Scheinheilige Gaspolitik der EU
Scheinheilige Gaspolitik der EU
wiwo.de: Die Haupteinnahmequelle Moskaus bleibt von den Sanktionen ausgenommen. Billiges russisches Gas fließt weiterhin in die EU und verzerrt den Wettbewerb.
Es sind oft nur kleine Meldungen, die im dichten Pulverdampf des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verdunsten: Als vor wenigen Wochen die russische Gasstation in Sudscha an der Grenze zur Ukraine angegriffen wurde, fand das in den Nachrichten kaum Erwähnung. Aber die Gashändler spürten die Auswirkungen sofort: Die europäischen Gaspreise stiegen plötzlich steil an.
Wie kann das sein? Will die EU bis 2027 nicht gänzlich auf russisches Gas verzichten?
Möglich wäre das wohl schon jetzt. „Unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit halte ich es für die EU für machbar, die russischen Gaseinfuhren sofort einzustellen“, sagt Ben McWilliams, Energieexperte des Brüsseler Thinktanks Bruegel. Doch längst nicht alle der 27 Mitgliedsstaaten wollen das. Sicher: Russland ist der Hauptfeind Europas. Aber das Gas aus Sibirien ist immer noch äußerst günstig zu haben und eine Reihe von Ländern wollen auf diesen Wettbewerbsvorteil nicht verzichten.
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Vorreiter ist das Baltikum
Nicht nur Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas leidet unter den ökonomischen Folgen aufgrund des Wegfalls des billigen russischen Importgases. Auch die baltischen Staaten kämpfen mit den Konsequenzen. Dennoch bekräftigten jetzt Lettland, Litauen und Estland ihre Absicht, die letzten Energieverbindungen zu Russland bis Februar 2025 zu kappen. Auch diese Ankündigung ging in den Hauptnachrichten unter. Ebenso wie die Äußerungen der griechischen Regierung, den geplanten Mega-Ausbau von LNG-Terminals mangels Nachfrage auf Eis zu legen.
Der Reihe nach: Bislang teilten Litauen, Lettland und Estland ein Stromnetz mit Russland und Belarus – ein Relikt aus Sowjetzeiten. Doch schon vier Jahre vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beschlossen die drei EU- und NATO-Mitgliedsstaaten, einen neuen, eigenen Anschluss an das europäische Netz zu bauen – obwohl das den kleinen Ländern finanziell viel abverlangte. Nicht nur, weil der Bau der neuen Verbindungsleitungen nach Polen, Schweden und Finnland eine Menge Geld verschlang. Die Balten verzichten auch ganz bewusst aus politischen Gründen. Man will eben vom gefürchteten, großen Nachbarn unabhängig sein und sich nicht von Putin erpressen lassen. Offenbar ahnte man in Riga, Vilnius und Tallin schon viel früher als in Berlin, dass Putin die Energiepolitik eines Tages als Waffe einsetzen würde.
Diese teure und schmerzhafte Gerissenheit kam Deutschland erst nach Kriegsbeginn. Der Preis dafür ist hoch: Der Verzicht auf billiges russisches Gas hinterlässt bis heute tiefe Spuren in der Bilanz unserer heimischen Wirtschaft.
Beim Gaspreis endet die Solidarität
Ganz anders die Mehrzahl der anderen europäischen Staaten. Sie kaufen nach wie vor gerne das günstige Gas von Gazprom – ganz egal, wie brutal die Russen in der Ukraine auch wüten mögen. Ganz egal, wie viele Sanktionen die EU auch gegen Moskau beschließt. Mit diesem Umstand hängt auch die zweite, nahezu unbemerkte Nachricht zusammen: Griechenland hatte nach der russischen Invasion den ehrgeizigen Plan gefasst, mit einem Netz von LNG-Terminals zur Drehscheibe der Gasversorgung in Süd- und Osteuropa aufzusteigen. Die geplanten Terminals hätten eine Umschlagkapazität von 25 Milliarden Kubikmetern haben sollen, dem Vierfachen des griechischen Eigenbedarfs.
Aber die hochfliegenden Pläne haben einen Dämpfer erhalten. Der Grund: Die Ausgangslage hat sich dramatisch geändert, die Nachfrage nach Flüssigerdgas ist mittlerweile massiv gesunken. Im ersten Quartal 2024 brachen Griechenlands Gasexporte in die Balkanländer um 95 Prozent ein. Die Investoren für die LNG-Terminals bekamen kalte Füße, weil sich der Gasmarkt in Europa komplett gedreht hat – zugunsten von Russland.
Obwohl der Ukrainekrieg seit zweieinhalb Jahren mit äußerster Brutalität geführt wird und sich die europäischen Politiker mit Verurteilungen überbieten, überschwemmt der russische Staatskonzern Gazprom Südosteuropa geradezu mit Erdgas.
Griechenland hängt vom Russengas ab
Die Länder greifen gerne zu, denn der Preis für russisches Pipelinegas ist kaum zu schlagen – verglichen mit dem LNG aus den USA, Algerien oder Katar. Griechenland ist unter den EU-Staaten keine Ausnahme. Wurden die Importe aus Russland mit Kriegsbeginn auf 14 Prozent des Eigenbedarfs gedrosselt, so decken die Griechen heute ihren Bedarf zu fast zwei Dritteln mit russischem Gas – weitaus mehr als Deutschland vor Kriegsbeginn.
Obwohl die EU Ende Juni das 14. Sanktionspaket gegen Moskau verabschiedet hat, um die russische Wirtschaft und die Staatskasse des Kremls weiter zu schwächen, fallen Gaslieferungen immer noch nicht unter diese Strafmaßnahmen. Die EU-Staaten können weiterhin so viel Russengas importieren, wie sie wollen.
Schweigen und verdienen
Griechenland ist kein Einzelfall. Ungarn hat erst 2023 neue Lieferverträge mit Gazprom geschlossen und bezieht bis zu 85 Prozent seines Erdgases aus Russland. In Österreich schwankte der Anteil russischen Gases zwischen 81 und 97 Prozent. Der zu knapp einem Drittel vom Staat kontrollierte österreichische Energiekonzern OMV hat sich vertraglich sogar bis 2040 an Gazprom gebunden…. weiterlesen