Nobelpreisträger rufen zum Handeln auf

Nobelpreisträger rufen zum Handeln auf
Nobel Prize Summit, Our Planet, Our Future © Nobel Prize Outreach

Nobelpreisträger rufen zum Handeln auf

Robert Hunziker, Los Angeles, USA

“Our Planet, Our Future“ ist der Titel des Nobelpreis-Gipfels 2021. Als Folge dieses Gipfels veröffentlichte die National Academies of Sciences, Engineering and Medicine kürzlich “Our Planet, Our Future: An Urgent Call for Action“ am 29. April 2021.

Der erste Absatz der Nobelpreis-Erklärung ruft implizit zu sofortigem, weltweit einheitlichem Handeln auf: „Der erste Nobelpreis-Gipfel findet inmitten einer globalen Pandemie, inmitten einer Krise der Ungleichheit, inmitten einer ökologischen Krise, inmitten einer Klimakrise und inmitten einer Informationskrise statt. Diese supranationalen Krisen sind miteinander verknüpft und bedrohen die enormen Errungenschaften, die wir beim menschlichen Fortschritt gemacht haben.“

Der Kontext und der Inhalt dieses prestigeträchtigen Gipfels ist es wert, analysiert und betrachtet zu werden. Die Nobelpreisträger und Nobelpreisträgerinnen identifizierten drohende Risiken für „die enormen Errungenschaften, die wir im menschlichen Fortschritt gemacht haben.“ Mit anderen Worten: Sie sehen die eindeutige Möglichkeit, dass der menschliche Fortschritt sich auf einem Pfad des Rückschritts befindet, wenn die Welt sich nicht zusammenschließt, um sich um die Biosphäre, unseren Planeten Erde, zu kümmern und sie zu reparieren. In dieser Hinsicht ist der Infrastrukturplan von Präsident Biden lediglich ein großer Tropfen.

Der Aufruf entlarvt implizit die treibende Kraft des Neoliberalismus, die Globalisierung, als Kernproblem, das sich auf den Planeten auswirkt, indem Reichtümer ohne Zögern oder Rücksicht auf den Zerfall von Ökosystemen geerntet werden. Kein einziges Ökosystem bleibt unversehrt, nicht einmal ein einziges, während der Planet unter dem schwersten Stress seit Millionen von Jahren schnauft und pufft und Gas ausstößt, „beispiellos“ ist das beliebteste Wort im wissenschaftlichen Jargon geworden.

Obwohl von den Nobelpreisträger und Nobelpreisträgerinnen nicht erwähnt, ist eine der größten Herausforderungen für ihre Anliegen eine weltweit aufkeimende, rechtspopulistische Anti-Wissenschafts-Bewegung, welche die Achillesferse für alle Vereinbarungen zwischen den großen Nationen sein könnte, den Planeten zu reparieren. In diesem Fall besteht die eindeutige Möglichkeit, dass der weltweite rechtspopulistische Kreuzzug die Zivilisation in den Abgrund führt – ohne Rückkehrmöglichkeit.

Führung im Stil von Trump ist überall auf der Welt zu finden, und sie wird in absehbarer Zeit nicht verschwinden. Ganz im Gegenteil, denn es ist die extremste anti-intellektuelle, anti-etablierte, anti-wissenschaftliche Fraktion der modernen Geschichte. Trumps wissenschaftsfeindliche Haltung hat hochkarätige Wissenschaftler aus dem Land gejagt, mehrere flohen nach Frankreich. In den ersten zwei Jahren der Trump-Regierung verließen mehr als 1.600 Bundeswissenschaftler und Bundeswissenschaftlerinnen die Regierung, wie aus den Beschäftigungsdaten des Office of Personnel Management hervorgeht, die von der Washington Post analysiert wurden. Ähnliche Artikel in anderen Publikationen beschreiben die fast vollständige Dezimierung von wichtigem wissenschaftlichem Personal und den Verlust des Zugangs zu wichtigen wissenschaftlichen Informationen, der Jahre dauern wird, um wieder aufgefüllt zu werden. Trump hat die Wissenschaft aus dem Fenster geworfen und den Zugang zu entscheidenden Daten zerschlagen, die benötigt werden, um genau die Ziele zu erreichen, die für die Reparatur des Planeten erforderlich sind, wie von den Nobelpreisträgern vorgeschlagen.

Außerdem sind die anti-intellektuellen Rechtspopulisten noch nicht fertig. Sie haben gerade erst angefangen. „In ganz Europa sind rechte Parteien nicht nur zunehmend autoritär und antidemokratisch geworden, sondern auch faktenfeindlich, expert:innenfeindlich und vernunftfeindlich.“ (Quelle: Right-wing Politics and Anti-Science Positions are Locked Together in a Literal Deadly Mix, Daily Kos, March 31, 2021)

Die Nobelpreisträger:innen haben das größte Hindernis für ihre Pläne nicht erwähnt und würden es wahrscheinlich auch nie tun, nämlich den immer stärker werdenden, rechtspopulistischen Anti-Wissenschafts-Kreuzzug. Amerikas Kongress ist voll von ihnen: „Die Ablehnung der Mainstream-Wissenschaft und Medizin ist zu einem Hauptmerkmal der politischen Rechten in den USA und zunehmend auf der ganzen Welt geworden.“ (Quelle: The Anti-Science Movement Is Escalating, Going Global and Killing Thousands, Scientific American, March 29, 2021)

Es ist wahrscheinlich, dass die Vorschläge der Nobelpreisträger:innen (siehe Link am Ende dieses Artikels) nicht den Hauch einer Chance haben, solange die großen Länder durch einfache Ignoranz und erfundene Lügen vergiftet werden, wodurch ein universelles Versagen bei der Bereitstellung der Grundlagen der Bildung aufgedeckt wird, wodurch Unmengen von Anti-Wissenschafts-Idiot:innen ausgespuckt werden. Am Ende bedeutet das Ärger für einen sehr unruhigen Planeten. Versagen in der Bildung ist fatal!

Leider wiederholt sich die Geschichte: „Das zerstörerische Potenzial der Anti-Wissenschaft wurde in der UdSSR unter Joseph Stalin voll realisiert. Millionen russischer Bauern:Bäuerinnen starben in den 1930er und 1940er Jahren an Hunger und Hungersnot, weil Stalin die pseudowissenschaftlichen Ansichten von Trofim Lysenko vertrat, die katastrophale Weizen- und andere Missernten propagierten“ (ebd.).

In ähnlicher Weise, wiederholt sich der Stalin-artige Irrsinn, nur eben 80 Jahre später: „Das Weiße Haus von Trump startete eine koordinierte Desinformationskampagne, die die Schwere der Epidemie in den Vereinigten Staaten abtat, die COVID-Todesfälle anderen Ursachen zuschrieb, behauptete, dass die Krankenhauseinweisungen auf einen Nachholbedarf an elektiven Operationen zurückzuführen seien, und behauptete, dass die Epidemie letztlich spontan verdampfen würde. Außerdem wurde Hydroxychloroquin als spektakuläres Heilmittel angepriesen, während die Bedeutung von Masken heruntergespielt wurde. Andere autoritäre oder populistische Regime in Brasilien, Mexiko, Nicaragua, den Philippinen und Tansania übernahmen einige oder alle dieser Elemente“, Ibid.

Derzeit zeigen drei landesweite Umfragen, dass weiße Republikaner:innen, darunter jede/r vierte republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus, die COVID-19-Impfung ablehnen. Dieses blockierende Verhalten hat seinen Ursprung in den Protesten gegen Impfstoffe als Hauptplattform der Tea Party mit ihren „Gesundheitsfreiheit“-Kundgebungen, als eine Masernepidemie Teile von Kalifornien traf. Derselbe Ruf nach gesundheitlicher Freiheit verbreitete sich dann auch in Texas. Heutzutage erstreckt sich die öffentliche Ablehnung von COVID-19-Impfstoffen auf Indien, Brasilien, Südafrika und mehrere Länder mit niedrigerem Einkommen sowie auf Teile Europas und liefert den Echtzeit-Beweis aus erster Hand, dass Unwissenheit vermeidbare Todesfälle hervorbringt.

Rechtspopulismus und die Praxis der Wissenschaft prallen natürlich aufeinander. Studien zeigen, dass Wissenschaft (a) evidenzbasiert (b) objektiv ist und (c) Beweise für Aussagen fordert, während populistische Politik auf emotionalen, leicht falsifizierbaren Verlautbarungen basiert, die Wahrheit aber ihre Agenda zerstört. Deshalb muss die Wahrheit um jeden Preis vermieden werden. „Wenn man eine Lüge gut genug erzählt und sie immer wieder wiederholt, werden die Leute irgendwann dazu kommen, sie zu glauben.“ (Joseph Goebbels)

Die Nobelpreisträger:innen bieten Wegweiser für die ersten Schritte zur Rettung des Planeten: (1) das nächste Jahrzehnt ist entscheidend (2) die globalen Emissionen müssen halbiert werden (3) die Zerstörung der Natur muss aufhören. Sie haben „verstanden“, woran die Welt krankt, und ihre Erklärung ähnelt bemerkenswert den Aussagen einiger mutiger, offener Wissenschaftler:innen in den letzten Jahrzehnten. In der Tat bestätigen die Nobelpreisträger:innen Warnungen, die in den letzten Jahrzehnten in der Fachliteratur zu finden waren, die aber leider nie laut genug waren, um etwas zu bewirken.

So hat der Handlungsappell ernste Bedrohungen für den Planeten aufgezeigt, die bereits in den letzten Jahren erkannt wurden, wie es heißt: „Die Gesellschaften riskieren großflächige, irreversible Veränderungen der Biosphäre der Erde und unseres Lebens als Teil davon.“

Diese Warnung wurde in den letzten Jahren immer wieder wiederholt, aber weitgehend ignoriert, aber von zu wenigen Wissenschaftler:innen geäußert, bis vor kurzem, die Dinge ändern sich so schnell, dass sie aus dem Nähkästchen plaudern und vor dem Verlust von Ökosystemen warnen, was bedeutet: Verlust von Lebensraum, Verlust von Wirbeltieren, Verlust des Great Barrier Reefs, Verlust der Arktis, Verlust von Fluginsekten in „geschützten“ europäischen Naturschutzgebieten, Verlust von Gliederfüßern in tropischen Regenwäldern in Puerto Rico und Westmexiko, Verlust von Regenwald auf der ganzen Welt und irreversibler Zerfall der Antarktis, als die Nobelpreisträger:innen der Welt schließlich für einen Aufruf zum Handeln plädieren.

In all den Jahren der Besorgnis der Wissenschaftler:innen über den Verlust der bemerkenswerten Fähigkeiten des Planeten, hatte die Natur nie wirklich eine Chance. Sie kann sich den Auswirkungen des riesigen menschlichen Fußabdrucks im Anthropozän einfach nicht entziehen, der willkürlich alles zerknirscht und zermalmt, was sich ihm in den Weg stellt. Die Natur ist ein leichtes Ziel.

Letztendlich ist die Rettung des Planeten vielleicht jenseits des Aufrufs der Nobelpreisträger, einfach weil die Herausforderungen größer sein könnten als die endgültige Lösung: „Man würde sich schwertun, eine Region der Welt zu finden, die der Populismus in den 2010er Jahren nicht berührt hat. Das Jahrzehnt brachte uns die Wahl von Donald Trump in den Vereinigten Staaten und das Brexit-Votum in Großbritannien. Es war Zeuge des Aufstiegs der Alternative für Deutschland – der ersten rechtsextremen Partei, die seit Jahrzehnten in das nationale Parlament des Landes einzog – sowie des Aufstiegs populistischer Parteien in Ländern wie Österreich, Brasilien, Italien, Indien, Indonesien und Polen. Im Jahr 2018 waren es bereits 20, die weltweit in der Exekutive vertreten sind.“ (Quelle: Populism is Morphing in Insidious Ways, The Atlantic, 5. Januar 2020)

Der oben genannte Artikel identifiziert das nächste große Ziel der Rechtspopulist:en wie folgt: „Während sich ein Großteil des vergangenen Jahrzehnts um Auseinandersetzungen über Fragen der Einwanderung und Souveränität drehte, könnten die 2020er Jahre von einem neuen, drängenderen Narrativ dominiert werden: dem Klimawandel.“

Link zu: Our Planet, Our Future: An Urgent Call for Action 

Link zu: Our Planet, Our Future: An Urgent Call for Action https://www.nationalacademies.org/news/2021/04/nobel-prize-laureates-and-other-experts-issue-urgent-call-for-action-after-our-planet-our-future-summit

Übersetzung aus dem Englischen: Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam

Die Veröffentlichung erfolgt im Rahmen unserer Medienpartnerschaft mit Pressenza

Über den Autor
robert hunziker DR

Robert Hunziker (MA, Wirtschaftsgeschichte) ist ein freiberuflicher Schriftsteller und Umweltjournalist, dessen Artikel, über 200, in mehr als 10 Fremdsprachen übersetzt wurden und in über 50 Zeitschriften, Magazinen und auf Websites weltweit erschienen sind, wie Z Magazine, The Ecologist und CounterPunch. Er wurde ausführlich in Radio und Fernsehen zu Fragen des Klimawandels sowie zur neoliberalen Ökonomie

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