Südbrasilien: Abholzung für Naturtourismus 

Südbrasilien: Abholzung für Naturtourismus 
Mata Atlantica Foto: Norbert Suchanek

Südbrasilien: Abholzung für Naturtourismus 

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Südamerikas Atlantischer Regenwald ist eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde. Er erstreckte sich einst über rund 1,4 Millionen Quadratkilometer kontinuierlich von Nordargentinien und Paraguay bis in den brasilianischen Nordosten. Etwa 90 Prozent dieses auch Mata Atlântica  genannten Waldes sind in Brasilien, wo er seit 1993 per Gesetz unter strengem Schutz steht, bereits vernichtet.  Dennoch geht die Abholzung dieses in der Welt einzigartigen Waldökosystems weiter. 

Laut einem im Mai vorgelegten Bericht der Umweltschutzorganisation SOS Mata Atlântica wurden im vergangenen Jahr mehr als 20.000 Hektar Atlantischer Regenwald abgebrannt oder abgeholzt. Die größten Abholzungen gab es demzufolge mit 7.456 Hektar in Minas Gerais, gefolgt von Bahia mit 5.719 Hektar und dem südlichen Bundesstaat Paraná mit 2.883 Hektar Waldverlust. Die jetzt im Juni veröffentlichten Daten des Netzwerks MapBiomas schätzen die Waldvernichtung in Paraná sogar noch höher auf mehr als 4000 Hektar im vergangenen Jahr ein. Ein Großteil des Waldfrevels fand zwar illegal statt, doch auch legal wird dem Atlantischen Regenwald weiter in dem südlichen Bundesstaat zugesetzt und das im Namen des Naturtourismus. 

 Iguaçu-Wasserfälle Foto: Norbert Suchanek

Betroffen ist das Gebiet rund um den 185.262 Hektar großen Nationalpark von Iguaçu, berühmt wegen der gleichnamigen, größten Wasserfälle der Welt. Jährlich besuchen etwa zwei Millionen Touristen den Nationalpark und die Wasserfälle an der Grenze zu Argentinien. Damit noch mehr „Naturtouristen“ das Schutzgebiet per Auto aufsuchen können läßt die Regierung derzeit die einzige Zugangsstraße, den sogenannten Wasserfall-Highway von Foz do Iguaçu auf einer Strecke von 8,7 Kilometern verdoppeln – auf Kosten des Atlantischen Regenwaldes. Hunderte von Bäumen fielen den Bauarbeiten bereits zum Opfer.

Kritik oder Widerstand gegen das rund 30 Millionen Euro teure Straßenbauerweiterungsprojekts gab es nicht, weder in Brasilia, noch im Bundesstaat Paraná, dessen Haupteinnahmequellen der Sojaanbau, das Wasserkraftwerk von Itaipu und der Naturmassentourismus von Iguaçu  sind.

Wasserfall-Highway für Naturmassentourismus Foto: Norbert Suchanek

Dabei ist der seit 1998 privatisierte Nationalpark nicht nur wegen seiner Wasserfälle von globaler Bedeutung. Er gilt auch als eines der letzten Rückzugsgebiete der Jaguare der Atlantischen Regenwaldregion. 

1995 schätzten Biologen des Projektes „Carnívoros do Iguaçu“ die Zahl dieser größten Raubkatze Südamerikas auf 164 Individuen im Schutzgebiet und auf insgesamt 400 bis 800 Tiere inklusive der Atlantischen Regenwaldregion in der benachbarten argentinischen Provinz Misiones.  In den Folgejahren erfuhr dann die Jaguarpopulation in der gesamten Region drastische Verluste. 2009 zählten die Forscher nur noch 9 bis 11 dieser gefleckten Raubkatzen im brasilianischen Iguaçu-Nationalpark.

Als Hauptursachen für den Rückgang der Raubkatzenpopulation gelten der Verlust an Lebensraum, weitere Zerstückelung der Waldgebiete durch Straßenbau und damit einhergehende Verkehrsunfälle sowie das illegale Abschießen der Raubtiere selbst und die übermäßige Jagd auf dessen wichtigste Beute, die Pekaris. Im Nationalpark von Iguaçu galt diese auch Nabelschwein genannte Spezies ab 1996 als ausgestorben. Erst ab 2016 kehrten die Pekaris wieder in das Gebiet zurück, was nach Meinung der Forscher möglicherweise den Wiederanstieg der Jaguarpopulation von Iguaçu positiv beeinflusste. 

Heute streifen wieder etwa 25 Jaguare durch das Schutzgebiet, so die jüngste Erhebung aus dem vergangenen Jahr. Ihr Überleben hängt auch von der grenzüberschreitenden Raubkatzenpopulation im argentinischen Misiones ab, wo die Forscher 72 bis 122 Jaguare im Jahr 2022 gezählt haben. Sie gehen davon aus, dass in der gesamten Atlantischen Regenwaldregion heute noch etwa 250 bis 300 Jaguare leben.

Das letzte große Regenwaldgebiet im Westen von Paraná, eingeschlossen von Sojabohnenfeldern Foto: Norbert Suchanek

Laut Atilio Guzmán, Biologe des Iguazú-Nationalparks auf der Seite Argentiniens reiche es nicht aus, mit Geldstrafen gegen illegale Jäger und das Abschießen von Jaguaren vorzugehen, wenn das zugrunde liegende Problem nicht angegangen wird, nämlich die Abholzung des Ökosystems, in dem die gefleckten Raubkatzen leben.


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Norbert Suchanek ist Umwelt- und Wissenschaftsjournalist. Er wurde 1963 in Würzburg geboren. Zu Beginn seiner Karriere, in den 1980er und 1990er Jahren recherchierte er vor allem in Konfliktregionen wie Nordirland und Palästina. Später verlagerte er seinen Fokus auf Brasilien. Seit 2006 arbeitet er als freier Korrespondent in Rio de Janeiro. 2010 rief er zusammen mit Márcia das Internationale Uranium Film Festival ins Leben. Damals war der Atomunfall von Tschernobyl fast vergessen. Und die brasilianische Regierung hat mit dem Bau des dritten Atomkraftwerks und eines Atom-U-Bootes in Rio de Janeiro begonnen. 

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