Neuer Politikstil für die Energiewende
Neuer Politikstil für die Energiewende
Für eine demokratische Energiewende ist die Beteiligung von Interessenvertreterinnen und -vertretern sowie der Öffentlichkeit entscheidend. Welcher Politikstil ist dafür geeignet? Ein Team vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) – Helmholtz-Zentrum Potsdam hat fünf demokratische Politikstile untersucht. Für eine demokratische Energiewende eigne sich am ehesten der Stil, welcher zuerst auf der kommunalen Ebene viele Perspektiven aus der Zivilgesellschaft aufnimmt. Diese werden dann in einem strukturierten Austausch mit politischen Gremien auf Länder- und Bundesebene integriert zu effektiven und fairen Politikentwürfen.
„Die Forschung hat gezeigt, dass die Form und Umsetzung, wie man Interessengruppen, Fachleute, Zivilgesellschaft und betroffene Bürgerinnen und Bürger beteiligt, den entscheidenden Lösungsansatz für demokratische Nachhaltigkeitstransformationen darstellt. Ausgehend von dieser Erkenntnis haben wir verschiedene Arten von Regierungsführungen untersucht, um darauf aufbauend einen neuen Vorschlag zu entwickeln, der besser geeignet ist, die komplexe Beziehung zwischen Unternehmen, Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft bei der Energiewende zu erfassen“, sagt Jörg Radtke, Erstautor der Studie, die in der Zeitschrift „Energy Research & Social Science“ erschienen ist. Darin beschreiben die Autoren fünf Stile demokratischer Politikgestaltung und analysieren deren Eignung für die Beteiligung der Öffentlichkeit an der Energiewende.
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Die Politikstilestile
Die autokratische Regierungsführung verfolgt einen Top-down-Ansatz. Die Entscheidungsfindung wird von wirtschaftlicher Effizienz und politischer Dominanz bestimmt, sie bietet der Bevölkerung keine Möglichkeit zur Mitbestimmung bei der politischen Entscheidungsfindung.
Der bipolare Politikstil ist ebenfalls stark hierarchisch organisiert. Die Entscheidungsprozesse sind von Konfrontation geprägt, typischerweise zwischen zwei konkurrierenden politischen Lagern. Wichtige Parteien und Interessengruppen werden hierbei eingebunden und polarisiert.
Beim kollaborativen Regieren werden vor allem Interessengruppen und in begrenztem Maße auch Bürgerinnen und Bürger in die politische Beschlussfassung einbezogen. Leitbild ist die Idee eines überparteilichen Konsenses durch intensive Verhandlungen und Kompromissfindung.
Die reflektierende Regierungsführung betont eine deliberative, von Argumenten bestimmten Entscheidungsfindung. Sie fördert die öffentliche Debatte und die Legitimität der Entscheidungsfindung und legt Wert auf lokales Wissen. Dieser Ansatz zeichnet sich durch einen diskursiven, von unten nach oben gerichteten Planungsprozess mit starker öffentlicher Beteiligung aus.
Der basisdemokratische Politikstil gewährleistet die aktive Teilnahme verschiedener Bevölkerungsgruppen an der Gestaltung der Energiewende. Bürger und Bürgerinnen werden bei Bürgerversammlungen gehört und können über Referenden direkt Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen.
Bottom-up besser als Top-down
Diese Protototypen legen unterschiedlich viel Wert auf öffentliche Beteiligung und Beratung. Die Top-down-Formen des Regierens, also der autokratische und der bipolare Politikstil, sind den Autoren zufolge kaum in der Lage, gesellschaftliche Unterstützung für die Energiewende zu fördern.
Besser geeignet sind die drei Stile, die Bottom-up-Strategien integrieren. „Jede davon bietet einzigartige Möglichkeiten für Beteiligungsprozesse, allerdings haben sie auch Schwächen: Kooperative Systeme können ehrgeizige politische Maßnahmen abschwächen und zu faulen Kompromissen führen. Reflektierende Systeme können zwar Engagement erzeugen, haben aber Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Basisdemokratische Systeme sind wiederum aufgrund möglicherweise gegensätzlicher und oft inkonsistenter Präferenzen der Akteure schwer harmonisierbar und führen letztlich zu unvorhersehbaren Ergebnissen“, sagt Ko-Autor Ortwin Renn.
Die Forscher schlagen daher einen neuen Politikstil vor, den sie als „mediativ“ oder vermittelnd bezeichnen. Dieser Stil kombiniert die Vorteile des reflektierenden und des basisdemokratischen Stils und fügt eine räumliche Mehrebenen-Dimension hinzu: Er legt hierbei den Schwerpunkt auf die kommunale Ebene und baut Brücken zwischen den Regierungsebenen der Gemeinden, Regionen, Länder und der EU. „Da alle Umsetzungsprozesse letztlich auf der lokalen Ebene stattfinden, sich hier Konflikte entladen und Kompromisse vor Ort ausgehandelt werden müssen, ist die Fokussierung auf Kommunen die vielversprechendste Lösung für die Dilemmata der Energiewende“, sagt Radtke.
Vier Prinzipien fürs Gelingen
Für den mediativen Politikstil formulieren die Wissenschaftler vier Prinzipien:
Der erste Schritt in diese Richtung besteht in Bottom-up-Aktivitäten zur Etablierung von Diskussionsrunden innerhalb der Gemeinschaft. Durch solche lokalen Diskussionen können Fragen der sozialen Gerechtigkeit, des Energiebedarfs, der ökologischen Auswirkungen und der nachhaltigen Entwicklung angesprochen werden.
Der zweite Schritt umfasst flexible und integrative Formate für die Beteiligung von Interessengruppen, Expertinnen und Experten und der Öffentlichkeit. Solche ko-kreativen Ansätze fördern das Gefühl der Eigenverantwortung und der gemeinsamen Verantwortung unter den betroffenen Parteien, mildern Konflikte im Übergangsprozess und sichern sowohl Verfahrens- als auch Anerkennungsgerechtigkeit. Dies können Bürgerräte oder digitale Planungswerkstätten sein.
Der dritte Schritt besteht darin, die Vorteile der Energietransformation mit der lokalen Gemeinschaft zu teilen. Die Menschen sollen in die Lage versetzt werden, sowohl Gestalter als auch Nutznießer der angestrebten Energiewende zu sein.
Der vierte und letzte Schritt besteht darin, die Gemeinschaften in ein umfassenderes Nachhaltigkeitskonzept einzubinden. Das Gemeinwohl und die Verpflichtung zur Klimaneutralität stehen dabei im Vordergrund. Der Egoismus einzelner Gemeinschaft auf Kosten anderer Gemeinschaften soll damit verhindert werden.
Wenn eine effektive öffentliche Verwaltung und Regierungsführung Hand in Hand geht mit integrativen Formen der Beteiligung und Mitbestimmung vor Ort, so die Autoren, seien dies beste Voraussetzungen dafür, die demokratischen Herausforderungen beim Übergang zur Klimaneutralität zu meistern. Mit Hilfe von aufeinander bezogenen Beteiligungsprozessen könnten die Vorteile und Gewinne des Wandels sichtbar und spürbar gemacht werden – und zwar ganz konkret für die Bevölkerung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld.
Jörg Radke