Die schmutzige Gier nach Bitcoins

Die schmutzige Gier nach Bitcoins
Foto: Gerd Altmann / Pixabay CC0

High-Tech-Spekulation auf Kosten von Umwelt und Rechtsstaatlichkeit

Ein Essay von Lars Jaeger

„Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst von falschen Versprechungen “, so würden Karl Marx und Friedrich Engels vielleicht heute ihr «Kommunistisches Manifest» beginnen lassen und dabei auf ein so absurdes wie erschreckendes Phänomen des globalen Finanzkapitalismus verweisen: die Kryptowährung Bitcoin (und andere ihrer Art).

Intermediäre Einrichtungen wie Banken, Börsen, Notare sowie diverse staatliche Institutionen (z.B. Zentralbanken, Steuerbehörden und Regulatoren) steuern einen großen Teil unseres Wirtschaftslebens. Mit ihnen verbunden ist eine zentrale Bedingung für reibungsloses wirtschaftliches Handeln: Vertrauen. Banken garantieren das eingezahlte Geld, ein Notar die Rechtsicherheit einer vertraglichen Vereinbarung, Notenbanken, dass die Papierscheine in unseren Händen in der Zukunft weiterhin einen Wert besitzen, d.h. mit einer «Banknote» besitzt man einen Wertspeicher, der (zumeist) zuverlässig ist; staatliche Behörden sorgen dafür, dass die Regeln eingehalten werden. Sie alle sind «Agenten des Vertrauens». Dass diese Agenten selbst in die Krise geraten können, zeigen die massiven Banken-, Finanz-, Wirtschafts- und staatlichen Krisen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, die von Hyperinflationen, Bankpleiten, Kreditkrisen bis hin zu dysfunktionalen Staaten (so genannte «failed states») geführt haben.

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Digitale Technologien versprechen hier neue Lösungsmodelle. Die größte Aufmerksamkeit erhält zur Zeit eine neue sich als transparent und dezentral erklärende Art und Weise, die zentrale Einheit des wirtschaftlichen Austauschs zu definieren, das Geld. Anstatt in einer staatlich regulierten Währung können wirtschaftliche Austauschprozesse auch in dezentral verwalteten Netzwerken stattfinden. Das ist die Kernidee der so genannten «Blockchain»-Technologie. Mit ihr lassen sich Zahlungen abwickeln, ohne dass es einer zentralen Bank oder Währung bedarf. Während beim gewöhnlichen (bargeldlosen) Zahlungsverkehr die Teilnehmer einer Bank oder einer ähnlichen vermittelnden Instanz (z.B. einer Kreditkartengesellschaft) vertrauen müssen, die die Sicherheit der Transaktion garantiert, ist dies bei Blockchains die Aufgabe der Gemeinschaft aller Beteiligten. Eine Zahlung wird bei Vorlegen der korrekten digitale Schlüssel von der Mehrheit der Teilnehmer abgesegnet. Korrekturen am System sind nur möglich, wenn die Mehrheit der Beteiligten diesen zustimmt, was nach einer Weile aufgrund der wachsenden Teilnehmerzahl kaum mehr möglich ist. Die Blockchain-Technologie ersetzt also Intermediäre wie Geld, Banken und Behörden durch die Gemeinschaft vieler Nutzer. Die Versprechen, die damit verbunden sind, sind nichts Geringeres als der Umsturz des traditionell intransparenten, korruptionsanfälligen und völlig überteuerten Geschäftsmodell der Banken, mehr Demokratie in Unternehmen und im Staat, Fairness im globalen Handel, die Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit, bis hin zu einem Wohlstands-Turbo-Booster für die Ärmsten der Welt.

Die Realität sieht leider ganz anders aus. Betrachten wir die vier Kriterien genauer, die Bitcoin für sich in Anspruch nimmt in seinem Bestreben, mit der Blockchain-Technologie die konventionellen Währungen abzulösen:

  • Akzeptanz und Skalierbarkeit als Zahlungssystem: Von seriösen Unternehmen werden Bitcoins und andere Kryptowährungen kaum als Zahlungsmittel für Waren und Dienstleistungen verwendet. Ironischerweise weigern sich sogar einige Organisatoren von Krypto-Konferenzen, Bitcoins für ihre Teilnahmegebühren zu akzeptieren. Neben der enormen Volatilität in den Preisbewegungen, die die Gewinnmargen der Händler innerhalb weniger Stunden auslöschen können, liegt dies auch an dem technisch noch sehr beschränkten Transaktionsvolumen. Mit Bitcoin lassen sich heute weniger als fünf Transaktionen pro Sekunde durchführen. Zum Vergleich: Das Visa-Netzwerk alleine kann mehr als 400-mal so viele verarbeiten (ca. 2000 pro Sekunde, Visa selbst spricht sogar von 65.000 pro Sekunde!).
  • Sicherheit: Die Preisvolatilität von Bitcoin übersteigt das sämtlicher anderer Anlagen. Das liegt auch daran, dass Kryptowährung weit stärker Betrügereien und anderen gesetzlosen Aktivitäten ausgesetzt ist. Berichte über Kursmanipulation wie Front-Running an Börsen sind weit verbreitet. Und Kryptowährungen schaffen paradiesische Zustände für Verbrechen allerlei Art: Geldwäsche, Lösegelderpressung seitens Hacker, Veruntreuung, Waffenhandel im sogenannten Darknet, Terrorismusfinan-zierung, usw. Die organisierte Kriminalität jubelt. Aber auch für Private gibt es kaum Sicherheit: Wenn eine Kreditkarte oder Bankkonto gehackt oder gestohlen wird, ist man abgesichert, und zwar von vertrauenswürdigen Institutionen. Wenn dagegen der private Schlüssel eines Kryptowährungsdepots gestohlen wird oder verloren geht, ist das Vermögen für immer weg. Dazu kommt, dass 99 Prozent des Bitcoin-Handels auf zentralisierten Börsen stattfindet, die verhältnismäßig leicht gehackt werden können, wie die Vergangenheit zeigte.
  • Dezentralität: Unterdessen kontrolliert eine kleine Anzahl von «Walen» beim Handel einen Großteil des Bitcoin-Wertes. Das gilt auch für andere Kryptowährungen, wo zudem die ursprünglichen Programmierer von Kryptowährungen oft eine übergroße Kontrolle über ihre Schöpfungen behalten. So kommt es immer wieder vor, dass sie Transaktionen rückgängig machen, die eigentlich unveränderbar sein sollten. Der Großteil des Bitcoin-Minings wird heute von oligopolistischen Minern kontrolliert. Viele davon befinden sich außerhalb der Reichweite westlicher Strafverfolgungsbehörden in autokratischen und korrupten Ländern wie China, Russland und Weißrussland.
  • Wertaufbewahrungsmittel: Die meisten Vermögenswerte (Aktien, Anleihen, Immobilien) kommen mit einem Einkommensstrom oder haben eine konkrete Ver-wendbarkeit (z.B. Wohnraum) oder einen anderen Nutzen wie Liquidität und flexibles Zahlungsmittel im Fall von normalen Währungen, woraus sie ihren Wert erhalten. Eine Ausnahme ist Gold, das kein Einkommen hat (jedoch einen, wenn auch eher geringen industriellen Nutzen), dafür aber einen über Jahrtausende etablierten Nutzen als Mittel der Wertaufbewahrung. Der fundamentale Wert von Bitcoin ist dagegen gleich Null. Berücksichtig man die immensen Energien, die es braucht, um diese «Währung» aufrecht zu erhalten, so ist sein Wert negativ, denn nach den Regeln der ökonomischen Konsistenz müssten wir (und werden wohl auch bald) auf seine massiv energie-verschlingende Produktion eine ordentliche Kohlenstoffsteuer ansetzen.

Es ist kein politischer Idealismus oder die Aussicht auf eine gerechtere Gesellschaft, was den momentanen Hype um Bitcoin antreibt und seinen Wert auf immer absurderen Höhen bringt. Vielmehr ist es der gleiche Ausruf, der in demselben Jahr, in dem Marx und Engels das Kommen des Kommunismus ankündigten, aus San Francisco erscholl: „Gold! Gold! Gold from the American River!“. Wer kann schon ignorieren, dass hier schnell mal Millionen gescheffelt werden können? Nur dass man heute nicht mehr beschwerliche Tausende von Kilometern reisen muss, um das neue Gold zu „schürfen“, sondern nur ins Internet zu gehen braucht.

Disruptive Technologien

Leider kommt dieser neue Goldrausch mit immensen ökologischen Kosten. Für das Mining von Bitcoins, das für dessen zugrundeliegende Blockchain-Infrastruktur notwendig ist, wird enorm viel Rechenleistung benötigt, und damit Strom. Von Oktober 2020 bis Februar 2021 hat sich der Strombedarf für die Kryptowährung nahezu verdoppelt. Die High-Tech-Computer der Bitcoin-Minder verbrauchen schon sehr bald mehr Strom als ganz Holland, Tendenz stark steigend. 65 Prozent der Mining-Aktivitäten finden heute in China statt, denn dort ist der Preis für Strom besonders niedrig – und kommt hauptsächlich aus Kohlekraftwerken. Der renommierte Computer-Sicherheitsexperte Felix von Leitner bezeichnet Bitcoin daher als „organisierte Umweltverschmutzung“. Es wird Zeit, dass dieser Absurdität ein Ende bereitet wird.

Der Autor:

Lars Jaeger Gsell Photography 1
Foto: Gsell Photography

Lars Jaeger, 1969 in Heidelberg geboren, studierte Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte. Er ist als Autor sowie unternehmerisch tätig. In seinen Büchern und Artikeln beschäftigt er sich mit Fragen zur Geschichte der Wissenschaft, deren Einfluss auf die moderne Gesellschaft und ihrem Verhältnis zu spirituellen Traditionen. Seine Werke »Naturwissenschaft: Eine Biographie«, »Wissenschaft und Spiritualität«, »Supermacht Wissenschaft« und »Die zweite Quantenrevolution« fanden weite Beachtung. 

Lars Jaeger Sternstunden der Wissenschaft

Lars Jaeger
Sternstunden der Wissenschaft. Eine Erfolgsgeschichte des Denkens
336 Seiten ca. 50 Abbildungen
Hardcover
Suedverlag
ISBN 978-3-87800-140-9
20,00 Euro

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