Langsam steigender Strombedarf spart Mia. Euro

Langsam steigender Strombedarf spart Mia. Euro
handelsblatt.com: Deutschland benötigt trotz Energiewende weniger Storm als erwartet. Das könnte Kosten für den Netzausbau verringern – und Verbraucher entlasten.
In den kommenden zwei Jahrzehnten müssen bisherigen Prognosen zufolge mehr als 500 Milliarden Euro in den Ausbau der Stromnetze investiert werden. Doch könnte sich diese Summe nun überraschend um einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag reduzieren, sagen Experten.
Die 500 Milliarden Euro setzen sich aus zwei Faktoren zusammen: den Kosten für den Ausbau des Stromübertragungsnetzes, die die Bundesnetzagentur bis 2045 mit etwa 320 Milliarden Euro beziffert. Zudem werden rund 200 Milliarden Euro für den Verteilnetzausbau veranschlagt.
Das Verteilnetz sorgt für die Stromverteilung auf regionaler und lokaler Ebene, es bringt den Strom bis zu jedem Hausanschluss. Dagegen dient das Stromübertragungsnetz dem Transport großer Strommengen quer durchs Land.
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Martin Selter, Partner bei dem auf Energiethemen spezialisierten Beratungsunternehmen e.venture consulting, geht davon aus, dass sich „die bis 2045 anfallenden Investitionskosten um bis zu 86 Milliarden Euro gegenüber dem Netzentwicklungsplan reduzieren“ lassen. Denn: Es wird weniger Strom verbraucht als erwartet – und so muss weniger Strom transportiert werden als bislang geplant.
Die Berechnungen von e.venture im Auftrag des Netzbertreibers 50Hertz beziehen sich dabei allein auf die Einsparpotenziale beim Ausbau des Stromübertragungsnetzes an Land. Kostensenkungspotenziale für die Netzanbindung der Offshore-Windkraft spiegeln sich in dem Wert von bis zu 86 Milliarden Euro nicht wider, sind laut dem Experten aber zu vernachlässigen. Nicht erfasst sind Kostenvorteile, wenn der Ausbau des Verteilnetzes über einen längeren Zeitraum gestreckt wird.
Der von Selter angeführte Netzentwicklungsplan umschreibt den Ausbaubedarf des deutschen Stromübertragungsnetzes. Er bildet somit die Grundlage für die Planung der kommenden Jahre. Er wird von den Netzbetreibern erarbeitet, von der Bundesnetzagentur bestätigt und kontinuierlich aktualisiert.
Grundsätzlich ist der Netzausbau aus zwei Gründen unerlässlich: Einerseits wandelt sich das System der Stromerzeugung grundlegend. Früher wurde es von Großkraftwerken in der Nähe der industriellen Zentren im Westen und Südwesten der Republik bestimmt.
Industrie verschiebt Projekte der Energiewende
In den vergangenen Jahren haben sich die Erzeugungskapazitäten mehr und mehr in den Norden und Nordosten verlagert, wo die Windkraft besonders stark ausgebaut wurde. Das macht zusätzliche Leitungen erforderlich, weil mehr Strom durch die Republik transportiert werden muss, etwa von der Nordseeküste bis zu Industrieansiedlungen im Süden.
Hinzu kommen viele dezentrale Erzeugungsanlagen im ganzen Land, von der Photovoltaik-Anlage auf dem innerstädtischen Hausdach bis zum Solarpark in der Provinz.
Zweitens steigt tendenziell der Strombedarf, weil bislang mit fossilen Energieträgern betriebene Prozesse auf strombasierte Verfahren umgestellt werden. Das gilt für die Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude gleichermaßen. Die Menge des zu transportierenden Stroms wächst.
Allerdings geht die Energiewende nicht überall wie geplant voran. Gerade in der Industrie werden viele Projekte wegen der konjunkturell schwierigen Lage zurückgestellt. Auch die Investitionen in die Wasserstoffelektrolyse, die große Mengen Strom erfordert, bleiben weit hinter den Erwartungen zurück.
Zuletzt wurden Projekte verschoben oder abgesagt. Außerdem entwickelt sich die Elektromobilität wesentlich langsamer als erwartet. Zugleich zeichnet sich ab, dass in diesem Jahr nur 200.000 elektrische Wärmepumpen in Deutschland verkauft werden. Der Zielwert der Bundesregierung liegt bei jährlich 500.000 Wärmepumpen.
Prognosen für 2030 nicht mehr realistisch
Den aktuell geltenden Prognosen zufolge hätte der Stromverbrauch in den vergangenen Jahren kontinuierlich steigen müssen. Zuletzt hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Juli 2021 die Stromverbrauchsprognose für 2030 von 580 Terawattstunden auf 645 bis 665 Terawattstunden (TWh) erhöht. Aus heutiger Sicht erscheint der Wert als zu hoch gegriffen.
Denn zuletzt war der Stromverbrauch sogar rückläufig. Betrug der Bruttostromverbrauch in Deutschland 2019 noch 569 Terawattstunden (TWh), waren es 2020 noch 546 TWh und 2023 nur noch 517 TWh.
Stefan Kapferer, Chef des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, sieht für diese Entwicklung als Ursache auch die Preisentwicklung im Zuge der Energieversorgungskrise 2022. Private Stromkunden haben ihren Verbrauch reduziert, die Industrieproduktion ist zurückgegangen. „Aber ein Teil der Entwicklung dürfte mit der Entwicklung der Energiewende insgesamt zu tun haben“, betont der 50Hertz-Chef… weiterlesen