Wasserstoff für die Energiewende

Wasserstoff für die Energiewende
spektrum.de: Studien zufolge könnte es gewaltige Lagerstätten an natürlichem Wasserstoff im Untergrund geben. Inzwischen spekulieren manche Bohrfirmen gar auf einen echten Wasserstoffrausch.
Um die besonders energieintensiven Branchen mit Energie zu versorgen, werden künftig immense Mengen an Wasserstoff benötigt. Klimaneutral ist dieser aber nur, wenn er aus regenerativen Quellen gewonnen wird. Und da sitzt der Haken an der Sache.
Denn »grünen« Wasserstoff herzustellen ist komplex und wird wohl auch auf absehbare Zeit sehr teuer bleiben. Viele Fachleute bezweifeln mittlerweile sogar, dass das Gas rechtzeitig zum Erreichen der Klimaziele in ausreichender Menge zur Verfügung stehen wird.
Nun wächst jedoch bei einigen die Hoffnung auf eine Alternative zu grünem Wasserstoff. Sie verspricht ebenso klimafreundlich, dafür aber leichter zu beschaffen zu sein – und das, obwohl sie aktuell noch vor unseren Augen verborgen ist: Tief im Untergrund, unter hunderten oder tausenden Metern Gestein, entsteht auf natürliche Weise Wasserstoff, der sich theoretisch anzapfen und genauso wie grüner Wasserstoff verwenden ließe.
Wo sich die Quellen dieses »weißen« Wasserstoffs befinden, ist derzeit allerdings unbekannt. Auch wie viel des begehrten Gases sie enthalten, ist offen. Und nicht zuletzt weiß noch niemand, ob sich die Quellen wirtschaftlich ausbeuten lassen. Bislang galten die Vorkommen an natürlichem H2 in der Erdkruste generell als eher überschaubar. Doch jüngste Forschungen legen nahe, dass es sich bei dieser Einschätzung um einen Irrtum gehandelt haben könnte.
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»Wahrscheinlich haben wir den Wasserstoffgehalt der Erde deutlich unterschätzt«, sagt Jürgen Grötsch, der an der Universität Erlangen-Nürnberg und dem GeoZentrum Nordbayern forscht.
Denn entgegen der landläufigen Einschätzung könnte es überall auf der Welt große Vorkommen an natürlichem Wasserstoff geben, ähnlich wie Öl und Gas – nur nicht an den gleichen Orten und vielleicht auch in einer anderen Form, als man es von den fossilen Energieträgern kennt. Diese Ansicht wurde anfangs lediglich von einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern vertreten, seit einiger Zeit häufen sich jedoch Publikationen, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen.
Ein erstes Leuchtturmprojekt
Die erste bekannte Verwendung von weißem Wasserstoff stammt aus dem Jahr 1907. Damals wurde mit dem Gas für einige Jahre ein Leuchtturm betrieben, der Schiffen den Weg von Tallinn, heute Estland, ins finnische Helsinki wies, erklärt der Geologe Grötsch. Auch im heutigen Sachsen-Anhalt sei man schon auf das brennbare Gas gestoßen: »In Deutschland wurde ab 1910 im Salzbergwerk Leopoldshall bei Staßfurt viereinhalb Jahre lang zufällig Wasserstoff in kleinen Mengen nachgewiesen. Dann kam der Erste Weltkrieg und niemand interessierte sich mehr dafür.«
Schließlich traten Erdöl und Erdgas ihren Siegeszug an, und der unterirdische Wasserstoff war vergessen. Deshalb sei man heute dort, wo die Öl- und Gasindustrie vor 150 Jahren war, sagt Grötsch: »Wir sind beim natürlichen Wasserstoff noch ganz am Anfang, aber was wir wissen, ist ermutigend.«
Inzwischen wurde Wasserstoff an vielen Stellen der Erde in ganz unterschiedlichen geologischen Formationen gefunden. Auch bei Bohrungen nach Öl und Gas stieß man in der Vergangenheit gelegentlich auf Wasserstoff. Solche Bohrungen wurden dann als »trocken«, also erfolglos deklariert. Lange Zeit wurden sie ignoriert, heute ist das anders: Wo immer Daten darüber noch vorhanden sind, dienen sie Explorationsgeologen als wichtige Hinweise bei der Suche nach natürlichem Wasserstoff. Solche »Brownfield-Explorationen« sind wichtig, auch weil das Rätsel um den Ursprung des natürlichen Wasserstoffs weiterhin nicht ganz gelöst ist.
Nordbayern ist in dieser Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt, hier hat bisher niemand nach Öl und Gas gebohrt. »Das heißt, wir betreiben Greenfield-Exploration«, erklärt Grötsch. Dafür sind keine aufwändigen Bohrungen nötig, denn das Gas diffundiert durch den Untergrund und findet sich in den Hohlräumen des Bodens. Das ist so häufig, dass es sogar spezialisierte Mikroorganismen gibt, die das Gas verwerten. Schon in einem Meter Tiefe gibt es Wasserstoffkonzentrationen, die mit Bodengasmessungen untersucht werden können. Dass das Bodenleben auf den nordbayrischen Untersuchungsflächen gar nicht allen Wasserstoff verbrauchen kann, nährt die Hoffnung auf größere Wasserstoffvorkommen im tieferen Untergrund.
Wie lassen sich die Reservoirs anzapfen?
Gemeinsam mit Erlanger Geowissenschaftlern um Harald Stollhofen sucht Grötsch nach Orten, an denen der Wasserstoff in größeren Mengen gewonnen werden könnte. Der Geowissenschaftler ist zuversichtlich, Vorkommen zu finden, die eine Pilotanlage rechtfertigen. Die wäre wichtig, um herauszufinden, wie sich die unterirdische Ressource am effizientesten aus der Tiefe fördern lässt. »Das ist eines der Probleme, die wir lösen müssen«, sagt Grötsch.
Die Situation ist nicht mit der eines Erdgasfeldes vergleichbar. Während bei Erdgasfeldern die Fördermenge zunächst steil ansteigt und dann innerhalb weniger Jahre exponentiell abnimmt, dürfte bei den meisten Wasserstoffquellen über lange Zeiträume mit moderaten, aber konstanten Förderraten zu rechnen sein. »Wir gehen davon aus, dass ständig neuer Wasserstoff aus dem Erdmantel nachkommt«, erklärt der Geologe. Das Wasserstoffsystem sei wesentlich komplexer als das Erdölsystem.
Bereits an einem Dutzend Orten der Erde ist die Existenz von natürlichem Wasserstoff im Untergrund bekannt. An manchen liefern Bakterien den Nachschub, indem sie organisches Material umwandeln und dabei das Gas freisetzen. Andernorts ist der Zerfall radioaktiver Elemente in der kontinentalen Erdkruste der Treiber eines Prozesses, bei dem Wasser aufgespalten wird.
Entscheidend ist aber nicht nur die Frage nach dem Wo, sondern auch die nach dem Wieviel. Darauf gab eine 2024 in »Science Advances« erschienene Studie von Geoffrey Ellis und Sarah Gelman vom U.S. Geological Survey in Denver eine äußerst optimistisch stimmende Antwort. Die beiden Wissenschaftler schätzen in ihrer Veröffentlichung die weltweiten H2-Vorkommen auf etwa 5,6 Billionen Tonnen. Von denen könne zwar wohl nur ein geringer Teil wirtschaftlich genutzt werden. Doch selbst ein Prozent dieser Menge würde rein rechnerisch genügen, um den für 2050 prognostizierten globalen Wasserstoffbedarf von jährlich 530 Millionen Tonnen über ein komplettes Jahrhundert zu decken.
Unter Ozeanböden und Gebirgen
Bislang war allerdings unklar, wo man nach potenziell großflächigen natürlichen Wasserstoffansammlungen suchen sollte. Das versucht unter anderem Frank Zwaan zu ändern. Der Niederländer hat an vielen europäischen Instituten und in Afrika Forschungserfahrung gesammelt, zuletzt war er Teamleiter am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geowissenschaften in Potsdam. Sein Ziel ist es, den Wasserstoffquellen mit Hilfe tektonischer Computermodelle auf die Spur zu kommen. Diese Modelle simulieren die Verschiebung der Erdschichten. weiterlesen


