Wachstumskritik: Einfach nicht mehr drüber reden!
Wachstumskritik: Einfach nicht mehr drüber reden!
zeit.de: Kann die Wirtschaft angesichts der Klimakatastrophe noch wachsen? Das ist die falsche Frage – der Kapitalismus ist immerhin anpassungsfähig.
Das Bruttoinlandsprodukt ist definiert als der Wert aller in einem Jahr in Deutschland hergestellten Güter und Dienstleistungen. Es ist nicht definiert als: das Gewicht dieser Dinge. Oder ihr Volumen. Das ist ein wichtiger Unterschied mit Blick auf die Frage, ob unendliches Wachstum angesichts der Klimakatastrophe möglich, sinnvoll oder notwendig ist.
Denn wenn materieller Wohlstand bedeuten würde: immer mehr Zeug, dann wäre die Frage leicht zu beantworten. Die Ressourcen der Erde sind begrenzt und wenn das letzte verfügbare Atom in einen Tisch, einen Autositz oder ein Steak umgewandelt ist, dann ist Schluss. Wahrscheinlich schon vorher, weil der Prozess dieser Umwandlung zumindest nach dem heutigen technologischen Stand die Umwelt zerstört und die Atmosphäre aufheizt.
Materieller Wohlstand bedeutet aber eben nicht immer mehr Stoffumsatz. Zumindest nicht zwingend. Der Wert einer Sache hat nichts mit der Menge an Stoffen zu tun, die ihn ihr steckt. Sondern damit, was der Käufer einer Sache für die Sache zu zahlen bereit ist. Also mit dem in Geldeinheiten ausgedrückten Nutzen, den sie stiftet. Leonardo da Vinci hat ein wenig Leinwand und ein bisschen Farbe verbraucht, um Salvator Mundi zu malen. Dennoch wurde das Bild vor ein paar Jahren für fast eine halbe Milliarde Dollar in New York verkauft. Weil es jemandem einen halbe Milliarde Dollar wert war, dieses Bild zu besitzen.
Die Wertsteigerung einer Sache ist in vielen Fällen also ein Produkt des menschlichen Geists, eine immaterielle Ressource. Dass ein iPhone 12 ungefähr doppelt so teuer ist wie ein iPhone 6 liegt nicht daran, dass in einem iPhone 12 so viel mehr Material verbaut wurde. Sondern daran, dass das Material intelligenter kombiniert wurde. Deshalb ist in einer endlichen Welt zumindest theoretisch unendliches Wachstum möglich. Wobei: Die Zahl der möglichen Kombinationen aller auf der Erde vorhandenen Atome ist streng genommen endlich. Aber sie ist so groß, dass sie sich in der Praxis von der Unendlichkeit nicht unterscheiden lässt (wer sich dafür interessiert: Für drei Elemente gibt es 3 x 2 x 1 Kombinationsmöglichkeiten, für vier 4 x 3 x 2 x 1 und so weiter).
Kann weniger Wachstum das Klima entlasten?
Damit ist aber die Frage nach der Möglichkeit unendlichen Wachstums eine empirische. Bisher sieht es da nicht sehr gut aus. Bei der Herstellung vieler Konsumgüter werden heute weniger Ressourcen benötigt als früher, aber die Effizienzgewinne werden häufig durch eine Ausweitung der Nutzung mehr als aufgebraucht. Ein Auto verbraucht heute weniger Benzin als in den Siebzigerjahren, dafür werden heute mehr Kilometer mit dem Auto zurückgelegt. Aber dieser sogenannte Rebound-Effekt ist ein soziologisches Verhaltensmuster, kein ökonomisches oder gar naturwissenschaftliches Gesetz.
Es ist auch vollkommen unklar, ob weniger Wachstum das Klima entlasten würde. Vielleicht wäre das so, weil dann weniger produziert wird und weniger Ressourcen verbraucht werden. Vielleicht auch nicht, weil mit dem Wachstum technologischer Fortschritt zurückgeht und ressourcenintensiver produziert wird… weiterlesen