Klima: „Tundra kämpft ums nackte Überleben“

Klima: „Tundra kämpft ums nackte Überleben“
Tundra Foto: PiixabayCC/PublicDOmain

Klimawandel: „Tundra kämpft ums nackte Überleben“

Neue Alarm-News aus der Klimawandel-Forschung: „Nur bei konsequentem Klimaschutz bleiben bis Mitte des Jahrtausends etwa 30 Prozent der sibirischen Tundrafläche übrig“, schreiben Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts zum Ergebnis ihrer jüngsten Forschungen im Informationsdienst der Wissenschaft (idw). Die fortschreitende Erderwärmung verschiebe die Lärchenwälder des Nordens immer weiter in Richtung Nordpol. Diese Bäume jedoch verdrängten dabei den Lebensraum der „einzigartige Fauna und Flora“ der heute noch dort heute heimischen Tundra.

Einzigartige Pflanzenwelt geht für immer verloren

In der Tundra lebt heute eine besondere Pflanzen-Gesellschaft. Ein zwanzigstel dieser Arten ist endemisch, kommt also ausschließlich in der Arktis vor.

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Typische Arten sind die Weiße Silberwurz, Arktischer Mohn und Zwergsträucher wie Weiden und Birken, die sich dadurch auszeichnen, dass sie sich an die harschen Bedingungen mit nur kurzen Sommern und langen Wintern angepasst haben. Die Tundra beherbergt auch einzigartige Tiere wie Rentiere, Lemminge und Insekten wie die Arktische Hummel.

Die Klimakrise schlage in dieser Region jedoch besonders hart zu, wissen die AWI-Forscher. Die durchschnittliche Lufttemperatur sei im hohen Norden in den zurückliegenden 50 Jahren um mehr als 2 Grad Celsius angestiegen – und damit viel stärker als in anderen Regionen der Welt. Dieser Trend setze sich fort. „Bei ambitionierten Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion (Emissions-Szenario RCP 2.6) könnte die weitere arktische Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf knapp unter 2 Grad begrenzt werden“, sagen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer jetzt veröffentlichten Studie. „Bleiben die Emissionen sehr hoch, droht laut Modellprognosen bis 2100 eine dramatische Erhöhung der durchschnittlichen Sommertemperaturen in der Arktis um 14 Grad Celsius über dem heutigen Wert“, so die Experten weiter.

Mit der Tundra geht auch ein Kulturraum verloren
Lärchenwald Foto: PixabayCC/PublicDomain

„Für den Arktischen Ozean und das Meereis wird die aktuelle und künftige Erwärmung erhebliche Konsequenzen haben“, sagt Prof. Dr. Ulrike Herzschuh. Sie ist die Leiterin der Sektion Polare Terrestrische Umweltsysteme am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Aber auch an Land wird sich die Umwelt drastisch verändern. Die weiten arktischen Tundraflächen in Sibirien und Nordamerika werden massiv zurückgehen, weil sich die Baumgrenze aktuell langsam und in naher Zukunft sehr schnell nach Norden verschiebt. Im schlimmsten Fall wird die Tundra bis Mitte des Jahrtausends nahezu vollständig verschwinden. Im Rahmen unserer Studie haben wir diesen Prozess für die sibirische Tundra im nordöstlichen Russland im Modell simuliert. Im Zentrum stand dabei vor allem eine Frage: Welchen Emissionspfad muss die Menschheit beschreiten, um zumindest Teile der Tundra als Refugium für Tiere und Pflanzen sowie für die Kultur und traditionelle Umweltbeziehungen indigener Völker zu retten?“

Für ihre Simulation nutzten Herzschuh und der AWI-Modellierer Dr. Stefan Kruse Vegetationsmodell LAVESI des AWI. „Das besondere an LAVESI ist, dass wir die gesamte Baumgrenze auf der Ebene von Individuen, also einzelnen Bäumen darstellen können“, erklärt Kruse. „Das Modell bildet dabei den kompletten Lebenszyklus von sibirischen Lärchen am Übergang zur Tundra ab – von der Samenproduktion und Samenverbreitung über die Keimung bis hin zum vollständigen Wachstum des Baums. So können wir das Voranschreiten der Baumgrenze in einem immer wärmeren Klima sehr realistisch berechnen.“

Tundra in der „Falle“

Die Ergebnisse der Forschenden sprechen eine deutliche Sprache: Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometern pro Jahrzehnt breitet sich der Lärchenwald nach Norden hin aus.

Die Tundraflächen, die sich wegen des angrenzenden Arktischen Ozeans nicht in kältere Regionen verschieben können, sitzen quasi in der Falle. Sie schrumpfen mehr und mehr zusammen. Weil ein Baum nicht mobil ist und mit seinen Samen nur einen begrenzten Ausbreitungsradius hat, hinkt die Vegetation der Erwärmung zeitlich zunächst stark hinterher, holt dann aber wieder auf. Bis Mitte des Jahrtausends sind dann in den meisten Szenarien nur noch knapp 6 Prozent der heutigen Tundrafläche übrig.

Der ehemals 4.000 Kilometer lange, durchgehende Tundragürtel in Sibirien ist dann auf zwei 2.500 Kilometer voneinander entfernte Flächen auf der Taimyrhalbinsel im Westen und Tschukotka im Osten geschrumpft. Interessanterweise gibt der Wald die ehemaligen Tundragebiete auch nicht wieder komplett frei, selbst wenn sich die Atmosphäre im Laufe des Jahrtausends wieder abkühlt. Daher kommentiert Eva Klebelsberg vom WWF die neue Studie mit drastischen Worten: „Für die sibirische Tundra geht es mittlerweile ums nackte Überleben.“

pit

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