Hans-Dietrich Reckhaus: Insekten-Freund und -helfer

Hans-Dietrich Reckhaus: Insekten-Freund und -helfer
zeit.de: Der Chemieunternehmer Hans-Dietrich Reckhaus will raus aus der Chemie – und Insekten schützen statt Insekten töten.
Hans-Dietrich Reckhaus reißt eine Dose von einer folienverpackten Palette und läuft aus der Lagerhalle nach draußen. „Unser schlimmstes Produkt“, sagt er. Reckhaus – dunkelblauer Maßanzug, gestärkte Umschlagmanschetten – prüft mit feuchtem Finger die Windrichtung. Dann drückt er auf den Sprühkopf. Mit Getöse strömt ein gewaltiger Strahl auf ein imaginäres Insektennest. Nach 20 Sekunden wäre die Dose leer, wenig später jede Wespe tot. In Deutschland ist es verboten, Wespennester eigenmächtig zu zerstören, in der Schweiz dagegen erlaubt – und das Produkt ein Erfolg. Das soll sich ändern.
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Reckhaus gilt in seiner Branche als vollkommen verrückt. Er führt seit 1995 in zweiter Generation ein Familienunternehmen mit 57 Mitarbeitern, das Insektizide für den Hausgebrauch herstellt. Seine Eltern haben es an der Industriestraße 53 in Bielefeld-Sennestadt aufgebaut. Hinter dem Firmengelände rauscht die A 2 von Hannover nach Dortmund, wenige Hundert Meter entfernt rauscht der Teutoburger Wald. Heute beliefert das Unternehmen Migros in der Schweiz und Spar in Österreich, Rossmann und dm, Aldi und neuerdings auch Lidl. Doch Reckhaus will so schnell wie möglich raus aus der Chemie. Er will seinen Produkten das abgewöhnen, was sein Unternehmen in 60 Jahren perfektioniert hat: zu töten.
Ein insektizidfreies Insektenbekämpfungsmittel
Die Ausbreitung monotoner Ackerflächen, graue Kiesvorgärten vor Eigenheimreihen, die intensive Nutzung von Pestiziden und Insektiziden, all das hat dazu geführt, dass die Insektenpopulationen dramatisch einbrechen. Mit weitreichenden Folgen für die Ökosysteme – und den Menschen. Hans-Dietrich Reckhaus will nicht mehr Mitverursacher des Aussterbens sein.
Im ersten Schritt will der Unternehmer das Insektentöten gewissermaßen umweltfreundlicher machen. Geht es mit weniger Chemie – oder sogar ganz ohne? Reckhaus erfindet 2010 eine neue Leimfalle für Fliegen. Die Scheibe mit Leim wird ans Fenster geklebt und lockt die Insekten mit warmem Gelb, mit Licht und Wärme. Sie tötet ohne Gift. Die Leichen verdeckt eine weitere, bunt bedruckte Scheibe. Den Wirksamkeitstest besteht die Neuentwicklung mit Bravour. Jetzt muss die Erfindung von Hans-Dietrich Reckhaus nur noch bekannt werden.
„Dein Produkt ist schlecht“
In der Schweiz hat Reckhaus ein Künstlerpaar kennengelernt, die Zwillingsbrüder Frank und Patrik Riklin. Bei einer der Aktionen ihres „Ateliers für Sonderaufgaben“ haben die Riklin-Brüder ein Hotel in einem Schweizer Atombunker konzipiert und schlagartig weltweit bekannt gemacht, indem sie es zum „Null-Stern-Hotel“ erklärten. Werbeslogan: „Der einzige Star sind Sie selbst.“ Die Brüder machen Kunst und Wirtschaft quasi zu Komplizen. Selbst CNN berichtet.
So eine Komplizenschaft will Reckhaus damals auch für sein insektizidfreies Insektenbekämpfungsmittel. Ein wirklich gutes Produkt, findet Reckhaus, effektiver als die Konkurrenz, umweltverträglicher dazu, einfach im Gebrauch, ästhetisch, das könnte ein echter Durchbruch werden, wenn denn jemand davon wüsste.
Die Künstler schlagen ein, beginnen zu arbeiten – und präsentieren wenige Wochen später, im Juni 2011, die wohl härteste Abfuhr, die Reckhaus je erlebt hat. „Dein Produkt ist schlecht. Es tötet Insekten. Du musst Insekten retten! Was ist dir als Unternehmer eine Fliege wert?“
An dieser Stelle, sagt Reckhaus, hätte er aufstehen und gehen können. Er bittet um eine kurze Pause – und bleibt. Der Insektenbekämpfer lässt sich auf den Gedanken ein: Insekten retten. Der Geschäftsmann beginnt an seinem Geschäft zu zweifeln: Ist es überhaupt zu verantworten? Reckhaus stimmt dem Fortgang des Projektes zu. Es beginnt ein monatelanger Diskussionsprozess, minutiös auf Video dokumentiert vom Künstlerduo. („Die sind mir bis vor die Toilettentür gefolgt, wenn ich den Raum verlassen habe.“) Insekten retten, was heißt das, und wie soll das gehen, wenn man davon lebt, sie zu töten?… weiterlesen