Klimawandel: 366 Tage, jeder ein Rekord

Klimawandel: 366 Tage, jeder ein Rekord
zeit.de: So etwas hat es noch nicht gegeben: Seit exakt zwölf Monaten sind die Weltmeere heißer als je zuvor gemessen. Der Temperatursprung lässt selbst Forschende rätseln.
Die Weltmeere werden wärmer. Diesen Trend kann man schon seit Jahren beobachten.
Die Temperatur der Ozeane war schon in den drei vergangenen Jahren extrem hoch: 2020, 2021 und 2022 lagen sie weit über dem langjährigen Durchschnitt. Doch das, was in den vergangenen zwölf Monaten passiert ist, hat noch einmal eine ganz andere Qualität.
Am 14. März 2023, vor genau einem Jahr, erreicht die Temperatur der Ozeane einen neuen Rekordwert. Im Schnitt 20,98 Grad, über einen halben Grad mehr als zu dieser Jahreszeit üblich.
Doch dabei bleibt es nicht. Die Rekordtemperaturen halten über Monate an. Forschende sind alarmiert, spekulieren über mögliche Gründe. Dann steigt die Temperatur im August auf 21,09 Grad. Noch höher als im Frühjahr, wo die Temperaturen sonst ihren Höhepunkt erreichen.
Ein Jahr später zeigt die Temperaturspirale noch immer nach oben. Ununterbrochen waren die Weltmeere so warm wie nie zuvor zur gleichen Jahreszeit.
Es ist eine Kurve, die Angst machen kann. 366 Tage lang, jeden Tag ein Rekord. Und zwar nicht knapp – sondern mit deutlichem Abstand zu allen bisher gemessenen Temperaturen. Selbst Forschenden fehlten teilweise die Worte, die Kurve zu beschreiben.
Die Erde nimmt immer mehr Energie auf
„Dieses starke Signal ist sehr überraschend, und es ist noch immer ungeklärt, woher es kommt“, sagt die Ozeanforscherin Karina von Schuckmann von Mercator Ocean in Toulouse. „Andererseits ist eigentlich zu erwarten, dass sich die Veränderungen, die wir in unserer Forschung sehen, auch niederschlagen.“
Dass der Klimawandel sich verstärkt hat, sieht von Schuckmann schon seit einiger Zeit in ihren Daten. Sie erforscht die Strahlungsbilanz der Erde: die Menge von Energie, die dem Klimasystem durch Sonnenstrahlung zugeführt wird, und die, die der Planet zurück ins All reflektiert. „Normalerweise würde sich die Erde in einem Energiegleichgewicht befinden“, sagt von Schuckmann: Das Klimasystem der Erde nimmt genauso viel Energie auf, wie es wieder abgibt. „Aber durch den Treibhauseffekt ist dieses Gleichgewicht gestört.“ Das CO₂ in der Atmosphäre verhindert, dass Energie wieder abgestrahlt wird. Das Klimasystem nimmt mehr Energie auf, als es abgibt. Und dieses Ungleichgewicht wird stärker. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Ungleichgewicht verdoppelt“, sagt von Schuckmann.
Rund 90 Prozent der überschüssigen Energie fließen in die Ozeane. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie sich seit Jahrzehnten immer weiter aufheizen.
Doch warum es ausgerechnet jetzt so einen großen Sprung in den Daten gibt, ist auch nach einem Jahr nicht vollständig beantwortet. Viele verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle. Allen voran natürlich der Klimawandel. Dazu kommen natürliche Wetterschwankungen, die die Meeresoberflächen zusätzlich erwärmen. Insbesondere das Wetterphänomen El Niño sorgt alle paar Jahre für besonders hohe Temperaturen, vor allem im Pazifik. Doch nicht nur dieser Ozean ist seit Monaten zu warm. 2023 stiegen die Temperaturen im Nordatlantik auf Rekordhöhe, wohl auch durch eine bestimmte Windkonstellation. Zusätzlich könnte ein Verbot von Schwefelemissionen in der Schifffahrt dazu beigetragen haben, dass sich die Meere jetzt so extrem erwärmen. Denn ausgerechnet die Luftverschmutzung hatte einen kühlenden Effekt auf den Planeten, der durch das seit 2020 geltende Verbot verloren geht.
Steigende Meeresspiegel und sterbende Korallen
Was die Hitze der Ozeane für das Leben im Meer bedeutet, lässt sich derzeit am deutlichsten am Great Barrier Reef in Australien beobachten. Vor wenigen Tagen bestätigte die australische Riffbehörde, dass in dem Weltnaturerbe derzeit eine Massenbleiche stattfindet: Die Korallen stoßen die mikroskopischen Algen ab, die auf ihnen wohnen. Dadurch werden sie blasser oder ganz weiß. Im Prinzip können Korallen so eine Bleiche zwar überleben, allerdings nur, wenn sie ausreichend Zeit haben, sich zu erholen. Und die Massenbleiche 2024 ist bereits die fünfte innerhalb von acht Jahren… weiterlesen