Umstritten: Staub soll Klimawandel dämpfen
Umstritten: Staub soll Klimawandel dämpfen
focus.de: Mit Mondstaub die Sonne verdunkeln, fürs Klima? Immer mehr Forschende und immer mehr Unternehmen experimentieren mit dem sogenannten „Geo-Engineering“, das die Erderwärmung bremsen soll. Erste Staaten verbieten die Praxis – und auch renommierte Forscher warnen: Das Staub-Experiment könnte ungeahnte Folgen haben.
Es klingt wie die verrückte Idee eines Comic-Bösewichts, aber die Forschungsgruppe der University of Utah in den USA meint es tatsächlich ernst. „Staub als Sonnenschild“ heißt der wissenschaftliche Aufsatz, den die Gruppe im Februar in der Fachzeitschrift „Plos Climate“ veröffentlichte – und der eine große Debatte in der Wissenschaft auslöste.
Weltenretter Weltraumstaub?
Die Idee: Aus der Beobachtung wissen wir, dass große Staubmengen die Erde abkühlen können. Denn die in der Luft umherfliegenden Partikel reflektieren Sonnenlicht, statt es zur Erde durchzulassen. Als es etwa im Juni 1991 zu einer gewaltigen Eruption des philippinischen Pinatubo-Vulkans kam, wurde so viel Staub in die Erdatmosphäre gepustet, dass die weltweite Durchschnittstemperatur in den folgenden beiden Jahren um 0,5 Grad abfiel. Verschiedene Studien zeigen, dass auch Wüstenstaub die Erde abkühlen kann, zumindest minimal.
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Das Forscherteam aus Utah ist nun der Ansicht, dass sich dieser Effekt nutzen lassen könnte – und zwar fürs Klima. Denn die Erde hitzt sich durch den menschengemachten Klimawandel auf, im Vergleich zum Jahr 1850 hat sich unser Planet laut Weltklimarat bereits um durchschnittlich 1,1 Grad Celsius erwärmt. Die Erwärmung ließe sich womöglich bremsen, indem die Menschheit einfach selbst kontrolliert eine größere Menge Staub zwischen Erde und Sonne aussetzt. Besonders gut würde sich Mondstaub eignen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Mysteriöse Testballons in Mexiko
Die Sonne abdunkeln fürs Klima? Erste Ideen zum sogenannten „Solar Geoengineering“ kamen bereits in den 1960ern auf. 2006 fragte der Meteorologe und Nobelpreisträger Paul Crutzen in einem Essay , ob die Staublösung nicht realistischer sei als der Versuch, die Staaten der Erde von fossilen Brennstoffen abzubringen. Plötzlich war das Geoengineering kein jahrzehntelang totgeschwiegenes Tabu-Thema mehr – und fand immer mehr Anhänger. Selbst das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) urteilte in diesem Februar , das Geoengineering sei „der einzige bekannte Ansatz, mit dem die Erde innerhalb weniger Jahre abgekühlt werden könnte.“
Crutzen schlug in seinem Aufsatz noch vor, den Staub mit Artillerie in die Stratosphäre zu schießen, doch die diskutierten Möglichkeiten wurden schnell ausgefeilter. Ende 2022 ließ das US-amerikanische Startup „Make Sunsets“ mehrere Testballons in den Luftraum über Mexiko aufsteigen und dort hunderte Gramm Schwefelstaub in die Atmosphäre spritzen. Die Geschäftsidee: Wer etwa einen Langstreckenflug plant, kann ein paar Dollar an Make Sunsets überweisen. Die Firma injiziert dann so viel Schwefelstaub in die Atmosphäre, wie notwendig ist, um den Effekt des CO2-intensiven Langstreckenfluges auf die Erderwärmung auszugleichen.
Als die mexikanischen Behörden im Februar 2023 Wind von den Testballons bekamen, schoben sie den Versuchen sofort einen Riegel vor. „Diese Art von Experiment zeigt alles, was falsch und gefährlich ist an Solar Geoengineering“, kritisiert Frank Biermann, deutscher Professor für „Global Sustainability Governance“ an der Universität von Utrecht in den Niederlanden. Eine US-Firma, die geheime Experimente in ärmeren Ländern durchführt, mit unklarem Ausgang – nicht nur bei Biermann weckt das unangenehme Assoziationen.
„Es ist nicht normal“
Ein Jahr zuvor, im Januar 2022, hatte Biermann eine Initiative ins Leben gerufen, die sich für ein weltweites Verbot von Geoengineering einsetzt. Schon seit 2010 gilt ein Moratorium auf derartige Experimente, an das sich jedoch nicht alle halten. Ein von Milliardär Bill Gates mitfinanziertes Projekt der US-Elite-Universität Harvard im schwedischen Teil Lapplands wurde im Februar 2021 erst in letzter Minute abgebrochen – unter anderem nach Protesten der dort lebenden Ureinwohner.
Mittlerweile unterstützen 460 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 63 Ländern Biermanns Initiative, auch einige Umweltverbände sind dabei. „Bis wir unsere Initiative gestartet haben, ging der Trend in der Wissenschaft und der Politik langsam dahin, Solar Geoengineering als etwas ganz Normales anzusehen“, sagt Biermann zu FOCUS online Earth. „Aber es ist nicht normal. Es ist gefährlich, und es ist schlecht zu managen.”
Das Acht-Milliarden-Experiment
Das zentrale Argument der Geoengineering-Gegner: Wir können die Auswirkungen des Experiments schlicht nicht abschätzen. Bereits jetzt zeigen Studien, dass etwa Staub aus Vulkanausbrüchen zu schlechteren Ernten führt und dass der oft verwendete Schwefelstaub die Ozonschicht angreift. Das Geoengineering ließe sich auch nicht mehr abbrechen, wenn es einmal beginnt – ein schlagartiger, fataler Anstieg der Temperatur wäre die Folge. „Die Forscher machen natürlich Modellierungen, so ist das in der Klimaforschung“, sagt Biermann. „Aber ob es funktioniert, wird man erst nach einem Experiment auf Erdsystemniveau richtig herausfinden. Und hier wäre das ein Experiment mit acht Milliarden Menschen.”
Zumal die Folgen des Geoengineerings auch regional ungleich verteilt sein könnten – mit der möglichen Konsequenz, dass reichere Länder Klimaschutz auf Kosten der Armen betreiben.
„Manche Regionen werden vermutlich kälter sein, manche wärmer“, erklärt Biermann. „Manche werden möglicherweise feuchter sein, manche trockener. Was machen wir zum Beispiel, wenn die Amerikaner sagen, sie würden das gerne für Nordamerika maximieren, und wenn es in Afrika dann ein bisschen trockener wird, dann ist es halt so?”
Vom Risiko, nicht zu forschen
Befürworter der Praxis argumentieren hingegen, die Bedrohung durch den Klimawandel lasse schlicht keine andere Wahl… weiterlesen