Aufmerksamkeit für Biodiversitätskrise erzeugen
Aufmerksamkeit für Biodiversitätskrise erzeugen
geo.de: Auch wenn der Klimaschutz lahmt: Das Thema ist in der medialen Öffentlichkeit angekommen. Von der Artenkrise kann man das nicht behaupten. Dafür gibt es Gründe.
„Man kann nur schützen, was man kennt“, lautet eine populäre Weisheit in Naturschutz-Kreisen. Wenn das stimmt, haben wir mit der Biodiversität ein doppeltes Problem. Denn die Biodiversitätskrise ist, neben dem Klimawandel, die andere ökologische Megakrise unserer Zeit. Jeden Tag verschwinden geschätzt 150 Tier und Pflanzenarten für immer, Millionen sind vom Aussterben bedroht. Die Menschheit ist dabei, das Netz des Lebens, in dem Homo sapiens mit der Natur verwoben ist, zu zerschneiden.
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Aber obwohl beide Krisen ähnliche Ursachen haben, unterscheidet sie etwas: Während der Klimaschutz ein PR-Selbstläufer war, entpuppt sich die Biodiversität in der öffentlichen Wahrnehmung als Ladenhüter. Erinnern Sie sich noch an Greta Thunberg und Fridays for Future? Für den Schutz des Klimas gingen noch vor wenigen Jahren Millionen Menschen weltweit auf die Straße. Beim Artenschutz wird das nicht gelingen. Dafür gibt es Gründe:
„Klimawandel“ oder „Erderwärmung“ versteht man. Die Durchschnittstemperatur der Erdatmosphäre steigt, mit regional unterschiedlichen, oft katastrophalen Auswirkungen – und der Grund dafür sind menschengemachte Treibhausgase. Aber Biodiversität? Schon das Wort ist kompliziert. Und was hat die Vielfalt der Arten mit uns zu tun?
Die meisten Menschen kennen nur einen Bruchteil der Arten in ihrer Umgebung
Ein Beispiel: In Deutschland gibt es etwa 10.000 verschiedene Arten von Fliegen und Mücken, sogenannten Zweiflüglern. Tausende könnten noch gar nicht entdeckt sein. Was bedeutet es, wenn die Zahl dieser Arten abnimmt? Viele Menschen werden vor allem an laue Sommerabende denken, die ihnen Stechmücken (es gibt bei uns etwa 50 verschiedene Arten) vergällt haben. Oder an Brummer, die auf ihrem Essen saßen.
Es hilft es wenig, darauf hinzuweisen, dass Biodiversität wichtig ist für die Nahrungserzeugung, für Arzneiwirkstoffe, die Erholung, die Klimaregulation etc., wenn der unmittelbare Zusammenhang mit unserem individuellen Leben und Erleben unklar bleibt. Wenn der Schwund der Artenvielfalt für viele nur dadurch greifbar wird, dass „früher“ mehr zerplatzte Insekten auf den Autoscheinwerfern klebten.
Überhaupt, früher: Wer erinnert sich denn noch daran, welche Falter vor Jahren noch über die Wiesen flatterten? Jede Generation neigt dazu, das für „natürlich“ zu halten, was sie aus ihrer eigenen Anschauung kennt. Dass es noch vor wenigen Jahrzehnten in derselben Gegend weitaus bunter zuging, gerät buchstäblich aus dem Blick. So stellt sich das Gefühl des Verlusts gar nicht erst ein. Ebenso wenig der Wunsch, das Aussterben zu stoppen.
Und, nicht zuletzt: Ähnlich wie beim Klima schwant wohl vielen, dass ein rigoroser Schutz der biologischen Vielfalt nicht nur erfordert, dass wir in den Schottergärten vor unseren Passivhäusern Bienenhotels aufstellen. Oder mehr Bio kaufen: Wir werden von allem weniger verbrauchen müssen. Sehr viel weniger. Das schürt Ängste und setzt Verdrängungsmechanismen in Gang, zumal in einer Zeit der Multikrise.
Solche psychologischen Hindernisse sind für den staatlich organisierten Schutz der Biodiversität ein Problem – denn er braucht demokratische Legitimation. Bevor nicht vielen, sehr vielen Menschen klargeworden ist, um was es geht (und was zu tun ist), wird es kein entschlossenes politisches Umsteuern geben. So lange kassiert ein grüner Landwirtschaftsminister ohnehin unzureichende Umweltauflagen, weil in Berlin ein paar Tausend Trecker vorgefahren sind.
Noch ist nicht abzusehen, was den Ruck auslösen könnte… weiterlesen