Lieferkettengesetz bitte nicht abschaffen

Lieferkettengesetz bitte nicht abschaffen
Die Bundesregierung plant, das deutsche Lieferkettengesetz abzuschaffen – ein Rückschritt für Menschenrechte und Umweltstandards weltweit? Sozialarbeiterin und Menschenrechtsexpertin Dominique Eckstein berichtet von ihrer Arbeit in Mexiko, erklärt die Unterschiede zwischen deutschem und EU-Gesetz und zeigt, warum zivilgesellschaftlicher Druck jetzt wichtiger denn je ist.
Noch eine Anmerkung: Unter anderem Brot für die Welt als Teil der Initiative Lieferkettengesetz eine Petition an den jüngst vereidigten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gestartet, das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu erhalten. Die Petition findet ihr hier.
Dominique, kannst nochmal kurz erklären, was ist das Lieferkettengesetz und warum ist das so wichtig?
Dominique Eckstein : Das sogenannte Lieferkettengesetz heißt offiziell „Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz“ und ist seit Januar 2023 in Kraft. Es verpflichtet Unternehmen erstmals gesetzlich dazu, weltweit auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten – nicht nur im eigenen Geschäftsbereich, sondern auch bei ihren Zulieferern sowie in der Rohstoffgewinnung, die für ihre Produkte relevant ist.
Die Einführung des Lieferkettengesetzes ist ein wichtiger Schritt, weil es bislang keine verbindlichen Regeln für das Handeln deutscher Unternehmen im Ausland gab. Bisher galt: Für das Verhalten von Unternehmen innerhalb Deutschlands ist der deutsche Staat zuständig, für ihr Handeln im Ausland dagegen die jeweiligen Regierungen vor Ort. Diese kommen ihren Schutzpflichten jedoch häufig nicht nach – sei es aus Unvermögen, politischem Desinteresse oder weil es schlicht keine entsprechenden gesetzlichen Regelungen gibt, etwa zum Schutz von Umwelt oder Menschenrechten.
Mit dem neuen Gesetz gibt es nun erstmals die Möglichkeit, deutsche Unternehmen auch für Missstände entlang ihrer globalen Lieferketten zur Verantwortung zu ziehen.
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Jetzt haben CDU, CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass das deutsche Lieferkettengesetz abgeschafft wird. Stattdessen soll die EU-Richtlinie umgesetzt werden. Wo ist da eigentlich der Unterschied zwischen den beiden?
Die EU-Richtlinie zum Lieferkettengesetz ist ja inzwischen verabschiedet und soll ab 2027 verpflichtend in den Mitgliedstaaten gelten – kürzlich wurde der Umsetzungszeitraum jedoch auf 2028 verlängert. Diese Richtlinie verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten, das Gesetz in nationales Recht zu überführen. Das bedeutet: Europäische Unternehmen müssen künftig auch im Ausland Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards übernehmen und diese aktiv schützen und wahren.
Der ursprüngliche Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes war deutlich umfassender als das deutsche Gesetz. Er umfasste mehr Menschenrechts- und Umweltstandards, unter anderem auch das Thema Biodiversität. Ein zentraler Unterschied bestand darin, dass Betroffenen ausdrücklich ein Recht auf Wiedergutmachung eingeräumt werden sollte – etwas, das im deutschen Lieferkettengesetz bislang nicht vorgesehen ist. Auch der Klimaschutz spielte im ursprünglichen Entwurf eine wichtige Rolle. Darüber hinaus sollte das Gesetz ursprünglich auch für kleinere Unternehmen gelten.
Allerdings wurde der Entwurf noch vor seiner Verabschiedung auf Druck einzelner Mitgliedsstaaten – darunter auch unter Einfluss der FDP in Deutschland – deutlich abgeschwächt. Dieser Verwässerungsprozess ist weiterhin im Gange, eine endgültige Fassung des Gesetzes liegt bislang noch nicht vor.
„Dass das Lieferkettengesetz abgeschafft werden soll, ist eine großartige Nachricht!“. Das sagt Rainer Dulger, der Chef des Arbeitgeberverbandes BDA. Warum finden die Arbeitgeber oder die Industrie das Lieferkettengesetz so unmöglich?
Arbeitgeberverbände und zahlreiche Politiker bezeichnen das Lieferkettengesetz in der öffentlichen Debatte häufig als „Bürokratiemonster“. Sie argumentieren, dass es für Unternehmen einen erheblichen Mehraufwand bedeute, etwa durch die verpflichtende Durchführung von Risikoanalysen innerhalb der Lieferkette oder die Erstellung jährlicher Berichte zur Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten.
Tatsächlich ist der bürokratische Aufwand jedoch überschaubar. Die eigentliche Herausforderung liegt darin, dass bei genauerer Betrachtung der Lieferketten häufig Missstände zutage treten – etwa Menschenrechtsverletzungen oder Umweltprobleme –, die Unternehmen zwingen würden, ihre Produktionsweise zu verändern. Solche Veränderungen können mit zusätzlichen Kosten verbunden sein. Vermutlich ist genau das der eigentliche Grund für den Widerstand vieler Unternehmen gegen das Gesetz.
Was sollte denn in Deutschland von Zivilgesellschaft passieren, um weiterhin Druck auszuüben?
Es gibt viele Möglichkeiten, aktiv zu werden. Eine zentrale Anlaufstelle ist die Initiative Lieferkettengesetz – ein Bündnis verschiedener deutscher Nichtregierungsorganisationen. Sie setzen sich dafür ein, dass das Lieferkettengesetz konsequent umgesetzt wird und begleiten den politischen Prozess kritisch und engagiert. Über ihre Website informieren sie regelmäßig über Aktionen, Entwicklungen und Mitmachmöglichkeiten.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche kleinere und größere Organisationen, die sich mit konkreten Fällen beschäftigen oder in bestimmten Ländern aktiv sind. Sich dort einzubringen, kann sehr wirkungsvoll sein – sei es durch ehrenamtliche Mitarbeit, Spenden oder politische Unterstützung.
Auch im Alltag lässt sich Einfluss nehmen: Indem man sich dafür interessiert, wie und unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt werden, die man kauft. Es ist sinnvoll, Unternehmen gezielt zu hinterfragen oder solche zu unterstützen, die bereits verantwortungsvoll und transparent wirtschaften. Denn es gibt viele Unternehmen, die aktiv nach fairen und nachhaltigen Lösungen suchen – nicht alle streben ausschließlich nach dem günstigsten Preis auf Kosten von Mensch und Umwelt.
Aber wie konkret kann denn jetzt eine Person oder eine NGO, z.B. in Mexiko, dieses Lieferkettengesetz nutzen, um Rechte durchzusetzen? Muss sie sich dann eine Anwaltskanzlei in Deutschland suchen? Oder kann sie das von Mexiko aus machen?
Du hast schon viele wichtige Punkte angesprochen, mit denen Betroffene zurechtkommen müssen. Ein zentrales Problem ist: Das Lieferkettengesetz bietet keine zivilrechtliche Klagemöglichkeit. Es handelt sich um einen rein administrativen Mechanismus. Zuständig ist das BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle), das Beschwerden entgegennimmt. Auf der BAFA-Website gibt es ein Formular – zunächst auf Deutsch, später in verschiedenen Sprachen – über das Betroffene als Einzelpersonen, Kollektive oder vertreten durch NGOs (z. B. aus Deutschland oder Mexiko) Beschwerden einreichen können. Darin müssen sie genau dokumentieren, welche Rechte verletzt wurden, durch welches deutsche Unternehmen, und entsprechende Nachweise liefern.
Die Behörde ist verpflichtet, diese Beschwerden zu prüfen. Doch in der Praxis bedeutet das: Wir müssen nicht nur auf die Unternehmen schauen, sondern auch beobachten, was die Behörde daraus macht – und politischen Druck aufbauen, damit tatsächlich gehandelt wird.
Ein weiteres großes Problem ist die mangelnde Transparenz. In vielen Fällen ist gar nicht klar, ob ein deutsches Unternehmen überhaupt in eine Menschenrechtsverletzung verwickelt ist, da das Gesetz keine Offenlegung der vollständigen Lieferkette verlangt. Gerade bei großen Konzernen wie Autoherstellern liegen die Probleme oft nicht im Unternehmen selbst, sondern bei ihren Zulieferern – etwa in Minen oder bei Kleinteile-Produzenten. Für Betroffene vor Ort ist es extrem schwer nachzuvollziehen, wohin ihre Rohstoffe oder Produkte letztlich gehen – und ob sie überhaupt Teil einer deutschen Lieferkette sind. Viele Menschen in den Produktionsländern – etwa in Mexiko – sind überrascht, dass das Lieferkettengesetz keine Entschädigung für erlittene Schäden vorsieht. Stattdessen sieht das Gesetz lediglich Bußgelder vor, die in Deutschland bleiben und an die zuständige Behörde gehen. Eine direkte Wiedergutmachung für Betroffene vor Ort ist nicht vorgesehen.
Wir haben also ein Gesetz, was noch an vielen Stellen mehr als verbesserungswürdig ist, was aber gerade eher dabei ist, abgewickelt zu werden von der Politik in Zusammenarbeit mit Unternehmen. Welche Perspektive siehst du da jetzt weiterhin, um für einen faireren, gerechteren Welthandel zu sorgen?
Damit ein Gesetz wirksam ist und wirklich den Bedürfnissen der Betroffenen entspricht, ist es entscheidend, dass diese von Anfang an in den Prozess einbezogen werden. Es darf kein Gesetz „von oben herab“ sein – so, wie es historisch oft der Fall war, wenn der globale Norden über den globalen Süden entscheidet. Statt über die Menschen vor Ort hinweg zu bestimmen, was für sie gut, richtig oder notwendig sei, sollten ihre Stimmen und Perspektiven aktiv eingebunden werden. Das wäre aus unserer Sicht die wichtigste Voraussetzung für eine sinnvolle Weiterentwicklung oder Neufassung des Gesetzes.
Der Text ist Teil unserer Medienkooperation mit Pressenza. Im Original finden Sie ihn hier.