Jimmy Carter starb im Alter von 100 Jahren

Jimmy Carter starb im Alter von 100 Jahren
spiegel.de: Als Präsident gescheitert, als Mensch verehrt: Jimmy Carter, der nun mit 100 Jahren gestorben ist, war der letzte humanistische Präsident Amerikas – und in seinen Leistungen unterschätzt. Viele seiner Errungenschaften hallen bis heute nach.
Sein letzter Wunsch erfüllte sich, mit bitterem Nachspiel. »Ich versuche durchzuhalten, damit ich noch für Kamala Harris stimmen kann«, soll Jimmy Carter vor der US-Präsidentschaftswahl geschworen haben
, als er bereits in Hospizbehandlung war. Dass die demokratische Kandidatin es dann aber nicht schaffte, muss eine finale Enttäuschung gewesen sein für den früheren US-Präsidenten, dessen Verdienste so lange verkannt wurden – und der jetzt, als selten ehrlicher Vertreter amerikanischer Werte, die Bühne verlässt, während ein anderer ins Rampenlicht zurückdrängt, der diesen Werten diametral entgegensteht.
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Was er wirklich von Donald Trump hielt, hat Carter, der am Sonntag mit 100 Jahren starb , nie offen gesagt, dazu war er zu anständig. Doch seine Meinung über ihn klang stets durch, schon 2019, als er die Legitimität von Trumps erstem Wahlsieg anzweifelte . Carters Tod, zum Schluss eines Jahres, in dem Amerikas Demokratie ihr wankendes Gerüst vollends einriss, markiert eine Zeitenwende, nicht nur für die USA: Nächstenliebe, Aufopferung und Bescheidenheit gehören der Vergangenheit an; nun beginnt die Ära von Gier, Selbstsucht und Protz.
Angst vor dem Ende hatte er keine. »Ich habe mit dem Tod vollends meinen Frieden gemacht«, sagte Carter 2019. Da war er kürzlich erst 95 geworden und hatte gerade einen Beckenbruch hinter sich.
Zu Unrecht verkannt und verrissen
Typische Worte für einen, der mal der mächtigste Mann der Welt war, doch seine Herkunft als Erdnussfarmer nie vergaß: bescheiden, dankbar, optimistisch. Dessen Leben vor allem eine lange, rührende Liebesgeschichte war. So verbrachte Carter denn auch das letzte Lebensjahr. Nicht im Krankenhaus, an Maschinen angeschlossen. Sondern friedlich zu Hause, im Kreise der Familie in Plains, einem Weiler im US-Südstaat Georgia, wo er geboren wurde – und wo er 13 Monate nach seiner Frau Rosalynn starb, seiner treuesten Gefährtin.
Kein Präsident der USA lebte länger, keiner war länger verheiratet, keiner hatte auch nach der Amtszeit noch eine aktivere, ruhmreichere Schaffensphase. Biografische Rekorde, die schnell vergessen lassen, dass Carter in Wahrheit einer der meistverkannten und zu Unrecht verrissenen Hüter des Weißen Hauses war – eine politische Tragödie, die ihm selbst nicht verborgen blieb, doch privat wenig ausmachte.
Als Politiker gescheitert, als Mensch verehrt, das sagen viele Experten über ihn. Es stimmt, dass Carters postpolitisches Wirken als Wohltäter seine schwierige und, jedenfalls den schnellen Schlagzeilen zufolge, erfolglose Amtszeit als Präsident (1977 bis 1981) überstrahlte. Von der sind fast nur düstere Stichworte geblieben: Inflation, Energiekrise, Iran-Geiselaffäre. Auf der Rangliste aller US-Präsidenten dümpelt Carter im Mittelfeld, auf Platz 24 – allerdings weit vor Beinahe-Schlusslicht Donald Trump.
»Amerikas missverstandenster Präsident«
Dabei war die Realität viel komplexer. »Carter war wahrscheinlich der intelligenteste, arbeitsamste und anständigste Mann, der im 20. Jahrhundert im Oval Office gesessen hat«, schreibt sein Biograf Kai Bird. Selbst im hohen Alter sei er »unermüdlich« gewesen. Noch Ende Oktober forderte er über sein Carter Center einen Waffenstillstand in Gaza. Einige nannten ihn »den ersten woken Präsidenten«.
Der Demokrat, stimmt Autor Jonathan Alter zu, habe zu den »erfolgreichsten und produktivsten Figuren unseres Zeitalters« gehört und Ideale verkörpert, denen die Nation heute nur noch ferner sei als damals. Der Dokumentarfilm »Carterland« porträtierte ihn 2021 als »Amerikas missverstandensten Präsidenten« – eine »tragische, doch inspirierende Story«… weiterlesen