Brasilien: Mehr Wachstum und kaum Klimaschutz

Brasilien: Mehr Wachstum und kaum Klimaschutz
Lula da Silva bei der PAC-Auftaktveranstaltung im Stadttheater von Rio de Janeiro Foto: Ricardo Stuckert / PR (CC BY-NC 2.0)

Mit Straßenbau und Atom-U-Boot gegen Regenwaldvernichtung und Klimawandel?

Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Die Tinte der „Erklärung von Belém“ in der sich Brasilien und seine Nachbarstaaten im Amazonasgebiet unverbindlich dem Klima- und Regenwaldschutz sowie der Nachhaltigkeit verpflichten, war noch nicht trocken, da stellte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sein neues Investitionsprogramm PAC in Rio de Janeiro’s glamourösen Stadttheater vor. Dieses Megaprogramm zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums, das neue PAC (Programa de Aceleração do Crescimento / Wachstumsbeschleunigungsprogramm) genannt, hat anders als der Pakt von Belem konkrete Ziele und sieht Investitionen in Höhe von nicht weniger als 1,4 Billionen Reais (rund 260 Milliarden Euro) bis 2026 und weiteren 300 Milliarden Reais danach vor.

Ein großer Teil dieser Investitionen, an denen alle Ministerien beteiligt sind, sei für den ökologischen Umbau vorgesehen, sagte Lulas Finanzminister Fernando Haddad bei der Projektvorstellung in Rio. Das neue PAC werde „grüner“ sein als das erste vor 15 Jahren von Lula ins Leben gerufene  PAC. Regenwald- und Klimaschützer reiben sich aber dennoch die Augen, während Militärs, Agrobusiness, die Zement- und Asphaltindustrie gemeinsam mit Petrobras frohlocken. 

Zwar sieht das Wachstumsprogramm auch Ausgaben für Gesundheit, Ausbildung, Soziales, Stadtentwicklung, Internetausbau, Verbesserung von Abfall- und Abwasserentsorgung sowie Trinkwasserversorgung vor, doch fließt tatsächlich ein Großteil der Gelder auch in umstrittene und kaum umwelt- oder klimafreundliche Vorhaben.

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Ein Wachstumsprogramm für Wirtschaft

So erhält der Verteidigungssektor 53 Milliarden Reais. Ein Großteil davon geht in den Kauf von 34 schwedischen Gripen-Kampfflugzeugen sowie in den Weiterbau des bereits 2008 beschlossenen ersten brasilianischen Atom-U-Boots und des dazugehörenden U-Boot-Hafens vor den Toren Rio de Janeiros. „Eine vielversprechende Zukunft für die brasilianischen Streitkräfte“, kommentiere das Militärjournal „Verteidigung im Fokus“.  

Offiziell heißt es, Brasilien brauche das atomar angetriebene U-Boot um sein „Amazonia Azul“, sein „Blaues Amazonien“ zu verteidigen, womit Brasiliens Seeraum über dem rohstoffreichen Festlandsockel und seine Meeres-Wirtschaftszone gemeint sind. Doch welcher Staat, oder welche ausländische Macht will oder könnte schon Brasiliens Erdölvorkommen in der Tiefsee rauben oder illegal anbohren? 

Während Klimaforscher in Brasilien und weltweit angesichts der ersten bereits sichtbaren Folgen der globalen Erwärmung vor dem weiteren Ausbau fossiler Energien dringend warnen, sieht Brasiliens neues Wirtschaftsbeschleunigungsprogramm genau dies vor: Satte 300 Milliarden Reais an Investitionen soll der halbstaatliche Erdöl- und Erdgas-Unternehmen Petrobras bekommen. Damit kurbelt das neue PAC nicht nur die Wirtschaft sondern auch die globalen Erwärmung kräftig an.

Gleichfalls kaum Klima freundlich ist das Transportinfrastrukturausbauprogramm im neuen PAC „Effizienter und nachhaltiger Transport“ genannt. 349 Milliarden Reais sind hier vorgesehen für Bau und Ausbau von Landes- und Bundesstraßen, Autobahnen, Wasserstraßen, Häfen, Bahnlinien und Flughäfen vor allem in der Amazonasregion und im Nordosten. Schwerpunkt der geplanten Sanierung und Erweiterung der Überlandstraßen mit einer Länge von mehr als 11.000 Kilometern sind Sojabohnenanbauregionen, um die Ernte schneller und preisgünstiger zu den Exporthäfen zu bringen. Dazu gehört auch die von Regenwaldschützern und Indigenen heftig kritisierte Soja-Bahnlinie „Ferrogrão“. 

Die 933 Kilometern lange und parallel zum bestehenden Soja-Highway BR-163 im südlichen Amazonasgebiet geplante Bahnstrecke soll das Soja- und Mais-Anbaugebiet Sinop in Mato Grosso mit dem neuen Exporthafen von Miritituba am Tapajós-Fluss im Bundesstaat Pará verbinden und die Transportkosten für die Agrarunternehmen senken. Laut einer Studie der Bundesuniversität von Minas Gerais werde die „Ferrogrão“ dabei aber mehrere indigene Gebiete im Einzugsgebiet des Xingu-Flusses durchqueren und bis 2035 zur Abholzung von mehr als 230.000 Hektar Regenwald von diesen indigenen Territorien führen.

Der Verband für Landwirtschaft und Viehzucht in Pará (Faepa) indes feiert die Entscheidung der neuen Regierung, die bereits während der zweiten Amtszeit von Lula, 2012 geplante Ferrogrão zu realisieren. „Die Eisenbahnlinie werde die Transportkosten um mindestens 40 US-Dollar pro Tonne senken und damit die Wettbewerbsfähigkeit Brasiliens auf dem internationalen Markt steigern“, zitiert das Medienportal „Oliberal.com“  von Pará einen Verbandssprecher.

„Offensichtlich hält Lula in seiner dritten Amtszeit an seinen alten Vorstellungen von einer wirtschaftliche Entwicklung fest, die weiterhin brasilianischen Großgrundbesitzern, Bergbauunternehmen und multinationalen Konzernen zugute kommt“,  kommentiert Marcos Pedlowski Professor am Zentrum für Humanwissenschaften der Landesuniversität Norte Fluminense das neue PAC. Die gravierenden strukturellen Probleme der armen Bevölkerungsmehrheit blieben dabei nicht nur ungelöst, sondern werden sich dadurch noch verschlimmern.

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Pedlowski: „Ich möchte hinzufügen, dass es Präsident Lula mit dieser veralteten Entwicklungsvision nicht gelingen wird, Brasiliens wichtigstes Potenzial, seine große Biodiversität nachhaltig zu nutzen. Aus diesem Grund stieß die Haltung des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro (während der Amazonas-Konferenz in Belém) zur Beendigung der Abholzung und Erdölexploration im Amazonasgebiet in Brasilia auf wenig Gegenliebe.“

Und der langjährige Lateinamerika-Korrespondent der Verlagsgruppe Handelsblatt und der Neuen Zürcher Zeitung kommentierte des neue PAC für die Deutsche Welle: „Mit einem neuen Programm will Lula die Wirtschaft ankurbeln. Der Schutz des Amazonas, der Umwelt und des Klimas spielen keine Rolle. Die Regierung scheint aus den Fehlern früherer PACs nichts gelernt zu haben.“


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Norbert Suchanek ist Umwelt- und Wissenschaftsjournalist. Er wurde 1963 in Würzburg geboren. Zu Beginn seiner Karriere, in den 1980er und 1990er Jahren recherchierte er vor allem in Konfliktregionen wie Nordirland und Palästina. Später verlagerte er seinen Fokus auf Brasilien. Seit 2006 arbeitet er als freier Korrespondent in Rio de Janeiro. 2010 rief er zusammen mit Márcia das Internationale Uranium Film Festival ins Leben. Damals war der Atomunfall von Tschernobyl fast vergessen. Und die brasilianische Regierung hat mit dem Bau des dritten Atomkraftwerks und eines Atom-U-Bootes in Rio de Janeiro begonnen. 

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