Klimaschutz „gezielt ausgebremst“
Klimaschutz „gezielt ausgebremst“
zeit.de: Heizungsgesetz, Verbrenner-Aus und Energiewende: Klimaschutz wird absichtlich ausgebremst, sagt Politikwissenschaftler Dieter Plehwe. Auch von internationalen Netzwerken.
Warum geht es mit dem Klimaschutz nicht schneller voran? Auch weil die fossile Lobby Klimaschutz absichtlich verhindert, sagt der Politikwissenschaftler Dieter Plehwe, der unter anderem zu neoliberalen Thinktanks forscht. Dieter Plehwe ist Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Gründer des gemeinnützigen Vereins LobbyControl, dessen Ziel es ist, über Lobbyismus aufzuklären. Zuletzt erschien das Buch Climate Obstructionism across Europe, an dessen deutschen Kapitel Plehwe beteiligt war.
ZEIT ONLINE: Herr Plehwe, Sie schreiben, dass Klimaschutz in Deutschland gezielt verzögert wird. Was meinen Sie damit?
Dieter Plehwe: Praktisch alle Fachleute sind sich einig, dass es Kräfte gibt, die Klimaschutz gezielt verhindern – und dass darin einer der wichtigsten Gründe liegt, warum wir bei dem Thema nicht schneller vorankommen. Zuletzt zum Beispiel beim Heizungsgesetz oder beim Verbrenner-Aus. Sehr deutlich war diese Verzögerung außerdem beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, das seit Jahrzehnten vehement bekämpft wurde – und wodurch die Energiewende in Deutschland erheblich verzögert wurde.
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ZEIT ONLINE: Und wer steckt Ihrer Ansicht nach dahinter, solche Klimaschutzmaßnahmen absichtlich zu verzögern?
Plehwe: Grundsätzlich stecken dahinter wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel von Konzernen aus der Energie- und Automobilbranche. Es gibt aber eine ganze Reihe von Verbänden, Thinktanks und sogar Politikern, die daran beteiligt sind. Sie alle versuchen, Klimapolitik in eine industriefreundliche Richtung zu lenken.
ZEIT ONLINE: Das sind schwere Vorwürfe. Woher nehmen Sie die Gewissheit, das zu sagen?
Plehwe: Ich erforsche seit einem guten Jahrzehnt die politiknahe Forschung und Beratung durch Thinktanks, die oft von Unternehmen und Stiftungen finanziert werden. Dabei arbeite ich häufig mit Kolleginnen und Kollegen aus NGOs zusammen und mit Investigativjournalisten. Der von mir mitgegründete Transparenzverein LobbyControl hat zuletzt anhand von Aktivitäten der Erdgasbranche aufgezeigt, wie der Ausstieg aus den fossilen Industrien verschleppt wird.
ZEIT ONLINE: Eines der Beispiele, die Sie gerade genannt haben, war das Heizungsgesetz. Wo sehen Sie dabei Lobbyverstrickungen?
Plehwe: Zum Beispiel war der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler einer der Politiker, die das Heizungsgesetz im vergangenen Jahr in letzter Sekunde torpediert haben. Auffällig bei ihm ist: Er hat sehr enge Verbindungen zu neoliberalen Thinktanks – und sogar selbst einen gegründet, nämlich das Prometheus-Institut.
ZEIT ONLINE: Laut eigener Beschreibung steht dieses Institut für eine offene und freiheitliche Gesellschaft ein. Was soll daran problematisch sein?
Plehwe: Das Prometheus-Institut hat im vergangenen Jahr 250.000 US-Dollar von der Templeton-Stiftung erhalten, die als Finanzquelle für Klimawandelleugner bekannt ist. Und es ist eines von vielen Instituten und Thinktanks, die weltweit eng zusammenarbeiten und häufig daran beteiligt sind, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern oder sogar zu verhindern: Es gehört zum Atlas-Netzwerk, das in den Achtzigerjahren in den USA gegründet wurde, um neoliberale Thinktanks auf der ganzen Welt zu unterstützen. Manche davon leugnen den Klimawandel komplett. Andere, wie in Deutschland eben das Prometheus-Institut oder auch die Hayek-Gesellschaft, setzen sich offiziell nur dafür ein, staatliche Lenkung oder Regulierung zu verhindern. Auch das Centrum für Europäische Politik in Freiburg, das ebenfalls zu den Partnern des Atlas-Netzwerkes gehört, beurteilt die meisten umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen der EU kritisch. Lediglich das besonders marktfreundliche Emissionshandelssystem erfährt Unterstützung.
ZEIT ONLINE: Sie sprechen die Hayek-Gesellschaft an. Die hat vor Kurzem für Aufmerksamkeit gesorgt, weil sie einen Preis an den argentinischen Präsidenten Javier Milei vergeben hat.
Plehwe: Der Besuch in Hamburg war Teil einer Reise durch Europa, auf der Milei gleich drei Preise von neoliberalen Thinktanks im Atlas-Verbund erhalten hat, nicht nur in Deutschland sondern auch in Spanien und Tschechien…. weiterlesen