„Urban stream“-Syndrom bedroht Land und Arten

„Urban stream“-Syndrom bedroht Land und Arten
Eintagsfliege Foto: Ragnar 1904/Wikimedia Commons 4.0 international

„Urban stream“-Syndrom bedroht Land und Arten

zeit.de: Die Landschaft leidet unter einer Krankheit: dem „Urban stream“-Syndrom. Durch sie geht viel Natur verloren. Den Bau großer Einkaufsparks zu bremsen, könnte helfen.

Eigentlich müsste die Eintagsfliege anders heißen. Denn die meiste Zeit ihres Lebens ist sie keine Fliege, sondern eine Larve unter Wasser. Die nicht nur einen Tag, sondern ein Jahr oder länger lebt. Erst wenn die Larve groß genug ist, kommt sie an die Wasseroberfläche und wandelt sich zur Fliege. Als solche überdauert etwa die Dänische Eintagsfliege tatsächlich nur wenige Stunden. Sie kann nicht viel, nicht mal essen oder verdauen. Am einzigen Tag ihres Lebens als Fliege paart sie sich nur.

Eintagsfliegen sind zentral für das ganze Ökosystem, denn sie sind eine wichtige Nahrungsquelle für Amphibien, Spinnen, Fledermäuse oder Vögel. Doch immer weniger Larven leben in Deutschlands Flüssen und Bächen. Diese sind zu stark mit Nährstoffen wie Phosphor und Nitrat belastet. Die Larven der Eintagsfliege gedeihen aber nur in klarem, nährstoffarmem Wasser. Die Folge: Viele Arten dieser zarten Flugwesen sind in Mitteleuropa vom Aussterben bedroht.

Die Nährstoffbelastung der Gewässer kommt vor allem aus der Landwirtschaft, aber auch von kommunalen Kläranlagen, dem Verkehr und der Industrie. Eine bisher übersehene Quelle dieser Verschmutzung haben Forschende vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) nun entdeckt: die ländliche Flächenversiegelung.

Mit hochauflösenden Copernicus-Satellitendaten fanden sie heraus, dass auf dem Land mehr Flächen versiegelt werden als bislang angenommen: Von den 3,2 Prozent, die die Flächenversiegelung demnach in Deutschland zwischen 2006 und 2015 zunahm, lagen 20 Prozent auf dem Land. Nicht, wie bisher angenommen, im urbanen Raum (Landscape and Urban Planning: Nguyen et al., 2023).

Es sind Neubaugebiete, Gewerbeparks und Einkaufszentren, aber auch Parkplätze und Straßen, unter denen Felder, Wiesen und Wälder verschwinden. Als Folge versickert auf dem Land immer weniger Regen im Boden. Es fließt oberflächlich ab und trägt insbesondere in Gewässernähe zur Verschlechterung der Wasserqualität und Süßwasserartenvielfalt bei.

Wie viele Nährstoffe auf diesem Weg in den Gewässern landen, wird in Deutschland nicht erfasst, fanden die Forschenden heraus. Dies wird nur für urbane Räume berechnet. Dabei sind die Mengen beachtlich: Zehn Prozent des Gesamtstickstoffs, der von versiegelten Flächen tatsächlich in den Gewässern landet, wird übersehen, ebenso wie rund 13 Prozent des Gesamtphosphors.

„Die Nährstoffbelastung von Bächen und Seen wird systematisch unterschätzt. Dabei sind Nährstoffe, insbesondere Phosphor, der wichtigste Stressfaktor für heimische Insekten, Muscheln oder Krebse. Was das mit diesen Wirbellosen macht, wird bislang nicht erfasst“, sagt die Autorin der Studie, Hong Hanh Nguyen.

Eintagsfliegen werden selten

Nguyen zufolge nimmt darunter vor allem die heimische Artenvielfalt und die Häufigkeit von Arten ab. Besonders leiden empfindliche Arten wie Eintagsfliegen, Steinfliegen oder Köcherfliegen an erhöhten Phosphorwerten. „Alle drei sind Anzeiger für gesunde Fluss-Ökosysteme“, sagt Nguyen. Manche heimische Arten profitieren jedoch auch: Zweiflügler, insbesondere Fliegen, und Zuckmücken, die gut mit verschmutztem Wasser umgehen können, nahmen zu, wie die Forschenden zeigen konnten.

Außerdem wächst die Vielfalt eingeschleppter Arten, darunter der Höckerflohkrebs, die Körbchenmuschel, die Neuseeländische Zwergdeckelschnecke oder der Süßwasser-Röhrenkrebs, besonders in großen Flüssen. Der Höckerflohkrebs etwa war ursprünglich an den Unterläufen der Schwarzmeerflüsse beheimatet, hat sich aber seit den Neunzigerjahren über die Donau in Main, Rhein und Elbe bis in alle größeren Flüsse, Kanäle und Seen verbreitet. Südlich ist er bis in die Rhône, den Zürich- und den Gardasee vorgedrungen… weiterlesen

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