Weltrauminstitut (INPE) im freien Fall

Weltrauminstitut (INPE) im freien Fall
INPE, Integrations- und Testlabor Foto: Mike Peel /Wikimedia (CC-BY-SA 4.0)

Weltrauminstitut (INPE) im freien Fall

Brasiliens Regierung kürzt seit Jahren das Budget, um unbequeme Daten zur Waldzerstörung zu vermeiden

Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro

Wer den INPE-Cam­pus in São José dos Cam­pos im Bun­des­staat São Pau­lo besucht, kann den Ver­fall mit eige­nen Augen sehen. Ein Uni­ver­si­täts­ge­län­de mit von Schlag­lö­chern über­sä­ten Stra­ßen und brö­ckeln­den Bür­ger­stei­gen. Das einst renom­mier­te Insti­tut kön­ne heu­te kaum mehr sei­ne Strom­rech­nung bezah­len, beklagt INPE-For­sche­rin Evlyn Mar­cia Leão de Mora­es Novo jüngst gegen­über dem US-Wis­sen­schafts­jour­nal »Sci­ence«. Der her­un­ter­ge­kom­me­ne Cam­pus ist jedoch nur der sicht­ba­re Teil der struk­tu­rel­len Kri­se des Welt­raum­for­schungs­in­sti­tuts, aus­ge­löst durch schar­fe Bud­get­kür­zun­gen. Im Jahr 1990 arbei­te­ten hier noch rund 2000 Men­schen Voll­zeit. Heu­te sind es gera­de ein­mal 753. Damit fehlt für vie­le For­schungs­fel­der Wis­sen­schafts- und Wartungspersonal.

Es ist kein Geheim­nis, dass das INPE und sei­ne für den Wald­schutz wich­ti­ge Satel­li­ten­über­wa­chung dem amtie­ren­den bra­si­lia­ni­schen Staats­prä­si­den­ten ein Dorn im Auge sind. Bereits 2019 beschul­dig­te Jair Bol­so­na­ro das INPE, fal­sche Daten zur Abhol­zung ver­öf­fent­licht zu haben und feu­er­te dar­auf­hin den Direk­tor des Insti­tuts Ricar­do Gal­vão. Anstel­le des welt­weit renom­mier­ten Phy­si­kers setzt der rech­te Prä­si­dent einen Oberst der Luft­waf­fe im Ruhe­stand, Darc­ton Damião, vor­über­ge­hend auf den Chef­ses­sel. Sein Nach­fol­ger wur­de der Geo­phy­si­ker Cle­zio Mar­cos de Nardin.

INPE hat eine über fünf­zig­jäh­ri­ge erfolg­rei­che Geschich­te hin­ter sich. 1961 hat­te die dama­li­ge bra­si­lia­ni­sche Regie­rung das Insti­tut gegrün­det, um am glo­ba­len Ren­nen zur Erkun­dung des Welt­raums teil­zu­neh­men. In den 1970er Jah­ren dann wur­de das Welt­raum­for­schungs­in­sti­tut in São Pau­lo – unter der dama­li­gen Mili­tär­re­gie­rung – die ers­te Insti­tu­ti­on welt­weit, die groß­flä­chi­ge Wald­ab­hol­zung mit­hil­fe von Satel­li­ten­da­ten des US-ame­ri­ka­ni­schen Land­sat-Pro­gramms überwachte.

1989 star­te­te INPE schließ­lich das erfolg­rei­che Über­wa­chungs­pro­gramm PRODES, im Jahr 2004 gefolgt von DETER zur Kon­trol­le von Abhol­zung und Wald­brän­den in Echt­zeit: Ein Mei­len­stein für den Wald­schutz, der der bra­si­lia­ni­schen Umwelt­be­hör­de IBAMA die Bekämp­fung von ille­ga­ler Abhol­zung und Brand­ro­dung vor Ort ermöglicht.

Noch im Jahr 2010 inves­tier­te die Regie­rung in Bra­si­lia 13 Mil­lio­nen Dol­lar in einen INPE-Super­com­pu­ter mit dem indi­ge­nen Namen »Tupã« (Gott des Don­ners), damals einer der 30 leis­tungs­stärks­ten Com­pu­ter der Welt. Doch heu­te ist Tupã ver­al­tet und über­las­tet. Die feh­len­den Geld­mit­tel zum Update des Super­com­pu­ters gefähr­de­ten die Kli­ma­for­schung des Lan­des, Wet­ter­vor­her­sa­gen und die Mis­si­on von INPE selbst, beklagt der Umwelt­phy­si­ker Pau­lo Arta­xo von der Uni­ver­si­tät São Pau­lo in »Sci­ence«.

Zwei­fel­los stellt der amtie­ren­de rech­te Prä­si­dent Bol­so­na­ro so etwas wie den Sarg­na­gel von INPE dar. Doch der Nie­der­gang mit den Bud­get­re­du­zie­run­gen begann bereits 2015 unter der ers­ten Amts­zeit der lin­ken Prä­si­den­tin Dil­ma Rousseff.

Schon die wäh­rend der acht­jäh­ri­gen Regie­rung ihres Vor­gän­gers Lula da Sil­va gegen den Wider­stand von Wis­sen­schaft­lern, Men­schen­recht­lern und Umwelt­schüt­zern durch­ge­setz­ten Mega­bau­ten wie die bei­den Rie­sen­stau­däm­me am Rio Madei­ra, das umstrit­te­ne Was­ser­kraft­werk Belo Mon­te am Rio Xin­gu sowie die Teil­um­lei­tung des Rio São Fran­cis­co und die Fer­tig­stel­lung des Atom­kraft­werks Ang­ra 3 hat­ten die Staats­kas­se schwer stra­pa­ziert. Doch Gro­ße­vents wie die Fuß­ball-Welt­meis­ter­schaft 2014 und die Olym­pi­schen Spie­le von 2016 gaben der Wirt­schaft des Lan­des den Rest. Bra­si­li­en stürz­te in eine Wirt­schafts­kri­se und vie­le öffent­li­che Insti­tu­tio­nen muss­ten Kür­zun­gen hin­neh­men. Mona­te­lang konn­ten nicht ein­mal die Gehäl­ter von Leh­rern gezahlt wer­den. Nach Anga­ben der Ana­ly­se- und Nach­rich­ten­platt­form »Info­Ama­zo­nia« kürz­te damals die Rouss­eff-Regie­rung die Aus­ga­ben für den Schutz des Ama­zo­nas­re­gen­wal­des und damit auch das Bud­get von INPE um 72 Prozent.

Der Nie­der­gang des Welt­raum­for­schungs­in­sti­tuts ging mit dem Amts­an­tritt Bol­so­na­ros wei­ter, obwohl die­ser im Wahl­kampf noch ver­spro­chen hat­te, der Wis­sen­schaft Vor­rang ein­zu­räu­men. Der rech­te Prä­si­dent kürz­te wei­ter das jähr­li­che Bud­get von Inpe, das im Jahr 2010 noch mehr als 200 Mil­lio­nen Reais (damals rund 60 Mil­lio­nen Euro) betrug, auf heu­te rund 92 Mil­lio­nen Reais. Doch laut INPE-Direk­tor Cle­zio De Nar­din benö­ti­ge das Insti­tut min­des­tens das Dop­pel­te, um sei­ne Auf­ga­ben erfül­len zu können.

Janu­ar die­ses Jah­res mel­de­te die ange­se­he­ne Nach­rich­ten­sen­dung »Jornal Nacio­nal«, dass INPE das für die Über­wa­chung des Cer­ra­do zustän­di­ge 20-köp­fi­ge Wis­sen­schaft­ler­team auf­grund feh­len­der Geld­mit­tel auf­lö­sen müs­se. Das Team hat seit 2016 täg­lich Satel­li­ten­da­ten über die Abhol­zung die­ser an Arten rei­chen Savan­ne aus­ge­wer­tet und doku­men­tiert. Die Finan­zie­rung dafür kam aus einem Fonds der Welt­bank. Doch laut »Jornal Nacio­nal« habe die Regie­rung Bol­so­na­ro die­ses Abkom­men mit der Welt­bank nicht wei­ter verlängert.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Die Erstveröffentlichung erfolgte in „nd-aktuell“ vom 03.06.22

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.