Schwarmintelligenz der Heuschrecken entschlüsselt

Schwarmintelligenz der Heuschrecken entschlüsselt
Foto: Pixabay CC/PublicDomain

Schwarmintelligenz der Heuschrecken entschlüsselt

t3n.de: Bis zu 50 Millionen Individuen kann ein Heuschreckenschwarm enthalten. Ein Team der Universität Konstanz hat nun neue Hinweise darauf gefunden, wie sich das Kollektiv organisiert – und bricht dabei mit bestehenden Theorien.

Die Wüstenheuschrecke ist ein ebenso bemerkenswertes wie furchterregendes Insekt. Mit Schwärmen, die bis zu 50 Millionen Individuen umfassen können, fallen sie über die Landschaft her. Fast alle Pflanzen, die ihnen dabei im Weg stehen, werden kahl gefressen. Zurück bleibt häufig nur Verwüstung.

Gleichzeitig faszinieren die Wüstenheuschrecken (schistocerca gregaria) und verwandte Arten als eines der größten Tierkollektive des Planeten die Wissenschaft: Die flugunfähigen Junginsekten, die sogenannten Nymphen, leben als Individuen gebunden an einen Ort. Früher oder später aber, wenn die Bedingungen stimmen, kommen immer mehr Individuen zusammen und gehen schließlich in die Schwarmphase über: Sie beginnen zu wandern, und zwar nicht zufällig, sondern alle gemeinsam in die gleiche Richtung, als wären sie zentral gesteuert.

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Theoretische Physik angewandt bei Heuschrecken

Bislang gab es verschiedene Theorien darüber, wie sich ein solches Kollektiv organisiert. Eine weitverbreitete Annahme fußt auf einem Prinzip aus der theoretischen Physik: Dabei werden die Heuschrecken als „self-propelled particles“, also als „selbst-angetriebene Teilchen“ klassifiziert, die ihre Positionen und Bewegungsrichtungen aneinander ausrichten. Sprich: Sie orientieren sich strikt an ihrem direkten Nachbarn. Kommen erst einmal genug Tiere zusammen, beginnt der Übergang von ungeordneten Bewegungen zu einer geordneten Schwarmbewegung.

Nun bringen Forscherinnen und Forscher des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten der Universität Konstanz und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie eine neue Theorie ins Spiel, die „lang gehegte Überzeugungen aus dem Gebiet der Tierverhaltensforschung infrage stellt“, wie sie schreiben. Die von Expert:innen begutachtete Studie ist im Fachmagazin Science erschienen.

„Es ist bekanntermaßen schwierig, die Mechanismen der Interaktion in mobilen Tiergruppen zu erkennen“, sagt Iain Couzin, Hauptautor der Studie, in einer Pressemitteilung. „Die Individuen beeinflussen sich gegenseitig und werden zugleich durch das Verhalten der anderen beeinflusst, in einem komplexen Wechselspiel.“ Anders gesagt: Man kann das Verhalten einzelner Heuschrecken innerhalb eines Schwarms nicht isoliert betrachten, wenn deren sensomotorische Eindrücke mit dem Verhalten anderer Heuschrecken verwoben sind.

Heuschrecken in der virtuellen Realität

Um das Problem zu umgehen, hat sich das Team aus Konstanz neben Erkenntnissen aus der Feldforschung und Laborstudien der virtuellen Realität, der Virtual Reality, bedient. Es hat einzelne Heuschrecken kurzerhand in eine virtuelle Umgebung verfrachtet: Die Insekten liefen auf einem beweglichen Ball, sodass sie, wie ein Läufer auf einem Laufband, immer in Bewegung sein konnten. Um sie herum wurden bis zu 64 andere, fotorealistische virtuelle Heuschrecken projiziert. „Wir konnten damit die Tiere austricksen, sodass sie dachten, sich in einem natürlichen Schwarm zu befinden“, sagt Couzin im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

Durch die VR-Umgebung konnten die Forschenden genau einstellen, welche Informationen der lebenden Heuschrecke zur Verfügung standen. Also wie viele andere Tiere um sie herum waren und in welche Richtung sie liefen. Veränderten die Forschenden die Umgebung, konnten sie anschließend feststellen, wie das Tier darauf reagierte. Solche gezielten Manipulationen sind in einem natürlichen Schwarm nicht möglich.

Neue Erkenntnisse für die Erforschung von Schwarmintelligenz

Die Ergebnisse überraschten. Die Ergebnisse der Untersuchung stellen die bisherige Theorie in Frage, dass die Insekten bloß den Sinneseindrücken von Bewegung folgen und sich an den Nachbarn ausrichten. So wichen die Individuen teils vom Kurs ab, wenn sie zwei Schwärme, die in die gleiche Richtung liefen, neben sich hatten. Auch fand das Team keine Hinweise darauf, dass die Dichte der Individuen die Schwarmbewegung anstößt, wie bislang angenommen… weiterlesen

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