Tierfütterung im Winter muss nicht sein
Tierfütterung im Winter muss nicht sein
zeit.de: Früher fütterten viele Waldbesitzer im Winter die Rehe. Muss das wirklich sein?
Der Winter ist ein Härtetest für alle Lebewesen, „Wintersterblichkeit“ heißt das schaurige Fachwort dafür, dass Kälte und Hunger schwache Exemplare einer Population töten, egal ob Käfer, Vögel oder Säugetiere. Selbst unter Menschen sind die Sterbezahlen im Januar höher als im Sommer, um 15 bis 20 Prozent. Der Organismus ist geschwächt, Krankheiten enden häufiger mit dem Tod. Fast egal, welcher Art wir angehören: Wir alle werden weniger, wenn es Winter wird.
Wie geht es den Rehen im Winter?, wollte ich wissen, als ich in Sailershausen bei Haßfurt den Forstdirektor Hans Stark, 61, traf. Ich hatte ihn gefragt, weil er in einem Feld voller extremer Positionen halbwegs in der Mitte zu stehen scheint: Er ist Förster, er ist Jäger, und er bewirtschaftet den Wald der Universität Würzburg, der zwar Ertrag bringen muss, aber auch ökologisch wertvoll sein soll.
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Der Wald ist eine Konfliktzone geworden: auf der einen Seite traditionelle Jäger, von denen zumindest einige möglichst viel trophäenträchtiges Wild vor der Flinte haben wollen, auf der anderen Seite Förster und Ökologen, die wollen, dass Bäume ungestört wachsen können. Je mehr Wild ein Wald beherbergt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Rehe oder Hirsche die jungen Bäume verbeißen.
In seinem Geländewagen fuhr Stark mich in den Wald. Es war Schnee gefallen an diesem Tag, eine wässrige, grobporige Schicht hatte sich über die sanften Hügel des Maintals gelegt. Er parkte neben einer verfallenen Futterkrippe aus Holz. Früher war hier im Winter Futter für die Rehe ausgelegt worden; als Stark vor 18 Jahren anfing, hatte er damit aufgehört. „Die suchen sich schon, was sie brauchen“, fand er, und wenn das ein oder andere Reh es nicht über den Winter schaffen würde, dann wäre das eben so.
Wir liefen jetzt querfeldein in den Wald. Stark zog an einer Zigarette, seine beiden Beagles rannten vor uns her. Rehe liegen im Winter reglos zwischen den Bäumen, ihr Stoffwechsel ist heruntergefahren, sie bewegen sich kaum. Stark hielt die Hunde nah bei sich, er wollte die Rehe nicht aufschrecken, weil sie das wertvolle Energie kostet.
Noch nie standen in den deutschen Wäldern so viele Rehe wie heute, erzählte Stark. Als er im Forstamt anfing, fand er das Jagdbuch eines seiner Vorgänger. Der hatte zwischen 1793 und 1802 seine Abschussquote dokumentiert. Auf 1000 Hektar Fläche schoss er damals pro Jahr 14 oder 15 Rehe – heute seien es im Jahr etwa 150, sagt Stark. Gründe dafür gebe es viele, die milderen Winter, dass durch den erhöhten Stickstoffeintrag aus der Luft mehr Futter wächst – und natürlich habe auch eine Rolle gespielt, dass die Menschen in der Nachkriegszeit das Wildfleisch weniger brauchten und die Populationen so gewachsen seien. Die Jäger hätten sich natürlich nicht dagegen gewehrt, weil sie so einfach mehr Wild vor der Flinte haben. Wobei er das verstehen könne, „ich freu mich auch, wenn ich was erlege“… weiterlesen