Klimavertriebene: Ohne Heim und ohne Rechte

Klimavertriebene: Ohne Heim und ohne Rechte
Foto: Trasmo/Pixabay CC/PublicDomain.

Klimavertriebene: Ohne Heim und ohne Rechte

energiezukunft.eu: Mittlerweile werden durch den Klimawandel mehr Menschen vertrieben als durch Kriege und Konflikte. Im Jahr 2023 waren es 26 Millionen, bis 2050 könnten es über 220 Millionen sein. Einen universalen Rechtsrahmen, der ihnen Schutz bietet, gibt es nicht. Die internationale Gemeinschaft schaut weg.

Die ARTE- Dokumentation Klimavertriebene: Ohne Heim, ohne Rechte zeigt, wie der Lebensraum von Menschen in verschiedenen Ländern wie Bangladesch oder Kolumbien unbewohnbar wird, und wie die Betroffenen und Staaten darauf reagieren. Marion Sippel hat auf ARTE Deutschland mit Prof. Walter Kälin von der Universität Bern darüber gesprochen.

Professor Kälin, Sie waren Professor für Staats- und Völkerrecht an der Uni Bern und außerdem Vertreter des UNO-Generalsekretärs für Menschenrechte von Binnenvertriebenen. Ich gestehe, ich hatte keine Ahnung, dass es in der UNO eine solche Stelle gibt. Wie würden Sie das Amt und Ihre Aufgabe beschreiben?

Prof. Walter Kälin: Das ist bereits einige Zeit her. Der Hintergrund ist folgender: In den 1990er-Jahren hat man realisiert, dass es mehr Binnenvertriebene gibt als Flüchtlinge, dass aber niemand darüber spricht. Damals haben die Staaten beschlossen, irgendjemand muss dieses Thema behandeln, muss es in die Öffentlichkeit bringen, muss auch gegenüber der UNO und den Staaten darüber berichten, was die Situation dieser Menschen ist.

Prof. Walter Kälin
ist em. Ordinarius für
kantonales Staatsrecht
sowie Völkerrecht,
Universität Bernam
Institut für öffentliches Recht

Und in dieser Rolle sind Sie auch dann Gesprächspartner für die ARTE-Dokumentation „Klimavertriebene: Ohne Heim, ohne Rechte“ geworden. In dem Film sagen Sie, dass es bei der Vertreibung durch Klimawandel und Katastrophen nicht um eine Bewegung von A nach B geht, sondern um Verlust. Was meinen Sie damit?

Stellen Sie sich vor, Sie hätten heute Morgen Ihre Wohnung, Ihr Haus verlassen müssen wegen eines großen Waldbrandes, wegen einer Überschwemmung. Und das haben Sie zurückgelassen: Ihr Leben haben Sie zurückgelassen. Sie haben Ihr Heim verloren. Sie haben vielleicht Ihre Arbeitsstelle verloren. Sie haben Ihre Dokumente vielleicht verloren und haben dann Schwierigkeiten, sich überhaupt auszuweisen und damit zu Ansprüchen zu kommen, die Sie gegenüber den Behörden geltend machen können. In großen Katastrophenfällen haben Sie auch Ihre gesamte Gemeinschaft verloren, Ihr Land. Und wenn wir dann, wie es im Film behandelt wird, über indigene Völker sprechen, über Menschen, die sehr eng mit ihrem Boden verbunden sind, weil das die Grundlage ihrer Kultur ist, dann verlieren sie auch die Kultur.

Menschen, die aus politischen Gründen fliehen oder verfolgt werden, genießen einen gewissen rechtlichen Schutz. Wie sieht denn der juristische Rahmen für Menschen aus, die vor Hitze, Dürre oder Hochwasser fliehen?

Auf universeller Ebene gibt es keinen wirklichen Rechtsrahmen für diese Menschen, vor allem nicht, wenn sie in Nachbarstaaten oder weiter in andere Länder fliehen. Sie werden nicht anerkannt als Flüchtlinge. Am Kern des Flüchtlingsbegriffs steckt der Begriff der Verfolgung durch den eigenen Staat, durch die eigenen Behörden. Es geht natürlich nicht, beispielsweise den Behörden der Regierung der tiefliegenden Inselstaaten im Pazifik vorzuwerfen, sie würden Menschen verfolgen.

Auf innerstaatlicher Ebene, dort wo es um Binnenvertriebene gibt, gibt es diese Leitprinzipien der UNO zum Schutz der Rechte der Binnenvertriebenen. Ich war damals beteiligt an der Arbeit. Das ist allerdings rechtlich nicht bindend und bekommt nur dann Sinn, wenn die Staaten das dann innerstaatlich auch umsetzen – in ihren Gesetzgebungen, in ihrer Politik. Das haben verschiedene afrikanische Staaten gemacht. Das haben verschiedene Staaten im Pazifik gemacht. Und das ist Teil des Films. Gestützt darauf hat kürzlich das Verfassungsgericht von Kolumbien diesen Schutz für Binnenvertriebene auch auf Menschen ausgedehnt, die eben im Kontext von Katastrophen, von Klimawandel alles verlieren, weggehen, fliehen müssen.

Es sind der im Film benutzte Begriff Klimavertriebene der korrekte Begriff im Gegensatz zu Klimaflüchtlinge?

Das ist der korrekte Begriff, denn Flüchtling ist ein Rechtsbegriff. Das sind Menschen, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, politischen Anschauungen, ethnischen Zugehörigkeit ins Ausland fliehen müssen. Und dieser Rechtsbegriff findet eben keine Anwendung auf Menschen, die nicht verfolgt werden, sondern die Opfer werden dieser Auswirkungen des Klimawandels – seien es Stürme, sei es die Erosion der Küsten etc. Da müssen wir andere Begrifflichkeiten verwenden und Klimavertriebene ist ein Begriff, der das gut beschreibt, der aber kein Rechtsbegriff ist – eben weil auf universeller Ebene im Gegensatz zu gewissen Regionen, zu gewissen Ländern hier eine Schutzlücke besteht… weiterlesern

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