Zu viel Licht verändert die biologische Vielfalt
Zu viel Licht verändert die biologische Vielfalt
Zu viel Licht verändert die biologische Vielfalt
Die dunkle Jahreszeit – durch die Zunahme von künstlicher Beleuchtung sind Nacht und Winter jedoch gar nicht mehr so dunkel. Lichtverschmutzung nennen Forschende das Problem. Immer mehr wissenschaftliche Studien zeigen, dass Lichtverschmutzung eine Bedrohung für alle Ebenen der biologischen Vielfalt darstellt – von Genen bis zu Ökosystemen. Forschende vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) untersuchen das Thema und geben einen Überblick.
Künstliches Licht in der Nacht ist eng mit der modernen Gesellschaft verbunden und nimmt als Lichtverschmutzung weltweit rasch zu – pro Jahr um etwa 2 bis 6 Prozent.
Ökosysteme sind durch natürliche Hell-Dunkel-Zyklen strukturiert, also durch Tages-, Jahres- und Mondzyklen. Viele Lebewesen haben ihr Leben im Laufe der Evolution an diese Taktgeber angepasst. Lichtverschmutzung stört diese Zyklen, was sich auf allen Ebenen der biologischen Vielfalt auswirken kann, die wiederum eng miteinander verbunden sind.
Ist es hell, fehlt das saisonale Signal: Bäume verlieren selbst im Winter ihre Blätter nicht:
Die Übergangsphasen vom Herbst zum Winter und vom Winter zum Frühjahr sind für viele Prozesse in der Natur wichtig. Ein Signal für den einsetzenden Winter ist, dass die Tage kürzer werden – es also früher dunkel wird. „Lichtverschmutzung kann diesen Zeitgeber für den saisonalen Rhythmus stören. Ich habe das tatsächlich gerade direkt vor meiner Haustür erlebt: Mehrere Robinien, die direkt an Straßenlaternen stehen, tragen an der Seite, die der Leuchte zugewandt ist, selbst jetzt Anfang Dezember noch Blätter, während die auf der lichtabgewandten Seite kahl ist. Dies kann man oft an Stadtbäumen beobachten – und es ist natürlich problematisch, denn der Laubabwurf soll den Baum ja vor Frostschäden schützen“, erläutert IGB-Forscher Dr. Franz Hölker. Der Ökologe ist Experte für die ökologischen Auswirkungen von Lichtverschmutzung.
Zugvögel werden von ihrem Weg in die Winterquartiere abgelenkt:
Für Zugvögel kann der Weg in die Winterruhe durch Lichtverschmutzung gestört werden. „In diesem Fall wirkt das künstliche Licht nicht als Störfaktor für den saisonalen Rhythmus, sondern als Barriere und Ablenkung“, erläutert Franz Hölker. Wandernde Arten, wie Zugvögel, zeigen erstaunliche Orientierungsleistungen bei ihren globalen Reisen. „Noch sind die Mechanismen weitgehend unerforscht. Man weiß aber, dass sich einige Arten neben dem Magnetfeld der Erde an den Gestirnen orientieren. Sie können dabei durch große beleuchtete Gebäude oder Skybeamer von ihrem Kurs abgebracht werden.
Diese Lichtkegel von Skybeamern oder Gebäudebeleuchtungen können regelrecht als Staubsauger wirken, in die die Tiere hineingeraten, schwer wieder herausfinden und möglicherweise verenden“, stimmt der Ökologe Dr. Gregor Kalinkat zu, Koautor des Artikels. Eine Studie unter Leitung des Forschers Travis Longcore von der Urban Wildlands Group über die Todesfälle von Vögeln an Funktürmen in den USA und in Kanada zeigte, dass besonders neotropische Zugvögel auf ihren Wanderungen in und von den Wintergebieten betroffen waren.
Snowglow oder Schneeglühen – doppelt so hell wie beim hellstem Vollmond:
Franz Hölker und sein IGB-Kollege, der Physiker Dr. Andreas Jechow, haben in einer weiteren Studie festgestellt, dass Winterwetter mit Schnee und Wolken das künstliche Himmelsleuchten (auf Englisch skyglow) verstärken kann. Als Himmelsleuchten bezeichnet man den Anteil künstlichen Lichts, der nachts von der Erde nach oben abgestrahlt und anschließend in der Atmosphäre zurückgestreut wird – oft als große Lichtglocken über Städten zu sehen.
Das Himmelsleuchten hängt von den atmosphärischen Bedingungen, aber auch von der Reflexion von Licht am Boden ab. „Der Himmel war bei den Messungen in einer mondlosen Nacht mit Wolken und Schnee um den Faktor 1.000 heller als der Wert bei klarem Himmel ohne Schnee und die Beleuchtungsstärke war mit 0.8 Lux mehr als doppelt so hoch wie die des hellsten Vollmonds“, erläutert Andreas Jechow.
Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf die Artenvielfalt: 1 Drittel aller Wirbeltiere nachtaktiv:
Die Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf die Biodiversität sind vielfältig – von der Genexpression bis hin zum Funktionieren des Ökosystems.
30 Prozent aller Wirbeltiere und mehr als 60 Prozent aller Wirbellosen sind nachtaktiv und daher oft direkt von Lichtverschmutzung betroffen, denn für diese Tiere verschiebt sich die Zeit ihrer Aktivitäten – wie Futtersuche, Fortpflanzung und Räubervermeidung – ganz essenziell.
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Viele negative Effekte auf Lebewesen werden durch die Unterdrückung des „Nachthormons” Melatonins vermittelt. Vor allem kurzwelliges Licht, der blaue Anteil des sichtbaren Lichtes, unterdrückt die körpereigene Bildung dieses Botenstoffs und stört damit zusammenhängende Stoffwechselprozesse wie die Immunabwehr, das Wachstum oder die Fortpflanzungsphysiologie. „Die saisonale Fruchtbarkeit kann sich bei sensiblen Singvogelarten verfrühen. Bei Lachsen wurde durch Beleuchtung eine Verlängerung der Laichzeit festgestellt. Solche Verschiebungen der Reproduktionsphase können die Synchronisierung in Ökosystemen stören und sich negativ auf die Populationen auswirken, beispielsweise wenn das Futterangebot nicht geeignet ist, oder wie bei den Lachsen, wenn der Druck durch Räuber zu hoch wird“, erläutert Gregor Kalinkat.
Auch Kleinstlebewesen unterliegen tageszeitlichen Rhythmen. Das Zooplankton in Gewässern (beispielsweise Wasserflöhe) etwa, sucht den Schutz der Dunkelheit, um ungesehen von Fressfeinden, in oberen Gewässerschichten Algen und andere Mikroorganismen zu fressen. Diese Kleinstlebewesen tragen damit wesentlich zur Selbstreinigung von Gewässern bei. Die tageszeitliche Wanderung des Zooplanktons kann schon durch geringes künstliches Himmelsleuchten beeinflusst werden und deshalb wird wahrscheinlich noch weit über die Stadtgrenzen hinaus die Ökosystemleistung der Gewässerreinigung von Algen durch Zooplankton beeinträchtigt.
Lichtverschmutzung gilt auch als einer der Gründe für das weltweite Insektensterben. Denn nachtaktive Insekten wie Nachtfalter werden von Lichtquellen massenhaft angelockt, dort zur leichten Beute, oder sterben durch Hitze oder Erschöpfung.
Herausforderungen beim Schutz der Biodiversität:
Die Regulierung von nächtlicher künstlicher Beleuchtung hängt stark von den beteiligten politischen und administrativen Akteuren ab, die verschiedene Aspekte wie Sicherheit, Energieeffizienz, Design sowie Gesundheits- und Umweltbelange abwägen müssen. Ein gesetzgeberisches Manko im Umweltschutz ist, dass oft nur Arten mit besonderem Schutzstatus geschützt werden. Nachteilige Auswirkungen auf Arten und Landschaften ohne besonderen Schutzstatus werden von den bestehenden Regelungen selten berücksichtigt. Darüber hinaus sollte die Außenbeleuchtungspolitik die gesamte Zusammensetzung der städtischen Beleuchtung (wie Werbung, architektonische Beleuchtung und Sportbeleuchtung) berücksichtigen und sich nicht nur auf die Straßenbeleuchtung konzentrieren.
Ein vielversprechender Weg ist das deutsche „Insektenschutz“-Gesetz, eine Anpassung im Bundesnaturschutzgesetz, das eine Abstimmung der Regulierung von Lichtemissionen mit Immissionsschutz anstrebt. Ein weiterer interessanter Ansatz, um die Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf der Landschaftsebene zu begrenzen, könnte die Einrichtung von „Dark Infrastructures – Dunklen Infrastrukturen“ sein. Das sind ökologische Netzwerke, die aus Kerngebieten, Korridoren und Pufferzonen bestehen.
Potenziale und Risiken von LED:
„Die technologischen Fortschritte bei der Außenbeleuchtung, insbesondere bei LEDs, ermöglichen im Prinzip die Entwicklung von Beleuchtungen, die Lösungen im Interessenkonflikt zwischen dem menschlichen Bedarf an Licht und dem Schutz der biologischen Vielfalt bieten. Leider bleibt dieses Potenzial aber weitgehend ungenutzt“, beklagt Andreas Jechow. LEDs sind zwar sehr energieeffizient, die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass die Beleuchtung häufig einem starken Rebound-Effekt unterliegt, bei dem eine Erhöhung der Lichtausbeute zu einer höheren Lichtemission und nicht zu den angestrebten Energieeinsparungen führt. „Leider ist ein solcher Rebound-Effekt auch bei der Umrüstung auf LED-Technologie zu beobachten, was letztlich zu einem weiteren Verlust an natürlichen Nachtlandschaften führen kann“, sagt Franz Hölker.
Neben den Herausforderungen bei der Umsetzung, bleiben auch noch viele Fragen zu den arten- und merkmalspezifischen Empfindlichkeiten gegenüber Lichtverschmutzung und den Auswirkungen auf die biologische Vielfalt auf verschiedenen Ebenen offen.
11 Forschungsfragen für einen besseren Schutz der Biodiversität:
„Um den Biodiversitätsverlust zu mindern, sind solide transdisziplinäre Lösungen, die aus einer Zusammenarbeit von Praxis, Forschung, Produktion, Entscheidungsfindung und Planung hervorgehen, entscheidend“, stellt Franz Hölker fest. In einem internationalen Team haben er und seine Kolleginnen und kollegen die wichtigsten offenen Forschungsfragen zusammengetragen. Das Ziel: möglichst schnell die wissenschaftliche Basis für Handlungsempfehlungen für nachhaltige Beleuchtungskonzepte zu schaffen. Die Fragen fokussieren sich vor allem darauf, wie die Forschungsansätze optimiert und harmonisiert werden können, wie Lichtverschmutzung auf höheren Ebenen wie Lebensgemeinschaften, Ökosystemen und der Landschaft wirkt, und wie wir künstliche Beleuchtung nachhaltiger managen können. Künftig möchte man etwa herausfinden, welche Arten am empfindlichsten auf Lichtverschmutzung reagieren, wie schnell sich Populationen an das Phänomen anpassen können oder oberhalb welcher Schwellenwerte künstliche Beleuchtung kritisch wird.
red