Mehr Abholzung durch Straffreiheit

Mehr Abholzung durch Straffreiheit
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
Die Entwaldung hat in Brasilien im vergangenen Jahr um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Das größte Land Südamerikas verlor damit insgesamt 13.853 Quadratkilometer Wald, 24 Bäume pro Sekunde, so der am 11. Juni vorgelegte Jahresbericht von Mapbiomas. Seit 2019 überwacht die regierungsunabhängige Institution anhand von Satellitendaten Abholzungen und Bodennutzungsänderungen in Brasiliens sechs großen Biomen: Amazonasregenwald, Cerrado, Atlantischer Regenwald, Pantanal, Caatinga und Pampa.
Demzufolge fanden die flächenmäßig größten Abholzungen im Amazonasgebiet statt, mit einem Waldverlust von 843.000 Hektar und einer Zunahme von neun Prozent. Knapp die Hälfte wurde im zentralbrasilianischen Cerrado gerodet, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Das Pantanal, eines der weltweit größten Binnenlandfeuchtgebiete verlor 23.700 Hektar Wald, was sogar einer Zunahme von 43 Prozent entspricht.

Laut Mapbiomas waren 99,8 Prozent der Abholzungen des vergangenen Jahres illegal. Zwei Drittel dieser nicht genehmigten Rodungen fanden auf privaten Flächen, 12,4 Prozent in Naturschutzgebieten und 7,3 Prozent in indigenen Reservationen statt. Insgesamt 297 dieser Gebiete in Amazonien und der Cerrado-Region litten 2020 unter großflächigen Rodungen durch Invasoren, 31 Prozent mehr als 2019.
Das größte Abholzungswachstum allerdings registrierten die Forscher von Mapbiomas im Atlantischen Regenwald Süd- und Ostbrasiliens sowie in der Caatinga, einem nur in Nordostbrasilien vorkommenden Trockenwaldbiom. Der bereits um fast 90 Prozent reduzierte Atlantische Regenwald hat im vergangenen Jahr weitere 23.900 Hektar verloren, 125 Prozent mehr als 2019. In der Caatinga wiederum brannten und holzten die Waldfrevler 61.400 Hektar ab gegenüber 12.100 Hektar im Vorjahr. Dieser drastische Zuwachs von über 400 Prozent sei zwar hauptsächlich auf ein neues, speziell für dieses Trockenwaldbiom entwickeltes Abholzungserkennungssystem per Satellit zurückzuführen, so Mapbiomas. Dennoch ist das Ausmaß der Caatinga-Vernichtung bedenklich. Lediglich zwei Prozent dieses an endemischen Arten reichen Ökosystems stehen unter Naturschutz. Und von seiner ursprünglichen Ausdehnung von fast 900.000 Quadratkilometern sind laut Umweltministerium bereits etwa 40 Prozent abgeholzt und weitere 40 Prozent degradiert. Zudem korreliert die zunehmende Abholzung gerade im brasilianischen Nordosten mit der neu erklärten Agrarfront SEALBA, benannt nach den Nordoststaaten Sergipe, Alagoas und Bahia. Seit 2016 nimmt dort mit staatlicher Unterstützung der Genmais- und -sojaanbau immer größere Flächen ein.

Wie bereits in den Vorjahren gingen die meisten illegalen Abholzungen straffrei aus, so Mapbiomas. Die staatliche Umweltbehörde IBAMA belegte demnach lediglich zwei Prozent der Verstöße mit Geldstrafen. Aufgrund von Satellitenaufklärung und moderner Technik wäre es jedoch für die Behörden ein Leichtes, die Schuldigen ausfindig zu machen, kommentiert Mapbiomas-Leiter Tasso Azevedo: „Die Bestrafung illegaler Abholzung ist eine Frage des politischen Willens. Aber in Brasilien herrscht Straffreiheit. Dies ist bei weitem der Haupttreiber für die Zunahme der Entwaldung.“
Und bereits jetzt ist klar, dass die Zahlen in diesem Jahr dramatisch weiter gestiegen sind. Laut dem Nationalem Weltraumforschungsinstitut INPE stieg die Abholzung in den ersten fünf Monaten im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent, wobei ein Großteil des Landes für Viehzucht und Farmen genutzt wird. Auf einem Gipfel zum Tag der Erde im April hatte Brasiliens faschistischer Präsident Jair Bolsonaro noch versprochen, die Mittel zur Durchsetzung des Umweltschutzes zu verdoppeln, am nächsten Tag unterzeichnete er den Bundeshaushalt 2021, in dem die Ausgaben für die Umwelt gekürzt wurden.
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Die Erstveröffentlichung erfolgte in der „junge Welt“ vom 17.06.21
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