Warum Extremwetter Deutschland so heftig trifft

Warum Extremwetter Deutschland so heftig trifft
capital.de: Das Klima in Deutschland verändert sich rasant. Das Land erhitzt sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Woran liegt das? Und was bedeutet das für uns? Ein Blick auf über 100 Jahre Wettergeschichte.
1986 platzt eine Meldung in den deutschen Wahlkampf, genauer gesagt ein Papier mit brisantem Inhalt: Es handelt davon, dass die Verbrennung von billigem Öl und Gas Unmengen an Kohlenstoff freisetzt. Genug, um eine globale Hitzewelle auszulösen, die sämtliche Klimaschwankungen der vergangenen 100.000 Jahre in ihrer Intensität, aber auch in ihrer Geschwindigkeit in den Schatten stellt. Geschrieben hat es eine Forschergruppe der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) und Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG). Gelandet ist es beim Ministerium für Technik und Forschung, das die Ergebnisse vor der anstehenden Bundestagswahl aber um keinen Preis veröffentlicht sehen will.
„Die Politiker wollten eine Debatte über Klimaänderungen durch den Menschen auf jeden Fall verhindern – und das ist ihnen auch gelungen“, erinnert sich Hartmut Graßl, der an dem Dokument mitgearbeitet hat und heute zu Deutschlands führenden Klimaforschern zählt. Als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen hat er die Bundesregierungen in den 1990er-Jahren in Klimafragen beraten.
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Seitdem hat sich viel verändert: Deutschlands Gesetze zur Einspeisung von Windenergie (1993) und Erneuerbarer Energie (2000) wurden zu internationalen Vorbildern. Seit 2015 ist das Klimaabkommen von Paris der Maßstab sämtlicher politischer Entscheidungen. Das Bewusstsein über den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen ist, auch wegen einer hartnäckigen Klimabewegung, massiv gewachsen. Erneuerbare Energien boomen, selbst in kohlegeprägten Ländern wie China. Die grüne Wende, so sehen es Ökonomen und Klimaforscher, ist mittlerweile unumkehrbar.
Immer mehr Ökosysteme steuern auf Kipppunkt zu
Unumkehrbar bleibt aber auch die Richtung, in die sich die Temperatur des Planeten bewegt: Immer mehr Ökosysteme steuern auf ihre Kipppunkte zu, erste Inselbewohner müssen ihre Heimat wegen des steigenden Meeresspiegels verlassen; Extremhitze und Starkregen erschüttern Europa und Deutschland im Wechsel.
Dabei warnten die Wissenschaftler bereits in den 1980er-Jahren: „Es besteht der begründete Verdacht, dass schon innerhalb der nächsten 100 Jahre die mittlere Temperatur an der Erdoberfläche durch Anreicherung an Kohlendioxid um 1,5 bis 4,5 °C (…) ansteigen wird.“ Werde die Energiewende nicht sofort eingeleitet, könnten die Temperaturen im 21. Jahrhundert um bis zu vier Grad ansteigen. Bestätigt wurden ihre Prognosen in den folgenden Jahren unter anderem vom Weltklimarat IPCC.
Zum 15. Extremwetterkongress, der in dieser Woche in Hamburg stattfand, hatten die Wissenschaftler von DPG und DGM ihre Prognosen überarbeitet, mit dramatischen Erkenntnissen: Stand jetzt könnte die globale Durchschnittstemperatur schon Mitte dieses Jahrhunderts um drei Grad angestiegen sein. Anders gesagt: Die globale Temperatur könnte sich in den kommenden 25 Jahren so stark erhöhen wie in den vergangenen 150 Jahren zusammen.
Was bedeutet das für Deutschland? Ein Blick auf die Wettergeschichte der Bundesrepublik:
Heiß, heißer, Deutschland
2015 einigte sich die Weltgemeinschaft darauf, den Temperaturanstieg dauerhaft auf 1,5 Grad verglichen mit der Referenzperiode vor 1990 zu begrenzen. Ein Jahrzehnt war kaum vergangen, da wurde das Ziel bereits gerissen, womöglich sogar dauerhaft.
In Deutschland dürfte die 1,5-Grad-Grenze längst obsolet sein: Das Land zählt weltweit zu den Hauptverursachern der Pro-Kopf-CO₂-Emissionen, zahlt dafür aber auch spätestens seit diesem Jahrzehnt die Quittung. Verglichen mit dem Rest der Welt erhitzt sich die Bundesrepublik doppelt so schnell. Die Jahre 2022 bis 2024 waren laut Deutschem Wetterdienst (DWD) die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. Zudem waren seit den 1960er-Jahren alle Dekaden wärmer als die vorherigen. So weit muss man in der deutschen Wettergeschichte aber nicht zurückgehen, um festzustellen, dass sich die zehn wärmsten Jahre in Deutschland alle in diesem Jahrhundert ereignet haben.
„Eine derart außergewöhnliche Häufung von Rekordjahren der Temperatur ist nur durch die menschengemachte globale Erwärmung erklärbar“, heißt es in dem Bericht, den die Physikalischen und Meteorologischen Gesellschaften zusammen mit dem DWD vorgestellt haben. Insgesamt, so hat es der DWD errechnet, liegen die Temperaturen heute um gut drei Grad über denen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eine Trendwende ist nicht in Sicht… weiterlesen