Kompromisslos für den Frieden

Kompromisslos für den Frieden
Sicher: Es gab und gibt stets allerlei Gründe, den jetzt wieder einsetzenden, großen Demonstrationen fernzubleiben, so etwa die Furcht vor Polizeigewalt, den Zweifeln an Sinn und Zweck, persönliche Einschränkungen, aber auch Resignation, die zu viele nach wie vor gefangen hält: „Das hat doch alles keinen Zweck. Die da oben – oder die jeweils zum Feind Erkorenen oder wahlweise der Putin oder der Trump oder die EU – machen doch sowieso, was sie wollen.“
Dem engagierten katholischen Theologen Peter Schönhöffer sind alle diese Alltagseinwände nicht fremd, doch stehen ihm andere Einsichten näher. Mit den folgenden, grundlegenden Einsichten im Rücken sieht er Ansätze, um neue bzw. verschüttete Friedenspotenziale zu heben.
Schönhöffer verbindet in seiner Analyse wie in seiner praktischen Tätigkeit Spiritualität mit sozialem Engagement sowie die strikte Zusammengehörigkeit der Themenkreise Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Wichtige Impulse für seine den „gerechten Frieden“ suchende Sozialisation erhielt er in weltumspannenden ökumenischen Gerechtigkeitsbewegungen, insbesondere bei der Stiftung Ökumene, pax christi und Kairos Europa.
Schönhöffer konstatiert „ungeniert manipulierte und vollkommen wahrnehmungsgestörte Öffentlichkeiten sowie eine immer offenkundiger werdende, breit sich entwickelnde Zukunftsvernichtung“. „Vielleicht“, vermutet er, „nimmt die Anzahl und Eindrücklichkeit der Friedensdemonstrationen deswegen so schlagartig zu.“ Doch buchstäblich alles, was jetzt not-wendend werden könnte, geschehe noch immer nahezu unbemerkt von der Einheitslinie des veröffentlichten Meinungskorridors.
Bobby Langer
Kompromisslos für Frieden – ein Statement von Peter Schönhöffer:

Festzuhalten ist: Von den realen Basis-Notwendigkeiten einer internationalen Friedenskoalition zur Beendigung aktueller Kriege kommt in den Top-Themen der Leitmedien noch immer kaum etwas vor. Was zum Frieden ohne Waffengewalt führen könnte, gilt als indiskutabel. Vielmehr richtet sich die Grundwahrnehmung der Situationen in der Ukraine und im Gaza-Streifen auf strukturelle und situative Eskalation oder De-Eskalation bei völkerrechtswidrig und absolut menschenverachtend fortgeschriebener Apartheid (Trump-Plan für Gaza). Für eine echte Debatte um eine grundsätzlich notwendige Neuorientierung und praktische Perspektivenauslotung bleibt immer weniger Raum. Eines ist gewiss: dass wir damit die Wahrscheinlichkeit, die Welt zugrunde zu richten, dramatisch erhöhen. Damit aber muss jetzt und hier Schluss sein.
Angesichts der im Raum stehenden Vernichtungspotenziale gegen Menschen und Mitwelt bei gleichzeitiger Wahrnehmungsverweigerung müssen Friedensrationalitäten formuliert und Friedenspotenziale entschieden gehoben werden.
Immerhin: Nach Mobilisierung von 15.000 bis 20.000 Menschen durch BSW plus Dieter Hallervorden, TV-Moderatoren sowie einschlägigen Musik- und Rapper-Promis gingen am 3. Oktober in Berlin 60.000 bis 100.000 Menschen gegen den jede Menschlichkeit verloren habenden Gaza-Krieg auf die Straße. In Barcelona versammelten sich bei Friedensdemonstrationen mehrere zehntausend Menschen, in ganz Italien waren es über eineinhalb Millionen. Auch Stuttgart war groß dabei. In New York organisierten über 1.000 Rabbiner und jüdische Friedensaktivist/innen eine Demonstration, in der sie eine dauerhafte Waffenruhe in Gaza forderten. Eines wird immer deutlicher: Nicht nur die Anzahl und die in wichtigen Ansätzen und weiten Teilen geteilten Grundsatzüberzeugungen, sondern auch die Nachdrücklichkeit der Demonstrationen und mobilisierbaren „Friedensbewegten“ lässt sich nun kaum mehr stoppen. Wann aber werden sie zu mehr als punktuellen Befriedungen bei ungelösten ökonomisch-ökologischen Zangenkrisen beitragen?
Spezifische Rolle der Friedensbewegung
Einige wesentliche Anteile öffentlicher deutscher Kräfte sollten die Gunst der geballten herbstlichen Friedensdemonstrationen schnellstmöglich nutzen und zu ernsthaften Friedensverhandlungen drängen: dass es gilt, auf den anderen zuzugehen und die Positionen des anderen verstehen zu wollen; und dass konsequentes und lösungsorientiertes, kleinteiliges Verhandeln reichere Ausbeute hervorbringen wird als europäische Bewegungslosigkeit oder amerikanische Clownerien. Wann, wenn nicht jetzt auf dem Hintergrund des Rückhaltes der Friedensdemonstrationen im Herbst 2025 kann dies öffentlichkeitswirksam ausgesprochen und allgemein gehört werden?
Und die spezifische Rolle der Friedensbewegung? Den jetzt überall aufgepeitschten Eskalationslogiken ist vehement Einhalt zu gebieten. Die sich in der neuen Friedensbewegung plural und nicht faschistisch versammelnden Strömungen sollten orchestriert, klug, nüchtern, eindeutig und eindrücklich, verlässlich und mitvollziehbar vorgehen. Das bedeutet,
- dem politisch zum Feind Gewordenen gut überlegte und nach Verlässlichkeit und Wechselseitigkeit rufende ökonomische und diplomatische Angebote zu machen (grüner Wasserstoff plus vertrauensbildende OSZE-Verhandlungen plus Wiedereinsetzung eines mehrheitlich von den USA Schritt für Schritt aufgekündigten UN-Waffenkontrollsystems);
- den Frieden zu proklamieren und auf den jeweiligen Gegenseiten Kräfte zu finden, die dies auch wollen, und dann in Verhandlungen zu gehen, die die Eskalations- und Grausamkeitsdynamik unterbrechen und unterbinden;
- die Kriegstrommler und Eskalations-Falken in den eigenen wie in den fremden Reihen abzuwehren und das Wagnis eines umfassenden und vor allem ökonomisch bestandsfähigen Friedens einzuläuten.
In überroßer Not wächst ein stilles Heer mit Potenzial der Feindesliebe
Biblisch würde man sagen: Von jetzt und hier an weitermachen, ohne noch einmal zurückzuschauen, vorwärtsgehen ohne inneres Wanken. Es ist kein Zufall, dass einem dazu tiefreichende biblische Wegmarken in den Sinn kommen. Sie werden gebraucht werden. Und ihre Zeit wird kommen. Es gilt, wie das Neue Testament schon wusste, nicht nur „arglos wie die (Friedens-)Tauben“ vorzugehen, sondern zugleich auch „klug wie die Schlangen“.
Jetzt, wo die Not übergroß wird, wächst langsam das stille Heer derjenigen, die zuerst tief in sich, später auch nach außen gewandt, das Potenzial der Feindesliebe erkennen werden. Mit ihr kann der dauerhaft fortbestehende Kriegsgrund von vollkommen gespaltenen Öffentlichkeiten in Ost und West doch noch überwunden werden. Möglicherweise erst aus einer solch tiefen Klarheit werden das Potenzial und die Strategiefähigkeit derjenigen kommen, die zuverlässig wissen: Eine realistische Friedensfähigkeit kann die Lagergrenzen zunächst durchlöchern und dann überschreitbar machen. Eine solche Friedensfähigkeit ist die einzige, noch erreichbare Chance für die Menschheit, ohne dass die Ökosysteme vollends sterben und die Migrationswellen aus unzumutbaren Lebenswirklichkeiten vollends über die privilegierten Zonen hereinbrechen.
Der Text ist Teil unserer Medienkooperation mit Pressenza. Im Original finden Sie ihn hier.