Manifest der freien Straßen provoziert

Manifest der freien Straßen provoziert
berliner-zeitung.de: Wie sollten Berlin und andere Städte künftig aussehen? Eine Gruppe von Planern und Wissenschaftlern regt mit schönen Bildern zum Träumen an – und zum Handeln.
Sie stehen dicht an dicht an den Rändern, und in der Mitte fahren sie (wenn nicht gerade mal wieder Stau ist). Autos beherrschen auch in dieser Stadt das Straßenbild, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Aber muss das für immer so bleiben? Nein, sagen Planer, Wissenschaftler und andere Bürger aus Berlin. Ihre Forderung lautet: „Straßen befreien“ – von Autos. Nun haben sie ihre Thesen veröffentlicht: im „Manifest der freien Straße“. Die Autoren kommen aus der Kreuzberger Denkfabrik Paper Planes, dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und der Technischen Universität (TU) Berlin.
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„Die Nutzung des Stadtraums als Parkplatz ist ein fundamentales Missverständnis. Echte Freiheit beginnt jenseits unserer privaten Autos. Befreien wir uns von ihnen!“ Das scheint die Hauptthese zu sein.
Folgerichtig kommen Kraftfahrzeuge auf den detailreichen Bildern von fiktiven Städten, mit denen die Gruppe ihre sieben Leitsätze illustriert, so gut wie nicht vor. Nur wer ganz genau hinschaut, kann da und dort noch ein solches Vehikel entdecken. Auf einer Visualisierung zum Beispiel versteckt sich an der Seite ein Lieferwagen hinter Bäumen. Doch die Fahrbahn, die es für Fahrzeuge wie dieses einmal gegeben haben mag, ist nicht mehr da. Stattdessen erstreckt sich in der Mitte ein Wasserbecken, in dem sich das Blau des Himmels und üppiges Grün spiegeln. Bienenkästen stehen am Rand. Auf einem Sonnendeck ruhen sich zwei Männer in Liegestühlen vor einem Spätkauf aus.
Winter-Utopie: Eisbahn statt Fahrbahn
„Befreite Straßen schützen unser Leben und das der kommenden Generationen“, heißt es in dem Manifest dazu. „Mit ihnen lassen sich Extremwetterlagen besser bewältigen.“
Auf einem anderen Bild sind Autos zu erkennen, nach genauem Hinsehen sind es sogar fünf. Aber die Kreuzung, auf deren Zufahrtsstraßen sie parken, ist für sie tabu. Verkehrszeichen verwehren die Weiterfahrt. Kreideschrift auf einer Tafel zeigt, dass auf dem Knotenpunkt an diesem Abend die erste Sitzung eines „Straßenparlaments“ stattfinden soll. Hölzerne Sitzpodeste und Kübel mit Grünpflanzen lassen ahnen, dass die Sperrung für den Kraftfahrzeugverkehr schon bald endgültig werden könnte.
„Um Straßen zu befreien, braucht es Pioniere. Wir alle können diesen Kulturwandel mitgestalten“, so die dazugehörige These des Manifests, in der es um Beteiligung geht.
Auf einem anderen Bild, das ebenfalls eine fiktive Stadt darstellt, hat der Autoverkehr Überbleibsel hinterlassen, die aber optisch fast untergehen. Weiße Markierungen auf dem Asphalt zeigen, dass dort einst Autos abgestellt werden durften. Dahinter erstreckt sich ein Zebrastreifen, aber Kraftfahrzeuge, vor denen er schützen soll, sind weit und breit nicht zu sehen. Stattdessen erstreckt sich auf der einstigen Fahrbahn eine Eisbahn.
„Um Straßen zu befreien, braucht es politischen Willen“, lautet die These des Manifests zu diesem Bild. „Konflikte müssen ausgehalten, Neues muss gewagt und manches auch wieder verworfen werden.“
Und so geht es weiter: Wo auf heutigen Straßenszenen Autos stehen oder rollen würden, spielen Kinder, gehen Senioren mit Rollatoren spazieren, sprießen Pflanzen, gehen Handwerker in Holzpavillons ihrer Arbeit nach, warten Fahrgäste in einem aufwendig gemauerten Haltestellengebäude mit Gewölben wie aus dem Mittelalter auf den Bus.
Was soll das alles sein? Eine Utopie in Form von Wimmelbildern? Ein Werkzeugkasten mit konkreten Ideen, wie Straßen künftig aussehen könnten? Eine Einladung, Gedanken schweifen zu lassen? Oder ein Aufruf, planerisch und politisch tätig zu werden? weiterlesen