Energiewechsel durch Krieg

Energiewechsel durch Krieg
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Energiewechsel durch Krieg – Wie Russland Europa zu einer klimaschützenden Energiepolitik vorantreiben könnte

Essay von Lars Jaeger

Russland unter Putin ist nicht nur in politischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht weit ins Hintertreffen geraten. Durch den massiven Export von Gas und Öl, zwei schlimmen CO2-Emittenten, die den größten Teil seiner Exporte ausmachen, steht auch seine Energiepolitik für eine längst ins Hintertreffen geratene Orientierung in Anbetracht des Klimawandels. Mit knapp über 250 Mrd. USD liegen Russlands Staatseinnahmen nur knapp über denen von Belgien, sein Bruttoinlandsprodukt pro Kopf betrug im Jahr 2015 knapp über 11.000 USD im Vergleich zu ca. 65.000 USD in den USA und 82.000 USD in der Schweiz.

In Russland sind es die Naturreichtümer, die die wichtigste Basis für die Wirtschaft des Landes ausmachen. Viel technologische Innovation erfahren wir von dort nicht. So verfügt es als größte Erdgasmacht über 32 Prozent aller Erdgasvorräte in der Welt, sowie über 12 Prozent aller Vorräte an Erdöl. Die jährlichen Fördermengen machten ihrerseits bisher ca. ein Fünftel der weltweiten Erdgasförderung und ein Zehntel der weltweiten Ölförderung aus. Das macht Russland zum weltweit bei weitem größten Erdgasexporteur und nach Saudi-Arabien zum zweitgrößten Exporteur in Erdöl. Kein Wunder, dass der Anteil des Exports von Erdöl, Mineralölprodukten und Erdgas am Gesamtexport Russlands bei ca. 60% liegt. Mit anderen Worten, Energieexport holt das meiste Geld rein für das Land. Auch im Staatshaushalt machen diese Energieformen mehr als 50% aus.

Für den europäischen Westen wiederum ist die Lage genau andersherum. So liegen die in Deutschland und Italien betragen Anteile des Imports von russischem Erdgas bei jeweils knapp 50% (fast ebenso viel bezieht die Schweiz), in Finnland sogar 94% (europäischer Schnitt liegt bei ca. 44%). Und auch der russische Erdöl-Anteil liegt in Deutschland bei knapp 40%, in der gesamten EU kommt ca. ein Viertel des Erdöls aus Russland. In der Schweiz liegt der Erdölanteil dagegen nahezu bei null, dort kommt das meiste Öl aus Nigeria und den USA (doch ist in der Schweiz der Betrag an Geld, den die russischen Oligarchen dort lagern, besonders hoch, womit die Schweizerischen Banken gut Geld verdienen).

Und nun hat Russland gegen die Ukraine den ersten Krieg zwischen zwei Völkern nach dem zweiten Weltkrieg begonnen und diesen unterdessen an Brutalität immer stärker zunehmen lassen. Es ist daher kaum überraschend, dass Forderungen nach einem Importstopp von russischem Öl und Erdgas aus dem Westen immer lauter werden, vor allem aus den USA und England, die es selber auch bereits umgesetzt haben (dabei sind sie gar nicht betroffen, im Gegenteil, sie würde bei einem weiten Boykott als Erdgas- und Öl-Exporteure davon sogar selber massiv profitieren). Der Rest Europas importiert nach wie vor das Gas und Öl aus Russland, sind sie doch de facto abhängig davon. Doch dies geschieht unter steigender Nervosität, schließlich kommt die Forderung aus den USA, deren mögliche wirtschaftlichen Sanktionen viele Länder, darunter auch Deutschland, besonders stark treffen würden.

Doch trotz massivem Eigeninteresse der USA und England, haben die beiden Regierungen dort einen wichtigen Punkt: Die Importe der Westeuropäer sind für die russische Kriegskasse von zentraler Bedeutung. Viele der Ölexporteure sind Staatskonzerne und führen Gewinne an den Kreml ab. Wie wir wissen, sind die Erdgas- und -Öleinnahmen de facto der wichtigste Baustein des russischen Haushalts, inkl. der Kriegskasse. So denken bereits viele Politiker in Westeuropa darüber nach, wie man die Abhängigkeit von Russland loswerden kann. Und hier kommen aus so manchen Mündern, von denen man sich das zuvor als letzte vorstellen konnte (z.B. von Teilen der FDP in Deutschland), nun plötzlich Forderungen nach einem Ausbau alternativer Energieformen wie Wind-, Wasser- oder Sonnenenergien (obwohl dies natürlich nicht von heute auf morgen passieren kann). Aber was für einen bedeutenderen Anlass könnte es geben, der uns zu einer massiven Beschleunigung des Ausbaus alternativer Energieträger motivieren sollte als die Abhängigkeit von schlimmen Diktatoren wie Putin loszuwerden?

Und de facto herrscht hier auch ein gewaltiges Potential. Die Entscheidung, mit welchen Primärenergien wir unseren Energiehunger stillen, ist der Schlüsselfaktor des Klimaschutzes. Wie hoch wird in Zukunft noch der Anteil an fossilen Energieträgern sein, die die CO2-Bilanz weiter belasten? Und wie weit können erneuerbare Energien die Brennstoffe Erdöl, Kohle und Erdgas ersetzen? Neben der Akzeptanz in der Bevölkerung hängt die Antwort auf diese Fragen von der Wirtschaftlichkeit der erneuerbaren Energien ab. Und für die Wirtschaftlichkeit wiederum ist der Wirkungsgrad der entsprechenden Kraftwerke von großer Bedeutung. So treiben Wissenschaftler und Ingenieure die Effizienz von Photozellen, Geothermie-Kraftwerken und Biogasanlagen immer weiter voran (nur bei Windrädern ist man bereits nahe am physikalischen Limit). Dank faszinierender technologischer Entwicklungen wurden die Erwartungen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder übertroffen.

Und dazu gibt es noch ein paar echte „Game-Changer“. „Wir neigen dazu, die Wirkung von Technologien kurzfristig zu überschätzen und sie langfristig zu unterschätzen“, schrieb bereits im Jahr 1975 der amerikanische Forscher und Stanford Professor Roy Amara. Das ist auch heute noch so. Kurzfristig blenden uns die Aussichten auf neue Anwendungsmöglichkeiten – man könnte auch sagen: auf neues Spielzeug. Doch nur wenige Menschen haben einen Begriff davon, wie stark Technologien, an denen die Forscher heute arbeiten, unser Leben in Zukunft tatsächlich prägen werden – Wissenschaftler und Ingenieure sind da nicht ausgenommen.

Mit den bekannten Entwicklungen liegt schon heute die globale Klimaneutralität unseres Energieverbrauchs in Greifweite, und es hängt vom politischen Willen ab, die technologischen Neuerungen zu implementieren. Würde allerdings dazu noch eine neue, heute noch nicht verwendende, ggfs. sogar noch nicht (breit) bekannte Technologie entwickelt, wäre dies vielleicht in noch viel kürzerer Zeit möglich. Falls uns tatsächlich in den nächsten Jahren eine technologische Wildcard vor einer Totalkatastrophe in Sachen Klima bewahren wird, kann es sein, dass wir heute noch nicht einmal eine Ahnung davon haben, wie sie aussehen wird. Weil aber auch Joker nicht über Nacht vom Himmel fallen, kann es gut sein, dass heute schon in einigen Laboren und Think Tanks der Welt Vorstufen von neuen Technologien, die – vielleicht – einmal die Welt verändern werden, in Arbeit sind. Deshalb lohnt es sich, einige dieser potenziellen Joker einmal näher anzuschauen:

  • Ein Joker für die Energieerzeugung: Kernfusion als unbegrenzte, saubere und sichere Energie zu sehr günstigen Preisen
  • Ein Joker für die Energiespeicherung: Akkus, die Wind- und Sonnenenergie beliebig speichern
  • Ein Joker für den Energieverbrauch: Wenn 3D-Druck den Transport von Waren überflüssig macht
  • Der Meta-Joker: Optimierung von Energieerzeugung, -speicherung und verbrauch durch Künstliche Intelligenz

Der mitunter wohl bedeutendste Joker-Kandidat der zukünftigen Energieerzeugung ist die Kernfusion. Sie ist der Prozess, der unsere Sonne und auch alle anderen Sterne zum Strahlen bringt und sie enorme Energiemengen ins All schleudern lässt. Unter sehr hohem Druck und bei entsprechend hoher Temperatur verschmelzen Atomkerne miteinander. So wie bei der Spaltung schwerer Atomkerne geht auch bei der Fusion leichter Atomkerne ein wenig Masse verloren. Gemäß Einsteins berühmter Formel E=mc² wandeln sich winzigste Materiemengen in enorme Energien um. Dabei sind die bei der Kernfusion freiwerdenden Energien pro Gewichtseinheit sogar noch viel höher als beim umgekehrten Vorgang, der Kernspaltung. Dazu kommt: Es gibt keine schmutzigen, radioaktiven Abfälle! Genau hier finden zurzeit sehr spannende Entwicklungen statt (wie ich auch in anderen Beiträgen und meinem letzten Buch ausführlich beschrieben habe).

Aber auch in der Energie-(Strom-) Speicherung könnte es in den nächsten Jahren gewaltige Fortschritte geben (zigfach bessere Batterien), 3D-Drucker könnten enorm viel Transportenergie sparen und KI könnte die komplexe Energiespeicherung und -steuerung noch viel effizienter machen. Es besteht also durchaus viel Grund zur Hoffnung in dieser Hinsicht. So ist vielleicht die Kriegsinitiative des energie-archaischen Russlands eine sehr gute Gelegenheit, sich nun genau darauf mit aller Kraft (und Finanzierung) zu konzentrieren.

Der Autor:

Lars Jaeger Gsell Photography 1
Foto: Gsell Photography

Lars Jaeger, 1969 in Heidelberg geboren, studierte Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte. Er ist als Autor sowie unternehmerisch tätig. In seinen Büchern und Artikeln beschäftigt er sich mit Fragen zur Geschichte der Wissenschaft, deren Einfluss auf die moderne Gesellschaft und ihrem Verhältnis zu spirituellen Traditionen. Seine Werke »Naturwissenschaft: Eine Biographie«, »Wissenschaft und Spiritualität«, »Supermacht Wissenschaft« und »Die zweite Quantenrevolution« fanden weite Beachtung. 

Lars Jaeger Sternstunden der Wissenschaft

Lars Jaeger
Wege aus der Klimakatastrophe

Erscheinungstermin: 6. Oktober 2021
Springer Verlag
ISBN 978-3-662-63549-0
27,99 Euro

Lars Jaeger gibt seinem neuen Buch einen Ausblick auf eine mögliche klimafreundliche Wirtschaft der Zukunft, beschreibt, wie eine ökologische Gesellschaft funktionieren kann und wie lokale Energiekonzepte weltweiten Erfolg haben können. Er kommt dabei mit einer klaren und optimistischen Botschaft: Wir verfügen schon heute über die technischen Möglichkeiten (und in der Zukunft umso mehr), um den verheerenden Klimatrend ohne signifikante Wohlstandsbeschränkung umzukehren. Die Hindernisse liegen vor allem in ökonomischen und politischen „Sachzwängen“ und partikulären wirtschaftlichen Interessenskonflikten. Diese zu überwinden, darum geht es in der zukünftigen Energiepolitik.

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