Arme Igel!
Arme Igel!
zeit.de: Mähroboter gegen Igel – Der Mähroboter ist der neue Feind des Igels. Auf Deutschlands Igelstationen zeigen sich die Folgen vermeintlich smarter Gartenhelfer, die nicht nur die Tiere gefährden.
Igelhusten klingt genauso, wie man sich Igelhusten vorstellt: dumpf und hoch, ein leises und verzweifeltes Puffen. Sybille Ressel hebt den Kopf vom Mikroskop und sagt: „Oh je, wer ist da jetzt schon wieder krank?“ Die 70-jährige Rentnerin, petrolblaues Shirt, schmale Brille, tritt an die Wand mit den Käfigen heran und lauscht. Das Ohr führt sie in die obere rechte Ecke, an der Käfigtür hängt ein blauer Zettel. „Finn“ steht da, ein Datum und: „Hustet erneut“. Finn ist einer von 26 Igeln, die sich zurzeit auf der Igelschutzstation in Berlin-Hermsdorf erholen. Von dem, was Menschen ihnen angetan haben.
Manche von ihnen waren vergiftet, als sie hier ankamen, weil sie Ratten- oder Insektengift gefressen hatten. Andere komplett dehydriert und ausgehungert, weil es in und um Berlin seit Wochen nicht geregnet hat. Wie jedes Jahr kommen seit dem Frühling immer mehr schwer verletzte Igel dazu, mit aufgeschnittenen Gesichtern, seitlich abrasierten Stacheln oder verstümmelten Beinchen. Sie sind dem Trendobjekt des deutschen Gartenmarkts zum Opfer gefallen: dem Mähroboter.
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„Es wird wirklich immer schlimmer“, sagt Sybille Ressel, gelernte Kinderkrankenschwester und zweite Vorsitzende des Arbeitskreises Igelschutz Berlin. „Früher konnten wir hier in der Igelstation eine Sommerpause einlegen, weil die Tiere da gut ohne unsere Hilfe auskamen. Das geht seit drei Jahren nicht mehr.“ Der Igel ist ein Sommertier, besonders die Männchen sind jetzt umtriebig. Spätabends und nachts durch Gärten streifend, hoffen sie auf Zusammenkünfte mit paarungsbereiten Weibchen. Sie machen dann einen wahnsinnigen Lärm, schnauben und stapfen im Kreis um das Objekt ihrer Begierde herum.
Leider sind auch die hochmodernen Mähroboter oft in den stillen Abendstunden oder am Morgen unterwegs. Die Sensoren der Roboter mögen eine Hauswand, ein Kabel oder einen Blumentopf erkennen, vor so kleinen Lebewesen wie Igeln machen sie oft keinen Halt – oder erst dann, wenn die Kollision schon passiert ist. Die Stiftung Warentest gab allen elf getesteten Modellen in der Kategorie „Sicherheit“ lediglich ein „ausreichend“, die Geräte konnten Dummys von Kinderfüßen teilweise nicht erkennen. Eine aktuelle Studie der Universität Aalborg kam sogar zu dem Ergebnis, dass kein Gerät richtig in der Lage sei, Igelbabys mit einem Gewicht von unter 200 Gramm frühzeitig zu umfahren. Tragischerweise fällt die Jahreszeit, in der der Igelnachwuchs beginnt, seine Umgebung zu erkunden, in den August – und damit die Zeit, in der es Menschen eher nicht egal ist, wie ihr Rasen gerade aussieht.
Die Igel selbst bemerken die Roboter zwar, sie haben einen hervorragenden Hörsinn, doch ihr Gefahrenverhalten wird ihnen zum Verhängnis: Fühlen sie sich bedroht, rollen sie sich zusammen und stellen die Stacheln auf. In der Natur funktioniert das gut, gegen technisierte Feinde ist die Strategie nutzlos. „Die Roboter mähen einfach drüber“, sagt Ressel, „Wenn die Igel das überhaupt überleben, haben sie grausame Schnittverletzungen, von denen sie sich nur schwer erholen.“ Sie zeigt einige Fotos, die man nie wieder vergisst: blutige Igelfüße, abrasierte Stacheln, halbe Igelgesichter. „Ich könnte jedes Mal heulen, wenn ich diese armen Tiere behandle.“ Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) verzeichnete in den vergangenen Jahren auf Igelschutzstationen vermehrte Anfragen zu Igeln, die durch Mähroboter verletzt wurden, auch in Berlin-Hermsdorf nehmen diese Fälle sehr stark zu, wie Sybille Ressel sagt… weiterlesen