Grüne Industrie könnte künftig vor Krisen schützen

Grüne Industrie könnte künftig vor Krisen schützen
handelsblatt.com: Der klimagerechte Umbau energieintensiver Branchen ist teuer. Nach einer Studie des Wuppertal Instituts zahlen sich die Investitionen aber nicht nur im Kampf gegen die Erderwärmung aus.
Die Transformation der Industrie zur Klimaneutralität kann Deutschland dabei helfen, widerstandsfähiger gegenüber Verwerfungen im Welthandel zu werden. Zugleich kann sie dazu beitragen, Wertschöpfung im Land zu halten und Jobs zu sichern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die das Wuppertal Institut für den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) erarbeitet hat.
In der Studie, die dem Handelsblatt vorliegt, heißt es, durch den Erhalt einer wesentlichen industriellen Basis als Ergänzung zur Dienstleistungsökonomie könnten zukünftig „Arbeitsplätze in traditionellen Industrieregionen erhalten bleiben und die Resilienz der deutschen Wirtschaft gestärkt werden“.
Eine entscheidende Rolle messen die Studienautoren der Politik bei. Sie müsse „stabile und förderliche Rahmenbedingungen“ setzen, um „die erheblichen Investitionen in klimaneutrale Produktionsanlagen und Infrastrukturen für Unternehmen wirtschaftlich ausreichend attraktiv“ zu gestalten.
Die Industrie steht für rund ein Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen in Deutschland und für rund 20 Prozent der Bruttowertschöpfung. Sieben Millionen Menschen und damit rund ein Sechstel aller Erwerbstätigen sind in der Industrie beschäftigt. Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung ist in Deutschland deutlich höher als in anderen EU-Ländern.
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Entsprechend hoch ist der Veränderungsdruck. Insbesondere energieintensive Industriebranchen wie Stahl, Chemie, Glas, Baustoffe oder Papier werden in den kommenden Jahren Milliardensummen investieren müssen, um auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 voranzukommen. Die Unternehmen dieser Branchen stehen für hohe CO2-Emissionen, zugleich leiden sie unter dem hohen Energiepreisniveau in Deutschland.
Ein Schlüssel zur Transformation ist der Umstieg von Kohle, Öl oder Gas auf strombetriebene Prozesse. Der Studie des Wuppertal Instituts zufolge können bis 2045 rund zwei Drittel des Endenergiebedarfs der Industrie durch Strom gedeckt werden. Im Moment liegt der Anteil noch bei 30 Prozent. Ein großer Teil des restlichen Energiebedarfs kann 2045 durch klimaneutralen Wasserstoff gedeckt werden.
Zu den Grundvoraussetzungen einer erfolgreichen Transformation gehört es demnach laut Wuppertal Institut, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung „dynamisch voranzubringen“ und den Ausbau der Strom- und Wasserstoff-Infrastruktur europäisch zu koordinieren.
Strom aus erneuerbaren Quellen lässt Abhängigkeit von Energieimporten sinken
Strombasierte Verfahren haben nicht nur einen positiven Effekt für das Klima: Sie tragen auch dazu bei, dass die Abhängigkeit von Energieimporten sinkt. Einer kürzlich vorgestellten Studie des norwegischen Zertifizierungsunternehmens DNV zufolge sinkt der Anteil der Energieimporte an der deutschen Primärenergieversorgung bis 2050 von heute 70 Prozent auf nur noch 27 Prozent.
Als Förderinstrumente nennen die Autoren des Wuppertal Instituts Investitionszuschüsse und Klimaschutzverträge. Außerdem müsse das öffentliche Beschaffungswesen klimaneutrale Produkte in den Fokus rücken. Zusätzlich kämen staatlich vorgegebene Quoten für die Nutzung klimaneutral produzierter Grundstoffe wie Stahl oder Zement infrage.
Der Nabu sieht in der staatlichen Förderung dieser Veränderungsprozesse eine Chance. „Eine Verlagerung von CO2-Emissionen in andere Länder hilft niemandem“, sagte Steffi Ober vom Nabu dem Handelsblatt. „Geschlossene Wertschöpfungsketten sind ein Erfolgsvorteil der deutschen Wirtschaft, insbesondere der Industrie. Wenn einzelne Glieder aus dieser Kette herausfallen, wächst die Gefahr, dass weitere folgen“, sagte Ober.
Aus ihrer Sicht ist die nächste Bundesregierung daher in der Pflicht, die Transformation zu unterstützen: „Das Thema muss in Koalitionsverhandlungen auf den Tisch. Wir brauchen auch von der Union ein klares Bekenntnis zu einer aktiven Industriepolitik“, sagte sie.
Die Ampelkoalition hatte eine Reihe von Projekten zur Transformation der energieintensiven Industrie auf den Weg gebracht. Dazu zählten etwa Milliardenhilfen für die Umstellung der Stahlproduktion auf klimaneutrale Verfahren und Klimaschutzverträge für die mittelständische Industrie.
Die Union sieht die Förderung einzelner Großprojekte tendenziell skeptisch. Sie setzt vielmehr darauf, die Bedingungen für die gesamte Wirtschaft durch Senkung der Strompreise, steuerliche Anreize und den Abbau von Bürokratie zu verbessern.
Punktuelle Hilfen für einzelne Branchen
Die Studie des Wuppertal Instituts kommt dagegen zu dem Ergebnis, dass es ohne punktuelle Hilfen für einzelne Branchen nicht gehen wird. Es sei „ratsam, diejenigen Teilbereiche der industriellen Wertschöpfungsketten früh zu identifizieren, bei deren Wegbrechen Dominoeffekte zu erwarten sind und deren Verbleib in Deutschland aus Gründen der Resilienz gesichert werden sollte“, schreiben die Autoren.
Leitgedanke müsse dabei sein, „Deutschlands Resilienz angesichts möglicher zukünftiger Einschränkungen oder sogar Verwerfungen im Welthandel“ zu stärken… weiterlesen