Ein Viertel der Fläche Europas renaturierbar
Ein Viertel der Fläche Europas renaturierbar
derstandard.at: Rund 117 Millionen Hektar des europäischen Kontinents eignen sich für eine Renaturierung. Ein Großteil davon liegt im Norden.
Das neue EU-Gesetz für Renaturierung, das im Juni mithilfe der Stimme von Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler von den Grünen beschlossen wurde und hierzulande für einen heftigen Koalitionsstreit sorgte, ist eines jener Umweltthemen, die aufgrund ihres weitreichenden Anspruchs besonders viel Diskussionsstoff bieten. Während aus der Wissenschaft überwiegend Zustimmung zu hören war, sprach etwa Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig von der ÖVP von „Überregulierungen und Doppelgleisigkeiten“.
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Vor allem Skandinavien
Ein Großteil davon befindet sich aber nicht in unseren Breiten, sondern in kalten Klimazonen im Norden, insbesondere in Skandinavien, Schottland und dem Baltikum. Doch auch einige hoch gelegene Regionen auf der Iberischen Halbinsel sind darunter. Wichtig war für die positive Beurteilung einer Fläche war, dass sie mehr als 10.000 Hektar umfasste, es wenig menschlichen Einfluss gab und wichtige Tier- und Pflanzenarten bereits vorhanden waren. Von bewirtschafteten Ackerflächen ist also nicht die Rede.
Im Kern dreht sich der Streit darum, welche Flächen betroffen sind. Bauern fürchten um den Verlust ihrer Äcker oder zumindest weitere Vorgaben beim Umgang mit Gründen in ihrem Besitz. Doch um welche Größenordnungen geht es überhaupt? Welche Flächen eigenen sich für eine Renaturierung?
Diese Frage beantwortet eine neue Studie, die nun im Fachjournal Current Biology veröffentlicht wurde. Und die nackten Zahlen sind durchaus beeindruckend: 117 Millionen Hektar wurden als geeignet für eine Renaturierung identifiziert. Das ist rund ein Viertel der Landfläche des Kontinents.
„Es gibt viele Gebiete in Europa, in denen der menschliche Fußabdruck gering genug ist und in denen wichtige Tierarten vorkommen, um wieder verwildert zu werden“, sagt Erstautor Miguel B. Araújo vom spanischen Nationalen Museum für Naturwissenschaften CSIC und der Universität von Évora in Portugal in einer Aussendung des Verlags Cell Press, zu dem Current Biology gehört. Insgesamt befinden sich drei Viertel der möglichen Renaturierungsflächen außerhalb derzeitiger Naturschutzgebiete.
Mit der Natur
Araújo betont, dass je nach den Bedingungen der einzelnen Regionen unterschiedliche Strategien erforderlich seien. Man unterschied zwei Varianten: passiv und aktiv. Bei passiver Renaturierung vertraut man darauf, dass die Natur sich verlorenes Territorium selbst zurückerobert, um dort ein funktionierendes Ökosystem zu schaffen. Das ist möglich, wenn wichtige Schlüsselspezies von Pflanzenfressern wie Rehe, Elche oder Hasen, aber auch Fleischfresser wie Wölfe, Bären oder Luchse in gesunden Populationen vorhanden sind. Sie wandern dann von selbst in die Gebiete ein.
Wo das nicht aussichtsreich erscheint, wird aktive Renaturierung angewandt. Dort müssen fehlende Arten wieder eingeführt werden. „Ich bezeichne Pflanzenfresser oft als die Ingenieure des Ökosystems, da sie die Vegetation abweiden und formen, während Raubtiere die Architekten sind, die ‚Angstlandschaften‘ schaffen, die Pflanzenfresser meiden“, sagt Araújo. Diese Interaktion schaffe abwechslungsreiche Landschaftsstrukturen, die für die biologische Vielfalt unerlässlich seien… weiterlesen