Sie produzieren für Abfallhalden und Plastikinseln

Sie produzieren für Abfallhalden und Plastikinseln
Plastikmüll am Strand bei Accra, der Hauptstadt von Ghana. Foto: Muntaka Chasant (CC BY-SA 4.0)

Sie stellen das Material für Abfallhalden und Plastikinseln her

Rolf Muntwyler für INFOsperber

Wenige grosse Konzerne und Banken kontrollieren Herstellung und Finanzierung von Einwegplastik. Das ist problematisch.

Die Plastikverschmutzung zu Land und vor allem zu Wasser hat ein unvorstellbares Ausmaß erreicht. 11 Millionen Tonnen Plastik landen jedes Jahr in den Weltmeeren. Im Meer bilden sich Plastikinseln; geschätzte 90 Prozent der Meeresvögel haben Plastik im Magen. Auch ist unser eigener Abfall längst als Mikroplastik in unseren Lebensmitteln angekommen, zum Beispiel in Honig.

An der Quelle des Problems steht die enorme Menge Wegwerfplastik, die wir verbrauchen. Weltweit werden etwa 130 Millionen Tonnen Einwegplastik pro Jahr produziert. Wo der Plastik eingesetzt wird, wissen wir aus unserem Alltag. Wer aber stellt diese enormen Mengen her? Ein umfassender Bericht zeigt die Hersteller, Investoren und Warenströme auf. Auffällig ist, dass eine kleine Gruppe riesiger Unternehmen und Investoren im Zentrum dieser globalen Industrie steht.

Der Bericht stammt von Forschern unter der Leitung von Minderoo, einer NGO mit Sitz in Australien, die sich für sauberere Ozeane einsetzt, von Wissenschaftlern der Universität Oxford und des Stockholm Environment Institute (SEI). Das SEI ist eine Non-Profit-Organisation, die Politik und Wissenschaft zusammenbringen will und sich der Lösungssuche von Umweltproblemen verschrieben hat.

20 Giganten dominierten den Weltmarkt

Dieser Bericht deckt eine bisher verborgene Ebene des Plastikkreislaufs auf. Er zeigt, wer die Kunststoffe und die Petrochemikalien, die Bausteine für Einwegplastik, herstellt.

Dem Bericht zufolge wird die Hälfte des weltweiten Einwegplastiks von 20 grossen Unternehmen hergestellt. An der Spitze der Produzenten stehen zwei US-amerikanische Unternehmen, der Erdölkonzern Exxon Mobil und der Pharmariese Dow, gefolgt von Sinopec, einem chinesischen Petrochemiegiganten, und Indorama Ventures, das seinen Sitz in Bangkok hat.

Tony Gardner, der Projektverantwortliche beim SEI, spricht in einem Videointerview davon, wie wichtig es sei, die Akteure zu kennen: Regierungen müssten unter Einbezug der Hersteller Massnahmen ergreifen, um vom Einwegplastik wegzukommen. Eine Transition zu einer Kreislaufwirtschaft sei unabdingbar. Also: wiederverwertbare und abbaubare Materialien verwenden und die Kunststoffe rezyklieren.

Die Branche wimmelt die Kritik ab

Einwegplastik ist ein sehr einträgliches Geschäft, und das wird voraussichtlich so bleiben. Der Anreiz für die Unternehmen, eine Änderung herbeizuführen, ist eigentlich nicht vorhanden. Denn trotz der Bestrebungen, Einwegplastik zu reduzieren, wird für die nächsten fünf Jahre ein Anstieg der Produktionskapazität um 30 Prozent prognostiziert.

Die Hersteller sind ob des Berichts nicht erfreut. Der Verband der US-Kunststoffindustrie ACC bezeichnete den Bericht als «irreführend»: Im Bericht würde nicht berücksichtigt, dass der Ersatz von Kunststoffverpackungen durch andere Materialien die Treibhausgasemissionen erhöhen könnte. Und dass Kunststoffe zum Beispiel die Haltbarkeit von Lebensmitteln verlängere. Die Haltung ist typisch: Die Branche fürchtet ums Geschäft und wimmelt Kritik ab, statt rasch an Anpassungen zu arbeiten.

20 Manager entscheiden, dass 300 Mia. $ in die Branche fliesst

Die Verfasser des Berichts gingen noch eine Ebene tiefer und wollten wissen, welche Institutionen in diesen Wirtschaftszweig investieren. Zutage kamen einige der bekanntesten Namen der Finanzwelt, darunter Vanguard und der grösste Finanzverwalter der Welt, Blackrock. Zu den Kreditgebern gehören die grössten Banken der Welt wie Barclays und JPMorgan Chase. Auch die Regierungen sind entscheidende Akteure in dieser Branche, in Bezug auf Regulierungen, aber auch auf die Finanzierung. Bei rund 40 Prozent der grössten Hersteller von Einwegplastik gehören Regierungen zu den Investoren, etwa China und Saudi-Arabien.

Tony Gardner vom SEI sagt im Videointerview, es gebe keine Alternative: «Wir müssen unter allen Umständen erreichen, den Plastikverbrauch zu reduzieren.» Klar sei, dass die Unternehmen das nicht von sich aus tun würden. «Druck vonseiten der Konsumenten reicht dabei nicht, auch die Investoren müssen Einfluss nehmen.» Nur eine Handvoll Banken stellten die Hälfte aller Investitionen zur Verfügung. «In der Realität bedeutet das, dass vielleicht 20 Asset-Manager auf der ganzen Welt über die 300 Milliarden Dollar entscheiden, die Finanzinstitute in diese Branche stecken.»

Meeresmüll bedeckt einen Strand auf der Insel Laysan im Hawaiian Islands National Wildlife Refuge Foto: Susan White/USFWS

Schweizer gehören zu den «Top-Verbrauchern»

Der grosse Teil des Einwegplastiks wird in der «ersten Welt» eingesetzt. Ein durchschnittlicher Amerikaner und Australier wirft jedes Jahr etwa 50 Kilogramm Einwegplastik weg, die EU-Bürger im Schnitt 30 Kilo, das mit riesigen Unterschieden: Schweden 24, Deutsche 39 und Iren 58 Kilo. Die Schweizer finden sich unrühmlich auf dem weltweit achten Rang mit 52 Kilo Einwegplastik.

Ganz anders sieht es nur schon bei den aufstrebenden Staaten aus. Gemäss Minderoo-Bericht verbrauche der durchschnittliche Chinese weniger als 20 Kilo, der Inder weniger 5 Kilo pro Jahr. In Senegal sind es 2, in Angola 1 Kilo pro Kopf.

In den USA werden erst etwa 8 Prozent des Kunststoffs rezykliert. Zwar gibt es in einzelnen Gemeinden und Staaten Einschränkungen und Verbote. Zu einer nennenswerten Reduktion des Plastikmülls hat das aber noch nicht geführt. Gemäss Bericht besteht eine grosse Herausforderung darin, dass die bestehenden Strukturen die Produktion von Plastik begünstigt. Es ist weitaus billiger, eine Softdrink-Flasche aus neu produziertem Kunststoff herzustellen als aus rezykliertem.

Plastikgipfel wie Pariser Klimagipfel

Diese Strukturen versucht die EU nun aufzubrechen. Sie hat eine Richtlinie erlassen, in der Verbrauchermarken aufgefordert werden, bis 2025 mindestens 30 Prozent recycelten Inhalt in Plastikflaschen zu verwenden. Das ist immerhin ein Schritt Richtung Kreislaufwirtschaft.

Das reicht für das Stockholm Environment Institute längst nicht aus. Deren Vertreter Tony Gardner fordert, dass sich Investoren und Hersteller engagieren, dass alle Fakten auf den Tisch kommen und daraus wissenschaftsbasierte Maßnahmen abgeleitet werden müssen. «Es braucht ein gemeinsames Vorgehen der Staatengemeinschaft wie beim Klimagipfel in Paris, wo man sich auf ein globales Vorgehen einigen kann.»

Schritte in diese Richtung gibt es: Anfang September fand eine Ministerkonferenz in Genf und online (Ministerial Conference on Marine Litter and Plastic Pollution) mit Vertreterinnen und Vertretern aus 140 Staaten statt. Peru und Ruanda haben einen Entwurf für eine Uno-Resolution eingebracht, der als Grundlage für eine Übereinkunft an der 5. Uno-Generalversammlung 2022 dienen soll.

Den Originalartikel kann man bei INFOsperber nachlesen

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