Gerechtigkeits-Lücken beim Klimaschutz
Gerechtigkeits-Lücken beim Klimaschutz
zeit.de: Klimaschutz oder grüner Kolonialismus? Mehr Klimagerechtigkeit für den globalen Süden konnte 2021 nicht erreicht werden. In diesem Jahr gibt es eine neue Chance – sofern der Westen seine Heuchelei beendet.
Weil wir zum Jahresanfang noch voll guter Vorsätze stecken, hier ein kleiner Test: Für wie stark, liebe Leserinnen und Leser, halten Sie Ihren Gerechtigkeitssinn? Ich schließe mal von mir auf andere und vermute, dass wir uns auf einer Skala von eins (Jeff Bezos) bis zehn (Desmond Tutu) eine sieben geben würden. Oder auch eine acht. Stellen wir diese Selbsteinschätzung den Ereignissen des vergangenen Jahres gegenüber, haben wir jedoch ein Problem: 2021 war weltweit ein Jahr gewaltiger Gerechtigkeitslücken. Nicht nur bei der Verteilung von Impfstoffen gegen das Coronavirus, die weiterhin nach dem Motto „Reiche zuerst und dann sehen wir weiter“ läuft, sondern auch beim Kampf gegen die Klimakrise.
Die Konferenz in Glasgow im vergangenen November, in Deutschland schon fast wieder vergessen, hat in Staaten des globalen Südens enorme Verbitterung hinterlassen. Erneut wurde ihre zentrale Forderung abgebügelt: Klimagerechtigkeit.
Natürlich war COP26 kein totaler Reinfall. Der schrittweise Abschied aus der Kohleenergie steht im Abschlusspapier, über 140 Regierungen haben den Schutz und die Wiederaufforstung der Wälder versprochen, über 100 Länder wollen bis 2030 den Methanausstoß um ein Drittel reduzieren und alle sollen ihre Klimaziele bis zur nächsten Konferenz nachbessern. Was in Glasgow nicht passierte: die Verantwortung für die Erhitzung unseres Planeten ehrlich zu benennen und Rechenschaft abzulegen.
Dass die Ärmsten am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben, aber schon seit Langem den höchsten Preis zahlen, ist längst eine Binsenweisheit. Bloß empfindet sie in unseren Breitengraden kaum jemand als Skandal. 23 reiche Staaten mit heute zwölf Prozent der Weltbevölkerung (darunter die USA, Deutschland, Kanada und Japan) haben seit Beginn der Industrialisierung die Hälfte aller CO₂-Emissionen ausgestoßen.
Die andere Hälfte verteilt sich auf über 150 andere Länder – und wird angeführt von China, das inzwischen fast 14 Prozent der Emissionen verursacht hat. Subsaharaafrika ist für gerade mal 1,85 Prozent verantwortlich, wird aber schon seit Jahrzehnten weit dramatischer von den Folgen der Klimakrise getroffen als Europa. Gleiches gilt für die kleinen Inselstaaten, denen buchstäblich der Untergang droht.
Deswegen fordern ärmere Staaten seit Jahren einen Fonds für Schäden und Verluste (loss and damage) gefüllt von den Hauptverursachern des Klimawandels. Aus diesem Fonds sollen von Dürren, Fluten, Hungersnöten oder Unwettern Betroffene im Zusammenhang mit der Erderwärmung unterstützt werden. Der Außenminister von Bangladesch, AK Abdul Momen, hat das Konzept unlängst mit dem Vorgehen gegen die Tabakindustrie in den Neunzigerjahren verglichen, als sich die US-Regierung von den Konzernen vor Gericht einige der Milliarden Dollar zurückholte, die durch die Gesundheitsschäden des Rauchens entstanden waren… weiterlesen