Klimaschutzgesetz: Politik der heißen Luft

Klimaschutzgesetz: Politik der heißen Luft
Foto: Geralt/PixabayCC/PublicDomain

Klimaschutzgesetz: Politik der heißen Luft

zeit.de: Das Klimaschutzgesetz war gut gemeint – wirkt aber kaum. Weil die Regierung sich nicht dran hält.

Wenn ein Bürger ein Gesetz bricht, drohen ihm Bußgeld, Sozialstunden oder sogar eine Gefängnisstrafe. Was aber passiert, wenn ein Minister ein Gesetz ignoriert – oder gar der Bundeskanzler?

Die Frage ist keine theoretische. Denn kurz vor der Sommerpause haben Verkehrsminister Volker Wissing und Bauministerin Klara Geywitz jeweils ein Sofortprogramm für den Klimaschutz vorgestellt. Sie mussten das tun, weil sowohl der Verkehr als auch die Gebäude in Deutschland viel mehr Treibhausgas ausstoßen, als gesetzlich erlaubt ist. Doch die Programme, die die beiden vorstellten, reichen nicht aus. Von einem „rasenden Stillstand bei der Minderung der Treibhausgase“ spricht die Physikerin Wiebke Zimmer vom Thinktank Agora Verkehrswende. „Die Emissionsminderungsziele werden deutlich verfehlt“, sagt die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Lesen Sie auch:

Eine „Klimaregierung“ wollte die Ampel werden – doch ausgerechnet in diesem Hitzesommer werden die Schwachstellen der deutschen Klimapolitik offenbar. Und nun?

Eigentlich sind die Regeln der deutschen Klimapolitik einfach: Der Gesetzgeber hat dem Land klare Einsparziele verordnet, jedes Jahr muss in jedem Sektor der Wirtschaft mehr CO₂-Ausstoß eingespart werden. Klappt das nicht, muss die Regierung mit Förderprogrammen, Maßnahmen und Verboten nachbessern. Im vergangenen Jahr misslang das, auch die Nachbesserungen reichen nicht. Die Lage wird dadurch verschärft, dass der Ausfall der russischen Gaslieferungen die Regierung dazu treibt, weltweit nach neuen Gaslieferanten zu suchen und schmutzige Energieträger wie Kohle wieder stärker einzusetzen – jedenfalls übergangsweise. Doch das Problem ist eben auch, dass sie nicht die Kraft hat, Maßnahmen zum Energiesparen (und damit auch CO₂-Sparen) durchzusetzen – nicht einmal beim Bauen oder beim Verkehr, also dort, wo der Krieg das nicht erschwert.

Das Bundes-Klimaschutzgesetz, gegen dessen Geist die Regierung auf diese Weise verstößt, ist nicht irgendein Gesetz. Mit ihm verband sich die Hoffnung, dass sich der Schutz der Atmosphäre automatisieren und vom politischen Tagesgeschäft mit seinen Kompromissen entkoppeln lässt. Dass das Gesetz so streng ist, hat mit einem weitreichenden Eingriff der Justiz in die Politik zu tun: Das Bundesverfassungsgericht hatte im vergangenen Jahr nach einer Klage mehrerer Jugendlicher gegen die Bundesregierung geurteilt, dass die politisch Verantwortlichen mehr für das Klima tun müssten – weil sie sonst die Bedürfnisse der kommenden Generationen fahrlässig ignorierten. Die damalige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) boxte daraufhin in wenigen Tagen eine Novelle des Gesetzes durchs Kabinett und durch den Bundestag, die noch über die Forderungen der Richter hinausging.

Das Klimaschutzgesetz legt seither fest, dass Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden muss, und es schreibt jährlich verbindliche Ziele und Emissionsmengen für den Energiesektor, die Industrie, die Gebäude, den Verkehr, die Landwirtschaft und die Abfallwirtschaft vor. Werden diese Vorgaben nicht eingehalten, muss das zuständige Bundesministerium nacharbeiten – und ein Sofortprogramm erstellen, mit dem der eigene Zuständigkeitsbereich wieder auf Kurs kommt. So soll verhindert werden, dass die Lücke von Jahr zu Jahr größer wird.

Damit es zu keinen Tricksereien kommt, wurde der Expertenrat für Klimafragen gegründet, besetzt mit fünf Energiefachleuten. Die rechnen jährlich bis Ende März aus, ob Deutschland die Ziele im Vorjahr erreicht hat oder nicht. Im vergangenen Jahr lagen die CO₂-Emissionen im Verkehr drei Millionen Tonnen und die im Gebäudesektor zwei Millionen Tonnen über dem Erlaubten. (Zum Vergleich: Ein Durchschnittsbürger ist derzeit für rund acht Tonnen CO₂ im Jahr verantwortlich.) Folglich mussten der Verkehrsminister und die Bauministerin nacharbeiten.

Womöglich kein Zufall

Beide Minister haben das getan, aber zu wenig geliefert. Verkehrsminister Volker Wissing hat viel zu wenige Maßnahmen aufgeschrieben, die schnell CO₂ sparen, und zudem Pläne vorgestellt, für die sein Parteikollege Christian Lindner als Bundesfinanzminister nicht genug Geld vorgesehen hat: beispielsweise für den Ausbau der Bahn. Claudia Kemfert vom DIW fordert entschiedenere Maßnahmen wie „ein Klimaticket nach dem Vorbild Österreichs“. Das Geld dafür ließe sich nach Angaben der Ökonomin durch den Abbau klimaschädlicher Subventionen wie für Diesel oder für Dienstwagen aufbringen. Doch das will Wissing ebenso wenig wie das spritsparende Tempolimit.

Auch bei den Gebäuden, für die die Sozialdemokratin Klara Geywitz zuständig ist, passiert zu wenig. Eigentlich müssten Gebäude schnell energieeffizienter werden, damit beim Heizen weniger CO₂ ausgestoßen wird. Doch Geywitz’ Sofortprogramm sei viel zu „vage“, findet Jürgen Leppig, der Bundesvorsitzende des Energieberaterverbands GIH: „Auf dieser Basis wird die energetische Beratung von Bauherren sehr schwer.“ Dazu komme noch, dass auch die jüngste Novelle des Gebäudeeffizienzgesetzes viel zu „lax“ sei, beispielsweise spiele dort die Gebäudehülle keine Rolle mehr. Klingt technisch, hat jedoch auf dem Bau große Wirkung – denn dort geht es darum, ob das Haus oder nur die Heizung umweltfreundlich wird. „So wird der Gebäudesektor die Klimaziele weiter reißen“, sagt Leppig – zumal auch noch die Förderung deutlich reduziert worden sei.

Und nun? Bußgeld? Sozialstunden? Irgendwelche Sanktionen gegen die verantwortlichen Minister?

Das Gesetz sieht nichts davon vor. Es fordert nur, dass der Expertenrat für Klimafragen die Nachbesserungen von Wissing und Geywitz noch einmal prüft. Danach kann die Bundesregierung verabschieden, was sie verabschieden will… weiterlesen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.