Lützerath: Jetzt wird abgeräumt
Lützerath: Jetzt wird abgeräumt
zeit.de: Das besetzte Dorf Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier soll verschwinden. Was auf dem Spiel steht.
In den letzten Wochen ist der dünne Ton lauter geworden, als schleife Wind beharrlich über Kanten; Obertöne, konstantes Mahlen: Der Schaufelradbagger 261, 220 Meter Länge, 70 Meter hoch, 7600 Tonnen Dienstmasse, 1961 in Betrieb genommen, fasst in den Boden. Er treibt die Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler gegen Lützerath, den seit zweieinhalb Jahren besetzten Weiler im Rheinischen Revier. Scheinbar mühelos drehen sich zehn Schaufeln von unten gegen die Deckschicht, nehmen immer bis zu 2,3 Kubikmeter Boden weg, Tag und Nacht, ockergelber Löss, feiner Silt, bester Ackerboden. Manchmal trägt der Wind das Geräusch der Förderbänder aus der Grube. Den Bagger 258, der weiter hinten Richtung Keyenberg gräbt, hört man kaum.
Lützerath könnte schon nächste Woche Schauplatz einer gewaltigen und sehr grundsätzlichen Auseinandersetzung werden: Staat gegen Demonstranten, Politik gegen Protest-Bürger, es droht ein wochenlanger Polizeieinsatz, bei dem um Überzeugungen gerungen wird, um die Durchsetzung eines Rechtstitels, um Symbole und Zentimeter des derzeit ziemlich schlammigen Bodens.
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Durch all das schimmert als Menetekel die Erinnerung an die aus den Fugen geratene Räumung des Hambacher Forstes 2018, bei der sich der Wille nach politischen Zeichen gegen eine geduldigere Polizeistrategie durchsetzte. Das Verwaltungsgericht Köln urteilte 2021, dass der Einsatz rechtswidrig gewesen sei, Berufung läuft. Ein Filmstudent fiel aus 20 Metern in den Tod.
Über Lützerath hängt der Himmel wie ein grauer Baldachin, es regnet beharrlich, der Ort markiert eine Bruchstelle zwischen zwei Logiken, die sich unversöhnlich gegenüberstehen. Setzen sich hier internationale Abkommen und wissenschaftliche Erkenntnisse durch, oder rechtskräftige Urteile und politische Verabredungen? Wird weiter Braunkohle für eine Wirtschaft gefördert, die auf Wachstum und einen langsamen Wandel zur Umweltfreundlichkeit setzt – so lang zumindest, wie der Profit garantiert ist? Oder stellt sich hier eine Frage an den Kapitalismus?
110 Millionen Tonnen Kohle unter dem kleinen Weiler
Die RWE Power AG hat unter dem Weiler 110 Millionen Tonnen Kohle gefunden. In Höfen und Holzbauten haben sich Menschen eingerichtet, die glauben, dass wir mit unserer Art zu wirtschaften und zu leben an eine Strukturgrenze kommen. Sie zitieren wissenschaftliche Untersuchungen: Zum Beispiel rechnete vor drei Jahren das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung aus, wie Deutschland das politische Ziel erreichen könnte, die Erderwärmung bei etwa 1,5 Grad zu halten. Aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler dürften maximal 200 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert werden. Kraftwerke müssten früher stillgelegt werden. RWE will und darf allein aus dem Tagebau Garzweiler noch 280 Millionen Tonnen aus der Erde holen.
In Lützerath folgt der Konzern betriebswirtschaftlichen Maßgaben. Dafür will er Häuser abreißen, Bäume roden, Erdreich abgraben. Er muss das, sagen Sprecher, wenn Energiesicherheit das Ziel ist. Das Oberverwaltungsgericht Münster bestätigt Ende März, dass der Abbau weitergeführt werden darf, um laufende Kraftwerke zu beliefern. Ersatz, die Versorgung aus dem Hambacher Forst, sei „nicht ohne größeren Aufwand“ zu realisieren.
Die Feststellung, dass eine Versorgung des Energiemarkts mit Braunkohle gefährdet sei, reicht, um Landwirten Flächen zu entziehen. All das stützt sich auf Bergrecht: Bodenschätze gehören nicht automatisch Grundeignern, dürfen als bergfreie Rohstoffe von Unternehmen mit staatlichen Genehmigungen abgebaut werden. Interessen des Gemeinwohls treten zurück. So steht es seit 1982 in einem Bundesgesetz. Außerdem braucht RWE Abraum, um die Grube an anderen Stellen zu verfüllen. Den räumt Bagger 258 ab. Eine alternative Tagebauführung verwarf RWE als unwirtschaftlich.
Anfang Oktober steht Markus Krebber auf einer Pressekonferenz neben NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und ihrem Parteikollegen Robert Habeck. Krebber wirkt wie ein weiterer Minister, ist aber Vorstandsvorsitzender von RWE. Die drei präsentieren eine Einigung: Der Tagebau Garzweiler bekommt neue Grenzen, fünf Dörfer werden erhalten, der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung im Rheinischen Revier wird von 2038 auf 2030 vorgezogen. Das Opfer der Vereinbarung heißt: Lützerath. Unter dem Weiler ist der Abbau besonders einfach, unter den anderen Dörfern werden die Flöze dünner. Auch ohne Lützerath anzutasten, könnte RWE 115 Millionen Tonnen aus der Erde holen.
Braunkohle hat einen deutlich schlechteren Brennwert als Öl, Gas und Steinkohle und ist gleichzeitig klimaschädlicher: Wer eine Tonne verfeuert, produziert etwa eine Tonne Kohlendioxid. Der Abbau senkt den Grundwasserspiegel drastisch, vernichtet Arten, Kohlelager jagen Feinstaubwerte in die Höhe. Zwischen Köln, Düsseldorf und Aachen stehen drei Kohlekraftwerke eng beieinander, blasen seit vielen Jahren zusammen mehr CO₂ in die Luft als jede andere Region in Europa. Auf einer Emissions-Liste aller Dax-Unternehmen rangiert RWE seit Jahren an der Spitze… weiterlesen