai mit, dass rund 1,14 Millionen Menschen im Süden des Landes von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind und dass sich fast 14‘000 Menschen in einer Hungersnot befinden – die höchste Stufe der Ernährungsunsicherheit auf der IPC-Skala. Die IPC-Methode (Integrated Food Security Phase Classification) ist eine fünfstufige Skala der FAO, mit der Ernährungsunsicherheit weltweit einheitlich eingestuft werden kann. Seit ihrer Einführung in Madagaskar im Jahr 2016 kam es noch nie vor, dass Menschen in der höchsten Stufe klassifiziert wurden.
Nach Angaben der FAO sind 95 Prozent der von akuter Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen im Süden Madagaskars auf Ackerbau, Viehzucht und Fischfang angewiesen. Da es in den Regenzeiten der letzten Jahre jedoch aussergewöhnlich wenig geregnet hatte, kam es zu einem starken Rückgang in der Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Reis und Maniok. Ausserdem gingen die Viehbestände zurück und der Zustand der verbliebenen Tiere verschlechterte sich. So schwinden die Lebensgrundlagen der Menschen immer weiter.
Zu Todesfällen im Zusammenhang mit der Dürre, die im November 2020 begann, gibt es keine offiziellen Statistiken. Amnesty International hat jedoch mit vielen Menschen aus dem Süden Madagaskars gesprochen, die über Todesfälle aufgrund von Hunger in ihren Gemeinschaften berichteten.
Einer davon war Votsora, ein etwa fünfzigjähriger Kleinbauer. Er sagte im März gegenüber Amnesty International, dass einen Monat zuvor zehn Menschen in seinem Dorf gestorben waren. Fünf Personen aus einem einzigen Haushalt seien alle am selben Tag verhungert.
Eine Frau, die ebenfalls im März mit Amnesty sprach, hatte zwei Kinder verloren. «Sie litten an Hunger… und sie starben daran. Wir essen kaum etwas», sagte sie.
Ein anderer Mann verlor ebenfalls zwei Kleinkinder: «Das eine war ein Jahr und zwei Monate alt, das andere acht Monate. Sie sind vor einem Jahr gestorben… Weil wir nichts zu essen hatten.»
Forderung nach ehrgeizigen Klimazielen
«Wir können nicht länger hinnehmen, dass die ärmsten und am stärksten ausgegrenzten Gruppen der Gesellschaft den höchsten Preis für die Handlungen und das Versagen der grössten Kohlendioxid-Emittenten der Welt zahlen müssen», sagte Agnès Callamard.
«Es wird erwartet, dass die Dürren in Madagaskar immer heftiger werden, was eine weitere Aushöhlung des Menschenrechtsschutzes bedeuten kann. Die internationale Gemeinschaft muss sich dafür einsetzen, dass alle Menschen ihr Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt wahrnehmen können, denn das ist für die Ausübung vieler anderer Rechte unerlässlich.» Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International
Im Vorfeld der COP26-Klimakonferenz ruft Amnesty International alle Länder dazu auf:
- Sich zu ehrgeizigen und Menschenrechts-konformen Emissionsreduktionszielen zu verpflichten, um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5°C zu begrenzen.
- Ehrgeizige und konkrete Massnahmen zu ergreifen, um gemeinsam die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2010 zu reduzieren und sie bis spätestens 2050 auf Null zu senken.
- Sich zum raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen zu verpflichten anstatt sich auf C02-Kompensationsmassnahmen zu verlassen, die den Klimaschutz verzögern und sich negativ auf die Menschenrechte auswirken können.
- Einen globalen Mechanismus zur Unterstützung von Menschen einzurichten, deren Rechte durch den Klimawandel verletzt wurden. Die wohlhabenden Staaten müssen für die Kosten aufkommen und hierfür neue, nicht rückzahlungspflichtige Finanzmittel zur Verfügung stellen.
- Das Recht auf Information und Beteiligung an klimarelevanten Entscheidungen für die betroffenen Menschen auf allen Ebenen zu garantieren.
Darüber hinaus fordert Amnesty International die wohlhabenderen Länder auf, ihre finanziellen Beiträge für menschenrechtskonforme Emissionsminderungs- und Klimaanpassungsmassnahmen in weniger wohlhabenden Ländern deutlich zu erhöhen.
Der Originalartikel kann hier besucht werden
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