Wie Ozeane die Energiewende vorantreiben

Wie Ozeane die Energiewende vorantreiben
wiwo.de: Seht hin, wie’s brandet, wie es wogt: Auf Meereswellen ist Verlass. Nun werden sie als Energiequelle entdeckt.
Aus der Ferne erinnert das sonderbare Ding, das da vier Kilometer vor Nordportugals Küstenort Aguçadoura auf den Wellen des Atlantiks wippt, an einen überdimensionalen Strohhalm, verziert mit einer ebenso überdimensionalen Zitronenscheibe. Erst wenn man sich der Konstruktion nähert, erkennt man, dass es sich um eine Art Boje handelt. Allerdings hängt sie nicht an einer Kette.
Das im Durchmesser neun Meter große Objekt gleitet mit dem Wellengang an vier Metallzylindern auf und ab, um ein bisschen Meereskraft zu verarbeiten: „Die Bewegung der Zylinder treibt einen Generator an, der die Bewegung der Wellen in elektrischen Strom umwandelt“, sagt Kevin Rebenius, Co-Direktor des schwedischen Start-ups CorPower Ocean, das den „Wave Energy Converter“ entwickelt hat: ein schwimmendes Kraftwerk.
Das Gerät, das die kinetische Energie der Wellen in Elektrizität umwandelt, ist der Prototyp einer neuen Generation von Meereskraftwerken, mit denen Entwickler die Energiewende voranbringen und den globalen CO2-Ausstoß senken wollen. Schwimmende Generatoren wie vor der portugiesischen Atlantikküste sollen die in Ozeanen gespeicherte Energie für die weltweite Stromversorgung nutzen – und Wellen neben Wind und Sonne als dritte Kraft einer auf erneuerbaren Quellen basierenden Energieversorgung etablieren.
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Idee aus den 1970ern
Anders als die seit vielen Jahren bekannten Gezeitenkraftwerke, bei denen mit Flut und Ebbe Wasser in abgeschlossene Meeresbuchten ein- und ausströmt und Generatoren antreibt, soll die neue Generation der marinen Stromerzeuger die Umwelt kaum belasten. Es gibt mehrere Konzepte: von Clustern aus Bojen wie jenen von CorPower in Portugal über vom Auf und Ab der Wellen angetriebenen Luftdruckturbinen bis zu im Meer versenkten Strömungs- und Pumpspeicherkraftwerken.
Entwickler und Investoren setzen auf einen riesigen Markt. „Von dem, was das Meer an Energie liefern könnte, ist doch bis heute noch kaum etwas erschlossen“, sagt Gründer Rebenius.
Tatsächlich übersteigt das Potenzial für Strom aus Meereskraftwerken laut Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA den globalen Strombedarf von rund 20.000 Terawattstunden deutlich, je nach Szenario sogar um das Vierfache. Wellenkraftwerke allein könnten mindestens 8000 Terawattstunden Strom liefern. Zum Vergleich: Der Gesamtstrombedarf Deutschlands betrug 2023 knapp 460 Terawattstunden.
Bis zur Realisierung des Potenzials ist es aber noch ein weiter Weg. Der billige, grüne Strom aus dem Meer ist vorerst: ein Versprechen. Obwohl die Forschung an Meereskraftwerken bis in die 1970er-Jahre zurückreicht, ist die Zahl betriebsbereiter Anlagen – verglichen mit denen aus Wind und Sonne – homöopathisch gering. 20 Gezeitenkraftwerke wurden weltweit errichtet, aktuell sind nur sechs in Betrieb. Genauso winzig ist die mit Meereskraft erzeugte Strommenge. Laut IEA waren es 2020 gerade mal 1,6 Terawattstunden – weltweit.
Stürme, Salz und Wasser
Neben Umweltproblemen bei Gezeitenkraftwerken lag es bei anderen Projekten an technischen Hürden, die einen Durchbruch verhinderten. Vor Aguçadoura etwa, nahe der heutigen CorPower-Testboje, produzierte seit 2008 ein Pelamis-Kraftwerk Strom: eine Art Seeschlange aus Schwimmmodulen, die sich mit dem Wellengang zusammenfalteten und über Hydraulikpumpen einen Generator antrieben. Nur sechs Jahre nach der Installation ging die Generatorschlange schon wieder vom Netz: Technische und finanzielle Probleme verhinderten den Weiterbetrieb.
Auch der Prototyp eines ebenfalls in der Region installierten schwimmenden Windkraftwerks wurde 2016 wieder abgebaut: Auf dem Meeresboden verankerte Turbinen, die von den Meeresströmungen angetrieben werden wie große Windgeneratoren an Land vom Wind, sind über ein paar Demonstrationsprojekte kaum hinausgekommen.
„Beim überwiegenden Teil der bisherigen Projekte erwiesen sich die Konstruktionen als den extremen Belastungen des Dauereinsatzes auf dem Meer nicht gewachsen. Salz und Wetter ließen die Anlagen korrodieren, oder Stürme mit teils hochhausgroßen Wellen zerstörten die Technik“, sagt Fabian Thalemann vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel: „Andere Anlagen waren so aufwendig konzipiert, dass sie zwar den Naturgewalten standhielten – dass sich aber Bau und Betrieb nicht rechneten“, ergänzt der Projektingenieur und Experte für maritime Stromerzeugung… weiterlesen